HART AM WIND

02. Oktober 2013

 

Nichts für Pampers-Träger: biber-Redakteur Amar Rajković folgt zwei Windradtechnikern zu ihrem täglichen Aufstieg in 100 Meter Höhe. Sicherheitsgurte an, Stoßgebet zum Himmel und los geht’s!

 

 

„Alles das, was aus der Steckdose herauskommt.“ Aha, jetzt habe ich endlich eine Ahnung, welche Fachhochschule Bernhard Rasinger absolviert hat. Dem 31-jährigen Windradtechniker und Dipl. Ingenieur für Infrastrukturwirtschaft steht bei unserer Begrüßung um acht Uhr morgens der Schlaf noch deutlich im Gesicht geschrieben. Kaum vorstellbar, dass dieser Kerl mit hagerer Gestalt in einer Stunde unsere Lebensversicherung in knapp 100 Meter Höhe sein wird. Dann geht es nämlich senkrecht auf das Windrad hinauf – auf einer Leiter, gesichert und in Anwesenheit von Profis. Eigentlich kein Grund zur Sorge, wäre da nicht die Höhenangst, die sowohl dem Fotografen als auch mir in der Nacht davor Albträume beschert hat. Aber irgendwie muss ich gegen diese Phobie ankämpfen, allein um zu vermeiden, immer wieder vom plötzlich aufreißenden Erdboden verschluckt zu werden.

 

Wind-o-rado

Unsere Destination ist Parndorf. Während Otto Normalverbraucher das beschauliche Dorf im Burgenland mit Marken zu Discount-Preisen verbinden, lässt die Parndorfer Platte das Herz jedes Windkenners höher schlagen. Sie zählt mit 300 Windrädern zu den windreichsten Binnenregionen Europas, die aus dem Landschaftsbild nicht wegzudenken sind. Die Anspannung steigt, Bernhard ist mittlerweile aus der Morgenapathie erwacht und wirft mit Fachwissen um sich. Das Windrad habe eine Spitzenleistung von 1,2 Megawatt, die Höhe der Gondel beträgt 86 Meter. Dort befinden sich der Generator und das Getriebe. Ich habe Schwierigkeiten, Bernhards 1x1 des Windrades zu folgen, zu groß ist die Angst vor dem bevorstehenden Aufstieg. Mein Körper geht schon in Abwehrhaltung, die Handfläche wird so feucht, dass mir der Kugelschreiber aus der Hand fliegt.

 

Nur noch 283 Stufen - Redakteur Amar hat seine Höhenangst NICHT besiegt

 

Stadtscheu

Wir nehmen die Autobahnausfahrt und fahren auf einem Feldweg weiter. Ein letztes Mal quält sich der alte BMW über Stein und Geröll bis er vor dem Propellergiganten halt macht. Aus der Entfernung sehen Windräder wie winzige Büroventilatoren aus, dieser Eindruck legt sich aber schnell. Bernhard und sein Partner Ely Moubueya arbeiten für das Energieunternehmen Ökostrom. Die Firma betreibt 16 Windräder, darunter die einzige Anlage in Wien, am Hafen Freudenau. Warum die Stadt nicht von Windrädern übersät ist, liegt am erzeugten Lärm und den strengen Sicherheitsauflagen: „Im Winter bilden sich Eisplatten auf den Rotorflächen, die beim Schmelzen zu tödlichen Geschossen werden können“, so Bernhard. Ich sehe mich schon als tollkühnen Reporter, der trotz Höhenangst da raufklettern will, um dann von einem Eiszapfen erschlagen zu werden. Zum Glück ist nicht Winter.

 

Angstschweiß und Rotorenlärm

Einmal wöchentlich inspizieren Bernhard und Ely die Windradanlagen. „Gewöhnlich sind es zwei Anlagen, maximal fünf“, grenzt Bernhard sein Arbeitspensum ein, während er mir mit dem Anlegen des Sicherheitsgurtes hilft. Die Gesundheit der Windtechniker hat oberste Priorität, ein falscher Schritt kann den Tod bedeuten. Deswegen ist es auch verboten, alleine auf den Turm zu klettern – ähnlich wie beim „Buddy“-System im Tauchen. Noch Handschuhe überziehen, kurze Einschulung und los geht’s! Ely schwingt sich als Erster auf die Leiter. Er ist schnell auf den Beinen und macht mühelos Höhenmeter gut. Ich versuche mich gar nicht stressen zu lassen, merke aber, dass selbst mein Fotograf hinter mir ungeduldig wird. Marko, du Verräter, dabei dachte ich, du hast auch Höhenangst! Ich lasse ihn vorbeiziehen. Hinter mir ist nur mehr Bernhard, der mich wie ein Fels in der Brandung mit Gesprächen ablenkt und mir auch jederzeit den Abstieg anbietet. „Du musst dich wohlfühlen, ich möchte dich nicht wie einen Bekannten runterholen müssen, der vom Festkrallen an der Leiter einen Abdruck auf den Händen hatte.“ In diesem Moment erfasst mich der Angstschweiß. Wir legen nach der zweiten Luke eine Pause ein. Plötzlich wird es ganz laut. Bernhards Augen fangen an zu funkeln: „Hörst du das?“, fragt er mich. „Das sind die Rotoren, die Anlage wurde gerade hochgefahren.“ Na, toll. Zur Höhenangst kommt jetzt auch noch die Seekrankheit. Der ganze Turm wackelt wie ein angeschlagener Boxer, das Ganze hat etwas von Ridley Scott‘s „Alien“ – Stahl, Platzangst, Lärm. Zum Glück sind wir gleich ganz oben, in der Gondel.

 

In der Gondel geht es ähnlich eng wie einem U-Boot zu

 

Über den Feldern

Im Herzstück der Anlage steht ein riesiger Generator, der die durch Wind gewonnene Energie ins Stromnetz einspeist. Dahinter das Getriebe, rechts davon ein Computer mit Anzeigen zur Windgeschwindigkeit gewonnener Energie und anderen Parametern, die nur Fachmännern etwas sagen dürften (Nein, ich bin keiner). In der Gondel ist jeder Schritt gut überlegt und ich bin froh, als Ely die Luke zur Freiheit aufmacht. Es wird endlich wieder hell. Die gigantischen Rotorblätter rauschen knapp an meinem bosnischen Riesenschädel vorbei, der Ausblick aus 86 Metern Höhe ist überwältigend. Sowohl Bratislava als auch der Neusiedlersee verzieren das Panoramabild. Am Horizont rotieren schier unzählige andere Windanlagen um die Wette, das hat etwas Hypnotisches. Petrus ist uns an diesem Tag wohlgesonnen und lässt das ganze Parndorfer Becken im Sonnenschein erstrahlen. Immer wieder dreht sich die Gondel in die Richtung des Windes, selbst die drei 60 Meter langen Rotorblätter können sich drehen. Erst jetzt wird mir klar, was für Hightech-Geräte die dreiblättrigen Riesen tatsächlich sind und welche verantwortungsvolle Aufgabe Ely und Bernhard bei ihrer Arbeit übernehmen. Ganze 500 Mal hat der Hobbymusiker seit 2009 ein Windrad bestiegen. Er steigt auf die Decke der Gondel und streckt seine Arme zu den Rotoren: „Hier beginnt das, was du aus der Steckdose herauskriegst.“ So simpel und doch so faszinierend. Sein Kollege Ely nickt: „Ich habe beim ersten Einsatz Gott gebeten, mir meine Sünden zu verzeihen, weil ich Todesangst hatte.  Jetzt kann ich mir keinen besseren Job vorstellen.“ Die Jungs lieben ihre Arbeit. Und ich meine. Besonders nachdem ich den festen Boden unter meinen Füssen wieder spürte. PS: Ich fordere eine Gehaltserhöhung!

 

Größenvergleich: Mensch im Vordergrund und im Hintergrund die

aus Glasfasern hergestellten Hi-End Rotoren

 

Fotos: Marko Mestrovic

 

INFOBOX

Windenergie – mehr als ein laues Lüftchen?

  • Windenergie deckt 6% des Strombedarfs österreichweit.
  • Rund 65.000 Windräder gibt es europaweit, 772 in Österreich (Stand: Ende September, Quelle: IG Windkraft).
  • Eine moderne Windkraftanlage mit drei Megawatt Leistung erzeugt pro Jahr Strom für den

Verbrauch von mehr als 1.800 Haushalten oder 5.700 Personen, diese entspricht der Größe von Melk, NÖ.

  • Mehr als eine Million Haushalte beziehen Windenergie (30% österreichischer Haushalte).
  • Die Anschaffung eines Windrades kostet rund zwei Millionen Euro.

Lust auf einen Windrad-Ritt?

 

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