Granaten in der Küche und Erdbeeren im Winter

18. Dezember 2013

Heute ist der internationale Tag der Migranten. Drei Viertel der biber-Belegschaft sind nicht in Österreich geboren. Statt Statistiken und politischen Apellen, erzählen wir von unseren ganz persönlichen „Migrations“-Geschichten.

 

Marko Mestrovic, Fotochef

Als ich vier war, hat eine Granate in unsere Küche in Mostar eingeschlagen. Meine Mutter hat mich und meine Schwester gepackt und ist mit meiner Oma nach Kroatien ans Meer gefahren und dann weiter nach Österreich. Mein Vater war schon hier. Das war im April 1992. Das erste, woran ich mich in Österreich erinnere, war das Wohnzimmer von meinem Onkel, dort haben wir alle kurz gelebt. Dann haben wir von einem sogenannten „Gutmenschen“ ein Haus bekommen, wo wir eine Zeitlang gratis lebten, bis wir auf eigenen Bein stehen konnten. (Anm.: Marko ist der bezaubernde Bub mit dem blauen Pulli in der Mitte.)

 

 

Adam Bezeczky, Sales und Vertrieb

Wien, September 1991. Wir rauschen mit unserem blauen Lada Žiguli über die Autobahn bis Györ in Ungarn und zuckeln dann über die Landstraße bis an die Grenze. Strenge Passkontrolle. Und dann – der Aha-Effekt: Das Gras auf der westlichen Seite ist wirklich grüner. Die Ortschaften sind so aufgeräumt und bunt, es gibt keine grauen Plattenbauten. Ankunft in Favoriten, wir finden unsere neue Adresse auch ohne GPS. Kurzer Spaziergang im Bezirk. Ich sehe das erste Mal im Leben eine Fußgängerzone. Der Beginn einer aufregenden, chancenreichen Zukunft …

 

 

Amar Rajković, stv. Chefredakteur

Wir wohnten in Himberg, bei Schwechat. Österreich wirkte für mich wie ein Märchenland. Lauter alte Leute mit weißen Bärten und Gesundheitsschuhen. Keinen Schmutz auf der Straße. Die Autos bleiben für Fußgänger am Zebrastreifen stehen, Hunde kriegen mehr Zuneigung als die Mitmenschen und die Häuser scheinen Teil einer Filmkulisse zu sein. Ich betrachtete meinen Aufenthalt hier als reine Hetz' und als vorübergehend. Schließlich warteten wir bis der Konflikt in unserer Heimat entschärft wird und wir dorthin zurückkehren können. In unsere Wohnung, auf die Veranda unseres Wochendhauses, auf den Schaukelstuhl unter dem Mandelbaum oder auf das Sofa, wo mein Vater sich für gewöhnlich von der Arbeit erholte und mir meinen Rücken kraulte.

 

 

Marina Delcheva, Leiterin biber-Akademie

Wir kamen 1993 in einem beigen Lada nach Österreich. Meine Mutter hatte ein Lehrstipendium an der Uni Salzburg bekommen. Ich kann mich ganz genau an die Einreise in Österreich erinnern: Es war Nacht und alles war hell erleuchtet. Überall strahlten mir McDonald’s-, Raiffeisen- und OMV-Schilder entgegen. So hell war es in Bulgarien damals nie nachts. Und es gab im Winter Erdbeeren im Supermarkt. Ein Tag nach dem Grenzübergang saß ich in einer vollen Vorschulklasse und eine Horde wilder Kinder redete in einer mir völlig unbekannten Sprache auf mich ein. Ich kann mich erinnern, dass ich etwas Mitleid mit den Kindern hatte. Meine Mutter hatte mir die Haare geflochten und mir ein hübsches Kleid angezogen und meine Mitschüler hatten alte Sachen mit Löchern in der Hose an. Ich dachte nur: „Hoffentlich haben sie zu Hause genug zu essen.“

 

Delna Antia, Chefin vom Dienst

So deutsch wie in Österreich habe ich mich nirgends gefühlt. Ich kam für ein Traineeship in der Unternehmensberatung, geblieben bin ich wegen eines Mannes. Meine ersten Vokabeln: "Bankomat", "Sandler" und "zach".

 

 

 

 

 

Irina Obushtarova, Marketingleiterin

Ich kann mich ganz genau erinnern, wie ich 2006 in meiner Heimatstadt Plovdiv in den Bus gestiegen bin - mit meinem nagelneuen 20-Kilo-Koffer voller Hoffnung. Als ich die Lichter der OMV-Raffinerie und das Schild der „Wiener Zeitung“ am frühen Morgen gesehen habe, wusste ich, ich bin ganz nah am Ziel – Wien! Es war Sonntag und ich hatte die Sandwiches von Mama schon aufgegessen. Also bin ich zum Billa gegangen. Zu meinem Horror habe ich feststellen müssen – Geschäfte in Österreich haben am Sonntag zu. Zum Glück habe ich die Tankstelle am Praterstern gefunden. Als ich die Verkäuferin nach einer „Tüte“ gefragt habe und sie misstrauisch die Stirn gerunzelt hat, stellte ich fest, ich werde an mein Schuldeutsch arbeiten müssen.

 

 

 

Info:

Im Jahr 2000 hat die UNO den 18. Dezember zum internationalen Tag der Migranten ausgerufen. Zehn Jahre zuvor wurde an diesem Tag die Konvention zum Schutz der Migranten und ihrer Angehörigen von der UN-Vollversammlung angenommen. Derzeit sind weltweit 45 Millionen Menschen auf der Flucht.

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