Eine Švabica in Bosnien

05. Juni 2019

Orašje
Vor ihrem ersten Besuch bei der Familie ihres Freundes in Bosnien war Anna ziemlich aufgeregt.

Mein Freund hat mich letzten Sommer zum ersten Mal zu seiner Großfamilie ins bosnische Dorf mitgenommen. Trotz Einschusslöchern an der Wand, Spanferkelmenü als Vegetarierin und helmlosen Mopedspritztouren möchte ich am liebsten sofort zurück nach Orašje.

Von Anna Jandrisevits

Mein Herz pochte bis zum Hals, meine Handflächen waren verschwitzt und ich ging in meinem Kopf immer wieder dieselben Jugowörter durch, die ich mir in Wien in mein Notizbuch geschrieben hatte. „Dobar dan “ heißt „Guten Tag“ und „Dobra večer“ heißt „Guten Abend“. Aber soll ich so seine Familie begrüßen? Oder sage ich lieber „Bok“? Nein, „Bok“ heißt Tschüss. Oder doch Hallo? Egal, ein Zurück gab es nicht mehr. Ich befand mich bereits im Auto auf dem Weg nach Bosnien. Ein  Jahr zuvor verkündete mir mein Freund Daniel, dass sein Bruder nächsten Sommer in Orašje heiraten würde. Orašje ist der Heimatort von Daniels Eltern und sie luden mich in ihr Zuhause ein. Ich – noch nie auf einer Jugo-Hochzeit gewesen, aber mit burgenländisch-kroatischem Background aufgewachsen – stellte mir eine entzückende, kleine Feier am Land vor, bei der ich den einen oder anderen Verwandten meines Freundes kennenlernen würde. Als Daniel dann von „puh, naja, so ungefähr 500 Leuten“ sprach, wurde mir klar, dass nicht nur Daniels Cousins und Tanten vor Ort sein würden, sondern auch die Schwester des Onkels von dem Bruder seines Nachbarn. Kurz gesagt: Jeder, der jemals mit Daniels Eltern ein Wort gewechselt hat. Wie passte ich da hinein? Ich sprach weder Jugo, noch war ich jemals in Bosnien gewesen. Also sah ich mir in den kommenden Monaten bis zur Hochzeit jede Dokumentation über Ex-Jugoslawien an, die ich finden konnte und besorgte mir Wörterbücher, um einen guten ersten Eindruck zu machen. Vielleicht waren meine Anstrengungen ein bisschen übertrieben, aber wenn dich die Jugo-Familie deines Freundes nicht mag, kannst du eigentlich gleich Schluss machen. Deshalb ließ ich auch einen Besuch im guten alten „Viva“-Club nicht aus und sang beim Balkan-Evergreen „Samo Jako“ lauthals mit, als hätte ich noch nie ein anderes Lied in meinem Leben gehört.

Orašje
"Daniels engste Verwandte. Wirklich nur die engsten", versichert Anna.

ABGEBUSSELT

All diese Vorbereitungen hielten mich am Tag der Ankunft trotzdem nicht davon ab, nervöser als am Tag meiner Matura zu sein. Ohne Grund, wie sich herausstellte. „Da sind wir!“, hörte ich Daniel nach sechsstündiger Autofahrt bei unserer Ankunft sagen. Vor uns erschien eine holprige Straße mit Häusern, die von Grünflächen und Zäunen umrandet waren und meist keine Fassaden hatten. Viele Häuser waren mit Einschusslöchern versehen, die an den Krieg erinnerten. Der Krieg war es auch, der Daniels Eltern vor knapp 25 Jahren dazu zwang, aus Orašje zu fliehen und nach Wien zu kommen. Daniel blieb vor einem der Häuser stehen und ich konnte einen Blick in den kleinen Garten werfen, in dem ich bekannte Gesichter entdeckte. Daniels Eltern saßen an einem Gartentisch und tranken Kaffee mit einem Mann, der sich später als Daniels Onkel herausstellte. Wir waren noch nicht einmal aus dem Auto ausgestiegen und wurden schon von allen Seiten geküsst. Daniels Onkel umarmte mich, als wäre ich seine Tochter und schenkte mir ein Lächeln, das mich sofort alle Sorgen vergessen ließ.

LAUTSTÄRKE AUF MAXIMUM

Sobald wir unsere Koffer ins Zimmer gestellt hatten, stiegen Daniel und ich mitsamt Badesachen auf ein altes Moped und machten uns auf den Weg zu Daniels anderen Verwandten, die einige Häuser weiter wohnten und einen Pool hatten. Wir sagten im Vorhinein allerdings nicht Bescheid, dass wir kommen würden. Als Jugo kommt man nämlich immer unangekündigt auf Besuch, wie ich gelernt habe. Ohne Helm und mit Badehandtuch unter dem Arm wären wir in Wien wahrscheinlich nicht lange durch die Straßen gefahren. Aber in Bosnien habe ich die Polizei bis jetzt so oft gesehen wie vegetarische Gerichte auf der Speisekarte: Noch nie. Bei Daniels Verwandten angekommen, steigerte sich der Lärmpegel auf ein absolutes Maximum. Seit meinem Besuch im „Viva“ haben mir meine Ohren nicht mehr so leidgetan. Überall waren kreischende Kinder, die in den Pool hüpften und Betonstufen runterkletterten, sodass jede Helikoptermutter einen Herzinfarkt bekommen würde. Die Erwachsenen unterhielten sich in einer Lautstärke, in der selbst Heavy-Metal Sänger nicht mithalten hätten können. In jedem zweiten Satz wurde entweder ein Schimpfwort oder Jesus erwähnt (laut bosnischen Redakteuren eine maßlose Untertreibung). Es kam mir vor, als wären drei Fußballmannschaften gleichzeitig auf einem Grundstück. Das Faszinierendste an dem ganzen Spektakel war: Ich fühlte mich sofort wie zuhause.

„ABER LUNGENBRATEN ISST DU SCHON NOCH, ODER?“

Jeden Menschen, den ich in Orašje kennenlernte, schloss ich sofort ins Herz. Ob es nun die alten Omas waren, die uns hinter den selbstgestrickten Fenstervorhängen beobachteten oder die Kellner, die mir extragroße Portionen Pommes brachten, weil es das Einzige war, was ich essen konnte. Bezüglich meines nicht vorhandenen Fleischkonsums habe ich übrigens bestimmt ein paar Minuspunkte bei Daniels Verwandten kassiert. Niemand hat so richtig verstehen wollen, warum man freiwillig auf Spanferkel und Sarma verzichtet. Als ich kleinlaut anmerkte, dass ich kein Fleisch esse, entgegnete mir meine Schwiegermama: „Aber Lungenbraten isst du schon noch, oder?“ Ich verneinte und sie sah mich an, als hätte ich ihr gerade offenbart, ich wolle niemals Kinder haben. Der Nachwuchs ist bei den Jugos nämlich auch sehr wichtig, nix von wegen Einkindfamilie. Ich wurde gefühlte 80 Mal pro Tag gefragt, wann Daniel und ich heiraten und Kinder bekommen würden, aber davor hat man mich schon im Vorhinein gewarnt. Die Hochzeit von Daniels Bruder verlief übrigens großartig. Ich musste mich zwar teilweise mit Händen und Füßen verständigen, aber dazu kann ich nur die beliebte Redewendung meiner Schwiegermama erwähnen: „Das ist das“. Es bedeutet so viel wie „So ist es halt“ und ich finde kein Satz beschreibt die Jugo-Community besser. Im Sommer fahre ich natürlich wieder nach Bosnien. Aber dieses Mal mit einem etwas größeren Jugo-Vokabular und ausreichend Sojaschnitzel im Gepäck. 

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