Die Leiden des jungen Todor: Scheißreich!

11. Juni 2012

 

Der nächste Schritt ist ein Bankkonto”, sagte ich zu meinem Freund Bobara. Nach einem Jahr in Wien, hatte er endlich einen Meldezettel. Normalerweise wäre dann sofort das Bankkonto an der Reihe. Für Bobara aber klangen meine Worte wie eine Beleidigung. „Die Banken, Bruder, wurden von Bankern erfunden, damit sie besser leben können!“

 

Schmutzige Geschäfte

Bobara hatte nie Lenin gelesen. Aber er besaß die gleiche undurchdringliche Logik. Wenn jemand reich ist, ist er auch schuldig. Die Bewegung „Occupy Wall Street“ ist noch nicht groß nach Osteuropa vorgedrungen, aber meine Landsleute hassen sowieso die Bankiers. Nach dem Fall des Kommunismus in Bulgarien wurden die Banken von ehemaligen Parteigrößen und Staatsicherheitsagenten privatisiert. Für eine Weile war „Bank“ ein schmutziges Wort. Die Banken wuschen das Geld der Ex-Komm-Partei und der Mafia.

Vor 15 Jahren kollabierte dann das Bankensystem in Bulgarien. Die Inflation erreichte 1000 Prozent. Es hat sich herausgestellt, dass die Banken nicht rückzahlbare Kredite vergeben hatten. Die Bankiers wurden Millionäre, die gewöhnlichen Menschen verloren ihre Ersparnisse. Daher kommt auch die eiserne Logik von Bobara. Er wurde so erzogen, dass man Banken und Behörden nicht trauen darf. Behörden solle man umgehen so weit man kann. In Bulgarien erzählt man den folgenden Witz: „Hallo, ist da die Energieversorgungsbehörde? – Nein, hier spricht die Wasserversorgungsbehörde. – Aha, egal. Eure Mütter f*** ich ebenfalls.“

 

Der polnische Kapitalist

Unser Nachbar in Sofia, Herr Janosz, ist Pole. Er ist genau das Gegenteil von Bobara, der als Vorstadtkind in Sofia geboren wurde. Pan Janosz stammt aus der Szlachta – der polnischen Aristokratie. Er versteht etwas von Kapitalismus. Vor fünf Jahren kaufte er das Grundstück neben unserem Haus. Er baute sich dort ein vierstöckiges Haus von mindestens 800 m2. Sein Palast verdeckte uns den Blick auf das Vitoschagebirge, das sich neben Sofia befindet. Er fuhr einen grünen „Bentley“ und benahm sich wie der Nachfolger von Jan Sobieski. Nachts betätigte er Pumpen, die den Inhalt seines septischen Lochs in unseren Hof auspumpten. Nachdem wir uns bei der Polizei beklagt hatten, schickte er uns Schläger. „Die Scheiße gehört ihm und er kann sie hinpumpen, wo er will“, sagten sie zu uns. Wenn uns das nicht gefalle, sollten wir umziehen. Da wir aber nirgends hingehen konnten, beglückten wir uns damit, Herrn Janosz den „Ober-Scheißer“ zu nennen. Das unterschied ihn von vielen anderen Scheißern in der Gegend. Einmal hat er fast meine 80-jährige Oma mit seinem Bentley überfahren. Sie schlug mit ihrem Gehstock auf das Auto. Er lehnte sich aus dem Fenster heraus und schrie: „Dieses Auto kostet eine halbe Million Euro!“ „Ich pisse auf deine halbe Million, mein Leben ist mehr wert!“, schrie meine Oma zurück. Diese Tat meiner heroischen Oma wärmte für lange Zeit unsere Herzen.

Bus statt Bentley

Der Ober-Scheißer hatte eine Baufirma irgendwo in Sofia. Nach 2008 kamen schlechte Zeiten für die Baubranche. Und für ihn auch. Es hatte sich herausgestellt, dass sein Palast der Bank gehörte, von der er Kredit bezogen hatte. Jetzt verkaufte die Bank sein Haus. Daraufhin folgte Herr Janosz dem Schicksal des Protagonisten aus dem berühmten Bob Dylan Song „Like a rolling stone“. Zuerst verkaufte er seinen Bentley und fuhr einem Hyundai. Danach verschwand auch der Hyundai. Meine Oma erzählte uns, dass sie ihn in einem öffentlichen Bus gesehen hatte. Zuerst glaubten wir ihr nicht. Sie beschrieb uns die Einzelheiten seiner Trainingshose. Wir glaubten ihr. Aus Mitleid hörten wir auf ihn „der Ober-Scheißer“ zu nennen und er wurde wieder Pan Janosz. Er fing sogar an, „Guten Tag“ zu uns zu sagen. Mit einem polnischen Akzent. 

 

In Arthur Penns Meisterwerk „Bonnie und Clyde“ aus dem Jahr 1967 beginnen die Helden Banken auszurauben, weil eine Bank das Haus eines ehrlichen Menschen verkauft. Für sie sind die Banken die Quelle menschlichen Leids. Wir wissen alle, wie Bonnie und Clyde enden. Ich frage mich, wem die Bank das Haus von Herrn Janosz verkaufen wird? Wer wird jetzt der neue „Ober-Scheißer“? Und was soll ich Bobara raten? Vielleicht hat er doch recht, was Banken angeht.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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