Der Freiheits-Laster

12. November 2013

Mustafa Ali* ist Moslem und seit dem Krieg in Syrien kein Kind mehr. Der 15-Jährige und seine Familie wären vermutlich nicht als Schutzsuchende vom Innenministerium auserwählt und nach Österreich gebracht worden. Um hierher zu kommen, mussten sie Schlepper bezahlen.

 

Es ist eigentlich mehr Zufall, dass Mustafa Ali, seine Eltern und seine beiden kleinen Brüder am 22. Mai 2012 im Morgengrauen in Österreich aus dem LKW steigen. Der Schlepper hätte sie genauso gut in Deutschland, Tschechien oder jedem anderen EU-Land aussteigen lassen können. Die Familie weiß noch nicht genau, wo sie ist. Die Straße ist leer, in der Ferne flimmert ein Dörfchen, das gerade erwacht. Die Schlepperei ist eben ein unsicheres Geschäft. Es gibt keine Garantien und das Endziel ist ganz vage mit „Europa“ festgelegt. „Hauptsache weg aus Syrien“, sagt Mustafa Ali.

 

Der junge Mann ist einer von 915 syrischen Flüchtlingen, die im Vorjahr in Österreich um Schutz angesucht haben. Die meisten von ihnen sind illegal und mit der Hilfe von Schleppern ins Land gekommen – so wie Mustafa Ali und seine Familie.

 

Anfang 2012 herrscht in fast allen Städten Syriens Krieg. Die Familie lebt in Afrin, der Vater ist Sänger und arbeitet in Damaskus. „Dort war es ganz schlimm, überall Bomben“, sagt Mustafa. Die Familie packt so viel sie tragen kann und flieht zunächst in die Türkei, nach Istanbul. Das ist nur ein Zwischenstopp. Sie wollen nach „Europa“ und hoffen dort zur Ruhe zu kommen. Zu dieser Zeit hat Mustafa Alis Mutter schon Krebs. Aber das wird sie erst in einem österreichischen Krankenhaus erfahren. Sein Vater engagiert einen Schlepper, der sie in ein sicheres EU-Land bringen soll. Die Familie steigt in einen LKW, der hinter einer doppelten Wand einen kleinen, geheimen Raum versteckt. Es ist eng und dunkel. „Wir haben nur einmal kurz Pause gemacht, kein Ahnung wo. Wir mussten in Flaschen pinkeln und ganz leise sein“, erzählt der damals 14-Jährige. Er, seine Eltern und seine kleinen Brüder sind drei oder vier Tage lang unterwegs. Für die Reise hat die Familie 11.000 Euro bezahlt. Sie haben dafür ihr Haus und ihr Auto in Syrien verkauft.

 

Alpen statt Aleppo

In Österreich angekommen beginnt die Standardprozedur: zur Polizei gehen; sagen, dass man Asyl braucht und aus Syrien geflohen ist; Überstellung nach Traiskirchen; Interviews mit den Behörden; beweisen, dass man wirklich aus Syrien ist und vor dem Krieg geflohen ist. Tage später wird die Familie in einem Heim in Plankenau in Salzburg untergebracht. Es dauert nur ein paar Monate, bis sie einen positiven Asylbescheid bekommen.

 

 Heute leben sie in einem kleinen Dorf im Pongau in Salzburg mit Fensterblick auf die schon verschneiten Alpen. Seine Eltern gehen jeden Tag in den Deutschkurs und seine Mutter nimmt Medikamente gegen den Krebs. Sie möchten so schnell wie möglich eine Arbeit finden, „am Bau oder in irgendeinem Hotel“, sagt Mustafa Ali. Er selbst träumt davon eines Tages Architekt zu werden. Und wäre kein Krieg in Syrien ausgebrochen, wäre die Familie nicht geflohen, hätte er bestimmt eines Tages studiert. Hier ist sein Deutsch allerdings zu schlecht für das Gymnasium und er musste in die Berufsschule wechseln.

 

Zurück nach Syrien möchte der junge Mann nicht mehr. „Dort ist alles kaputt. Hier ist es viel schöner.“ Er hat schon davon gehört, dass Österreich 500 syrische Flüchtlinge zusätzlich aufnimmt und dass die Hälfte von ihnen Christen sein sollen. „Das ist nicht so gut, weil in Syrien fast alle Moslems sind. Was sollen die machen? Vielleicht werden sie ja auch Christen und dürfen dann nach Österreich.“

 

*Name auf Wunsch seiner Eltern von der Redaktion geändert.

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