Mein Schlafrythmus hat sich noch immer nicht normalisiert. Ich liege wach und klicke mich durch die Online-Medien. Das dominierende Thema "Fritzl" regt das Grübeln an und ich fange an an Dinge zu denken, die ich mit der Geschichte verbinde.

Das erste Bild, welches ich im Kopf hab ist seine versteckte Visage hinter diesem blauen Ordner. Das nächste Bild ist ein, am Boden liegendes Plakat in St.Pölten, wo irgendein Neunmalkluger "Austria- shame on you" geschrieben hat. Ich fange an, Mitleid mit Österreich zu haben, Mitleid mit den Menschen, die sich Österreicher nennen und deren Ruf weltweit durch diesen Psychopaten beschädigt wurde. 

Nun! Man kann über das Rechtssystem meckern. Man kann auch den Menschen in Amstetten unterstellen, dass sie weggeschaut haben, dass keiner sich gefragt hat, ob nun Elisabeth von einer Sekte Hirnwäsche bekommen hat und nicht nach Hause kommt. Alles kann man kritisieren, was einen selbst nicht betrifft. Es gibt Lücken, Fehler! Dies kann man nicht leugnen. Aber diese Fehler erkennt man, wenn es an die Öffentlichkeit gerät. Was aber, wenn das nicht der Fall ist? Was ist mit dem Ruf der Länder, in denen ähnliche Fälle von Missbrauch an eigenen Kindern passieren...und die Nachbarn, das Rechtssystem und die Medien wegschauen, weil es eine große Schande (sramota) ist. 

Österreich lässt zu, dass man darüber berichtet. Österreich wurde medial als das Land der Keller berühmt. Was ist aber mit dem italienischen Fall, der kurz danach an die Öffentlichkeit geriet. Da wurde doch auch ein Mädchen eingesperrt. Ist ein ähnlicher Fall nicht in Polen (oder wars doch ein anderes Ostblock-Land) passiert? 
Wieviele Väter haben noch ihren Töchtern Kinder gemacht? Und wie gehen die Länder damit um, deren Staatsbürger diese Väter sind. 

Österreich ist ein Land, meiner Meinung nach, welches bereit ist zur Einsicht. Mehr als andere Länder. Mehr als MEIN LAND.

Hier die Geschichte vom bosnischen Fritzl aus einem Nachbardorf: 

Ich erzähle von einem Mädchen. Sie weiß nicht einmal, dass ich ihre Geschichte kenne. Und sie weiß nicht, wie viele Leute ihre Geschichte kennen, aber nichts sagen. Ich war im Teenager-Alter in Bosnien auf Sommerurlaub. Ich fahre mit meiner Cousine durch ein Nachbardorf. Auf der Straße sieht sie einen besoffenen Mann, zeigt auf ihn mit dem Finger und sagt zu mir: "Schau dir den an. Seine Frau ist gestorben und jeder weiß, dass er seine Tochter vergewaltigt. Niemand will mit ihr in der Schule befreundet sein. Sie wird ausgegrenzt. Was für eine Schande (sramota). "

Ich frage die Cousine: "Kann ihr denn keiner helfen? Kann sie ihn nicht anzeigen?" 

Ich kam aus Österreich. Und in Österreich hören wir von Anzeigen wegen Kindesmissbrauch und Haftstrafen. Zwar viel zu niedrige Haftstrafen, aber dennoch Strafen. 

Die Cousine meint: " Haha. Wer soll sich darum kümmern? Wer kümmert sich um sie? Keiner will damit zu tun haben. Nicht die Polizei, nicht das Gericht und nicht die Leute! Man lässt sie in Ruhe und macht hohen Bogen um die Familie. Schande, überhaupt zu erwähnen, dass man es weiß!"

Es ist Jahre her, wo ich diese Geschichte gehört hab. Und jetzt wo über Österreich Schande gekommen ist, denke ich an mein Land, wie viel dreckige Schande an dessen, nach außen, sauberen Hemd klebt. 

"Sutiii, Sutiii! Sta te briga" - (Sei leise, Sei leise! Was geht es dich an?"---Kehre nicht vor fremden Haustüren, wenn es darum geht zu helfen? Kehre nur vor eigenen Haustüren, wenn du beim Kaffeeklatsch ein Thema brauchst.

Aber belassen wir es nicht bei meiner Heimat. Fritzl regt das Thema Missbrauch an. So auch letztens, wo ein türkischer Bekannter über ein Mädchen erzählt, welches an Magersucht leidet. Schnell kam er vom Thema Magersucht ab und äußerte die Gründe dafür, die eher mit dem Fritzl-Thema zusammenpassen, als mit dem Schönheitswahn mancher Mädchen.

Der türkische Vater vergewaltigte seine Tochter schon seit Kindheit an. Diesem Jungen vertraute sie sich an, weil sie beziehungsunfähig war und sie ihm die Gründe für ihr seltsames Benehmen beichten wollte. Aus der Familie weiß es keiner oder will es nicht wissen. Und die heilige Familie bei den Balkanesen und Türken wird zum Verhängnis.

"Zerstör nicht die Familie!" heißt es. "Bring keine Schande über uns" - "Wohin willst du gehen? Sei nicht so undankbar. Dein Vater bringt das Essen auf den Tisch!"

Tja. Alles Gründe, die so manche Mädchen daran hindern ihre Väter anzuzeigen. 

Halten wir fest! Schande ist nicht gleich Schande. 
Manches geschiet hinter verschlossenen Haustüren, Kellertüren! Ein geringer Teil kommt an die Öffentlichkeit. Und das, was wir in der Zeitung lesen, dominiert in unserer Wahrnehmung. 
Dann heißt es "Austria - shame on you"....

Ich sage: "Schande über die, die mit Schande drohen, damit ihre Schande nicht bestraft wird!"