Bio-Blödsinn

07. November 2012

 

„Bio? – Blödsinn!“

Bio boomt in Österreich. Doch wie öko ist der Brunnenmarkt? biber sucht die Biotomate.

Samstag, 9 Uhr, Brunnenmarkt: Frauen mit Kopftüchern packen die größten und dicksten Kartoffeln, die man sich vorstellen kann, in ihre Plastiksackerl. Genervte Ehemänner warten auf ihre Frauen. Schnäppchenjäger mit dem Kind in der einen, einem Karton Eier in der anderen Hand, feilschen aufgeregt mit Standbesitzern. Zwei Jugendliche kaufen ein Kilo Bananen aus Chile – und wir halten Ausschau nach einer österreichischen Biotomate.

Mit jedem Schritt werden die Gerüche stärker: Forellen auf Eis, orientalische Naschereien, ganze Hühner in den Vitrinen. Der Geruch von Käse vermischt sich mit dem von Jungzwiebeln. Verkäufer rufen in gebrochenem Deutsch: „Paprika, frisch, gut!“ in die Menge. „Frische“ Lebensmittel gibt es hier reichlich: Pfirsiche aus Spanien, Bananen aus Chile, Eier aus slowenischen Legebatterien. Von der Biotomate aus Österreich fehlt noch jede Spur. Die Herkunft der Produkte ist hier genauso unbedeutend wie die Nationalität der Besucher.

 

 

 

 

Bio-Luxus

„Hier am Brunnenmarkt fragen die wenigsten nach Bio. Pro Kilo kosten Bioprodukte circa zwei, drei Euro mehr“, erklärt der türkische Käseverkäufer Sefik Beytiözcan. Dass sich ein Vorarlberger Biokäse in seine Vitrine verirrt hat, fällt ihm gar nicht auf. Der bulgarische Gemüseverkäufer Georgi Stoikov startete einmal den Versuch, Biotomaten zu verkaufen. „Die waren so teuer, dass sie keiner gekauft hat. Zum Schluss sind sie kaputt gegangen und ich musste sie wegschmeißen. Das mache ich nicht noch einmal“, erklärt er mit ernster Miene. Seine Kunden kaufen keine Tomaten um 2,50 Euro das Kilo, wenn sie es um einen Euro bekommen. Das Meiste besorgen die Standbesitzer vom Großgrünmarkt in Inzersdorf, wo ein Großteil des Wiener Gemüses herko mmt. Seine Kundin Jelica Kostadinović hört unsere Unterhaltung mit und mischt sich aufgebracht ein: „Bio? Kein Bio! Viel zu teuer!“

Die meisten hier wollen nichts von Bio wissen. Die Passantin Zaklina Novak zupft verärgert an ihrem Playboypullover, während sie den „Biowahn“ erklärt. „Das ist doch alles der gleiche Scheiß, nur mit einer anderen Verpackung.“ Vor allem Ältere glauben nicht an Bio. „Die Luft ist schlecht, der Boden verschmutzt. Wie kann da etwas biologisch rein sein?“, fragt sich der bosnische Arbeiter Dragan Todorović, als wir ihn auf Bio ansprechen. „Wer Bioprodukte haben will, soll runter nach Bosnien fahren.“

Die BIO-Parallelgesellschaft

Einmal die Woche kommen Bio-Liebhaber doch auf den Geschmack. 20 Meter vom Brunnenmarkt entfernt findet samstags der Bauernmarkt statt. Biolebensmittel soweit das Auge reicht. Naturbelassene Äpfel, von Bauern produzierter Honig, Biokürbisse. Nicht nur der Preis der Produkte unterscheidet sich vom Brunnenmarkt, sondern auch das Outfit der Besucher. Sie sind alternativ gekleidet, bummeln mit gestreiften Parkas und Hipster-Brillen den Bauernmarkt entlang. Ihren Schafskäse (3,30 Euro pro 100g) geben sie in Jute-Beutel, um für Nachhaltigkeit zu sorgen. Anders als am Brunnenmarkt wird am Bauernmarkt nur deutsch gesprochen.

 

Christina Kampf sucht sorgfältig die schönsten Weintrauben für ihre Kundin aus. Die ältere Dame verkauft selbst produziertes Obst und Gemüse. „Es kommen ganz viele verschiedene Menschen zum Einkaufen. Aber Migranten eigentlich nie.“ Sie spazieren mit ihren Babys in Wickeltüchern, tragen Markenklamotten und bestaunen die liebevoll dekorierten Stände. Für Hipster gehört es zum guten Ton, am Bauernmarkt einzukaufen. Während die Menschen am Brunnenmarkt gehetzt von einem Stand zum anderen eilen und mit angestrengtem Blick die besten Zucchini herauspicken, schlendern die Besucher hier gemütlich an gut duftenden Blumenständen vorbei und genießen Kostproben von Bio-Brot.

 

Bionational

 

„Ich mag das Flair hier. Ich will etwas direkt vom Bauern kaufen und nicht etwas zugekauftes vom Ausland. Wenn man sich das Gemüse drüben (am Brunnenmarkt) anschaut, sieht das so unnatürlich und so groß aus“, sagt Studentin Andrea Polt auf ihren wöchentlichen Besuch am Bauernmarkt. Auch die schicke Serbin Mirjana Gajić teilt diese Meinung. „Ich bin so gut wie nie am Brunnenmarkt. Ich kaufe lieber direkt vom Bauern, da weiß ich wenigstens, dass sie aus Österreich stammen.“ Sie ist die erste Migrantin, die wir am Bauernmarkt treffen. Für Senol Akkilic von den Wiener Grünen hat der Biokonsum nicht zwangsläufig etwas mit der Herkunft zu tun: „Auch Migranten kaufen Bio ein. Es kommt auf die Einkünfte und den Bildungsstand an.“

Die Preise auf dem Bobo-Treff sind teilweise doppelt bis dreifach so hoch wie am Brunnenmarkt. Zehn Freilandeier kosten am Brunnenmarkt 1,20, am Bauernmarkt 2,80 Euro. „Den Türken ist das hier meistens zu teuer“, sagt Standbesitzer Walter Mayer. Die Rentnerin Maria Hadecek dagegen bereut keinen Cent, den sie am Bauernmarkt ausgegeben hat. „Ich komme seit 55 Jahren her. Ich bin einfach überzeugt, dass das ganze Zeug noch nicht so verseucht ist.“

 

Allmählich wird es stiller, die ersten Verkäufer räumen ihren Stand. Nur ein paar Meter trennen die beiden Märkte. Aber die Käufer wechseln nicht die Seiten. Am Samstagabend verschwindet der Bauernmarkt wieder für eine Woche und somit auch die Biowelt. Zurück bleibt der Brunnenmarkt, auf dem die letzten Besucher riesige Zucchini einpacken. Wir geben der österreichischen Biotomate hier noch eine letzte Chance. Vergeblich. Wir verlassen den Brunnenmarkt mit einem Kilo Tomaten aus Spanien – um einen Euro für null Bio.

 

 

von Alexandra Stanić und Amelie Chapalain (Fotos)

 

BIBER - GEWINSPIEL :


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Kommentare

 

Traurig nur, daß die meisten Leute lieber zwei Handys und drei Fernseher haben wollen, als naturbelassenes Gemüse. Und dann jammern sie, daß sei ja alles so teuer. Naja, es bliebe halt mehr übrig, wenn man sich nicht alle drei Monate ein neues Mobiltelefon zulegte und dauernd irgendsoeinen I-pad-pid-pod-book-Scheiß kaufte. Kein Mitleid mit solchen Wapplern!

 

 

 

haben Sie deswegen weniger Geld:

 

 
 
was z.T. noch schlechter ist. (denn so werden die Leute "unten" abhängig von dem Transfergeld gemacht..) - aber das Phänomen wird dadurch teilweise ebenfalls erklärt.
 
greets
 

Schön, dass dir die Reportage gefällt :) Mir wird bei diesem Ich-muss-immer-das-neueste-Handy-haben Phänomen auch schlecht. Als Wappler wollen wir aber trotzdem niemanden bezeichnen. Nicht jeder, der kein naturbelassenes Gemüse kauft, hat zwangsweise ein teures Handy, sondern kann es sich einfach wegen des geringen Einkommens nicht leisten oder glaubt nicht an den "Biowahn"

 

das mit dem einkommen ist ja wohl auch so nicht richtig, ein durchschnittlicher bauhakler hat jedenfalls ein höheres einkommen als ein durchschnittlicher geisteswissenschaftstudent, die meisten ökohippies sind auch keine gstopften. trotzdem wird man am bio markt eher zweiter gruppe finden.

 

das liegt ganz einfach an der bildung, an der gesellschafts schicht. man wird auf jedem biomarkt andere leute finden als im ghetto-pennymarkt, das liegt wohl nicht daran dass migranten in ottakring schlau genug sind, nicht auf den biowahn reinzufallen, sondern an den werten und am bewusstsein bildungsfernerer und bildungsnaher schichten, 

hakler haben auch mehr limonadenliterflaschen im kühlschrank als hochschulprofessoren und die verfettung der kinder ist auch tendenziell eher ein unterschicht problem, denn dort findet man auch eher eine playstation im kinderzimmer als bücher, egal ob bei österreichischen oder ausländischen prolos.

 

Liebe Alexandra und Amelie!

Eure Aussage: Reiche Bobos können sich leisten, teure Biotomaten zu kaufen und "arme MigrantInnen" müssen billigere Tomaten kaufen, ist sehr gut nachvollziehbar, aber sehr traurig zu finden in diesem Magazin.

Es ist klar, dass unser Einkommen enorm unsere Kaufentscheidungen bestimmt, trotzdem muss man wissen, woher der Unterschied zwischen konventionellen Tomaten um 1 Euro/Kg und biologisch angebauten Tomaten um 2,5 Euro/kg kommt. Ganz einfach: aus der Ausbeutung von Natur, Tieren und Menschen. Im Süditaliens, zum Beispiel, werden MigrantInnen aus Nordafrika unter menschenunwürdigen Bedingungen von der Mafia gemietet, um Tomaten zu pflücken (2 Euro pro Stunde und 15 Stunden Arbeit pro Tag ). Im Gegensatz ist die biologische Landwirtschaft gar nicht interessant für die Mafia Organisationen (Mafia, Camorra und 'Ndrangheta), denn sie zu mühsam (zeitintensiv) und der Gewinn zu gering sind.

Die Nobelpreisträgerin 2006 Maathai (aus Kenia) hatte sich schon mit der Verbindung zwischen Umweltschutz und Frieden beschäftigt:  ohne Umweltschutz kann es nicht Frieden geben. Was ich meine ist, der Klimawandel betrifft uns alle und alle unsere Enkelkinder und nicht nur reiche Bobos. In Bolivien und Mali gibt es auch experimentelle Märkte mit Bio-Produkten, die nicht zertifiziert werden, d.h. jene Kosten sind mit denen von konventionellen Produkten vergleichbar, damit Menschen mit geringem Einkommen auch ihren kleinen Beitrag zum Planetenschutz leisten können.

Wir wissen schon, was unsere Realität ist, aber wir müssen auch bewußt sein, dass wir über eine kleine Macht beim Einkaufen verfügen. Ein bisschen mehr Hoffnung in der Diskussion über Lebensstile schadet nicht.

 

Hallo stefidor,

danke für deinen konstruktiven Kommentar zu der Reportage.

Lg Alex Sta

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