Die Leiden des jungen Todor: Zum Glück zu Fuß

07. März 2011

Ich traf neulich in Sofia auf meinen alten Sportlehrer und erzählte ihm, dass ich in Wien lebe. Danach fragte er mich, ob ich mir schon ein Auto gekauft habe. Das Erwerben eines eigenen Pkw ist ein Statussymbol, das für Männer und Balkanesen anscheinend unglaublich wichtig ist. Ich verstehe es überhaupt nicht und vertraue lieber und immer auf meine eigenen zwei Beine.

Automobiler Schrecken
Ich kann kein Auto fahren und hatte auch nie Interesse, es zu lernen. Für mich haben Autos nur Farben. Mir ist es total egal, ob ich in einem „Mercedes“ oder in einem „Lada“ herumgefahren werde. Das habe ich wohl von meiner Mutter geerbt – mit dem kleinen Unterschied, dass ich keinen Führerschein habe. Gott sei Dank, sonst wäre ich genau wie sie ein Schrecken für den Verkehr in ganz Europa. Meine Mutter kaufte sich ihr erstes Auto in Berlin. Gleich danach rief sie meinen Vater in Bulgarien an, um von ihrem neuen Spielzeug zu erzählen. „Und was für ein Auto hast du gekauft?“, fragte er. „Ein weißes“, antwortete meine Mutter stolz. Wenig später tauschte sie das weiße Auto bei einer Autobörse gegen ein rotes. Der türkische Autohändler fuhr ein bisschen mit dem weißen Auto herum. Danach fragte er höflich und voller Verwunderung: „Gnädige Frau, wie haben Sie das Auto überhaupt hierher gefahren? Es hat doch überhaupt keine Kupplung!“ Meine Mutter ließ sich aber bei den harten Verhandlungen nicht aus der Ruhe bringen: „Die Kupplung habe ich vielleicht zu Hause vergessen.“

Straßenbahn des Grauens
Ich bin auch kein Fan von öffentlichen Verkehrsmitteln. Das liegt vielleicht daran, dass ich ein Kindheitstrauma von den Öffis in Sofia habe. Ich erinnere mich an so manchen Wintermorgen, an dem ich mit der Straßenbahn zur Schule gefahren bin, wo die Türen nie richtig schlossen. „Nur nicht einschlafen“, dachte ich, weil ich die Kälte fürchtete und dass mich der „Weiße Tod“ holen könnte. Im Sommer hingegen gingen weder Türen noch Fenster richtig auf. Dann hörte man dicke Schweißtropfen mit einem lauten Knall von den Achselhöhlen der Bauarbeiter auf den Boden tropfen. Um nicht zu ersticken, musste man in guter Verfassung sein. In Wien gibt es keine derartigen Probleme mit den Öffis, aber ich kann mir selten die Karte leisten und wenn ich schwarz fahre, sterben Tausende meiner Gehirnzellen aus Angst, dass ich erwischt werden könnte.

Radweg in die Hölle
Ich fahre auch nicht mit dem Rad. Es gibt in Wien wunderbare Radwege, aber so wie ich mich kenne, würde ich unabsichtlich die erstbeste alte Frau überfahren, die den Radweg überquert. Und bei meinem Glück wäre sicher auch gleich der Sohn der alten Frau in der Nähe und ohne zu zögern bereit, mich zu verdreschen. Wenn gerade keine alte Frau auf dem Radweg steht, gäbe es sicher einen anderen Grund zu stürzen und mit der Nase auf den Asphalt zu prallen.

In der Stadt gehe ich immer nur zu Fuß – ganz egal, wie weit mein Ziel entfernt ist. Das hat auch den Vorteil, dass ich meine Gedanken richtig sammeln und Geschichten über Passanten erfinden. Meine Freunde halten mich für verrückt und ich finde selten Gesellschaft für meine endlosen Spaziergänge. Jeder hat seine Seltsamkeiten. Ich finde, dass beim Gehen die Details des Alltags am besten sichtbar werden. Ich werde mir wohl nie ein Auto kaufen.

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