Die Leiden des jungen Todor: "Ghetto Brigittenau"

04. Mai 2010

Wenn es warm ist, sind Straßen, Spielplätze und Parks voller Menschen. Sie lächeln und verbreiten eine Energie, die in den nobleren Stadteilen verborgen bleibt.

Von Todor Ovtcharov.

Ich wohne in einem Ghetto. Einige Bezirke in Wien wetteifern zwar emsig um diese Bezeichnung, aber wenn Wohnungspreise und der Ausländeranteil Hauptkriterien sind, gehört der 20. Bezirk eindeutig zu den Spitzenreitern. In meinem Haus wohnen zu 80 Prozent Ausländer, wenn man Menschen mit nicht-deutscher Muttersprache als „Ausländer“ bezeichnet. Keine Ahnung,
welche Pässe sie besitzen. Mir gegenüber wohnt eine bildhübsche Asiatin, die so aussieht, als ob sie einem Mangafilm entsprungen wäre. Ihr Freund hingegen ist hässlich wie die Nacht. Er schaut aus, als ob er sich mehrmals mit einem Bügeleisen übers Gesicht gefahren wäre. Gleich neben der Schönen und dem Biest wohnt Timur aus Tschetschenien mit seiner Frau, seinem kleinen Kind und einer weißen Katze. Über mir haust mein Freund Alpha aus Guinea, dem die Bekanntschaft mit unserer WG nicht gut tut, weil er keine starken alkoholischen Getränke verträgt.

Gott sei Dank keine Österreicher!

Ich weiß nicht, ob es an der Kultur oder am Alter lag, aber mit meinen österreichischen Nachbarn bin ich nie klar gekommen. Und das, obwohl ich gut Deutsch kann, als Kosmopolit erzogen bin und einigermaßen gut aussehe. Ich fühle mich hier im Ghetto wohler, niergendwo anders. Keine spießigen Nachbarn mehr. Keine „Ich hole die Fremdenpolizei“-Schreie mehr am
Korridor. Im 20. Bezirk gibt es aber auch Gangster. Ich habe einmal einen von ihnen kennen gelernt: Hakan. Er wollte mir das Handy abziehen, war dann aber zutiefst enttäuscht, dass es weniger als 20 Euro wert war und gab auf. Hakan wies mich darauf hin, dass der 20. Bezirk ein gefährlicher Ort für nächtliche Spaziergänge sei und dass ich aufpassen solle. Ich versicherte ihm, dass ich schon an gefährlicheren Orten gewesen bin und blinzelte ihm freundlich zu. Jemals ohne Schuhe nach Hause gegangen? Ich werde niemals vergessen, wie mir in Obelia, wo ich aufgewachsen bin, die großen Jungs meine neuen Airmax ausgezogen haben. Wie es Janis Joplin so schön gesagt hat: „Freedom is just another word for nothing left to lose.“

Zuerst Juden, dann Popkultur

Das Wort „Ghetto“ stammt übrigens aus dem Italienischen und bedeutet „Guss“, weil der erste Stadtteil, der für die jüdische Bevölkerung in Venedig bestimmt war, neben einer Gießerei lag. Danach stand das Wort allgemein für jüdische Viertel in europäischen Städten. Die tragische Geschichte des Warschauer Ghettos ist allen bekannt. Später wurde das Wort für amerikanische Elendsviertel verwendet. Durch die Rapper wurde das „Ghetto“ zur Popkultur. Mein Freund Vassko ist
ein Rapper, kommt aber aus der Stadt Nessebar an der Schwarzmeerküste. In Nessebar gibt es kein Ghetto. Nur antike
griechische Architektur, Hotels und Lokale. Das war für Vassko ein großer Tiefschlag. Deshalb beschlossen er und
seine Rapperfreunde, sich ein Ghetto zu erfinden: Irgendwo zwischen Hotels, Diskos, Wasserrutschen und Tavernen befand sich dieses imaginäre kriminelle Revier. Ohne Ghetto-Hintergrund kommt man als Rapper ja nicht weit. Es ist zwar nicht unbedingt erforderlich, aber auf jeden Fall hilfreich. So wie im Realsozialismus ein Arbeiterhintergrund
für einen Karrieresprung nützlich war. Es ist schön, im Ghetto von Wien zu leben. Und nicht nur als Rapper hat man es hier gut. Wenn es warm ist, sind Straßen, Spielplätze und Parks voller Menschen. Sie lächeln und verbreiten
eine Energie, die in den nobleren Stadteilen verborgen bleibt. Das Leben gemeinsam zu genießen ist schöner, als es abgeschieden hinter der Wohnungstür zu konsumieren.

Kommentare

 

Wie würde das aussehen, wenn man in einer Zeitung lesen würde "Gott sei Dank keine Türken!"??? Das ist nicht einmal in der Krone möglich. Deine persönliche Meinung kann dir keine nehmen, aber sie ist RASSISTISCH - nur weil Rassismus in die andere Richtung läuft, ändert das nichts an der Tatsache. Ich z.B. fühle mich beleidigt, mit ALLEN anderen Österreichern in einen Topf geworfen werden, und mit irgendwelche Eigenschaften aufgrund meiner Herkunft nachgesagt werden. Wie gesagt, deine Meinung kann dir keiner nehmen, aber überleg dir eventuell besser, was du in einer Zeitschrift, die noch dazu gratis verteilt wird, schreibst.

 

Habe mir die Zwischentitel nicht selber ausgedacht, werden immer in der Redaktion erfunden. Finde sie zu diesem Text sehr unpassend.

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