Hauptberuf: Versuchsobjekt

08. September 2022
Für zwei Wochen ins Krankenhaus, obwohl man völlig gesund ist? Was, wenn man dafür 5.000 € angeboten bekommt? Jonas* ist Student, Mitte zwanzig und verdient mehrere Zehntausend Euro im Jahr als Versuchskaninchen. Über Impfgegner bei Medikamentenstudien, die Risiken und das Geschäft mit der Gesundheit. 
 
Interview: Nada El-Azar-Chekh, Illustrationen: Thomas Süß
 
Versuchskaninchen
©Thomas Süß
 
BIBER: Wie lukrativ ist die regelmäßige Teilnahme an medizinischen Studien?
 
Jonas: Seit 2021 habe ich relativ viele dieser Studien gemacht, da die Uni ohnehin im Distance Learning war und ich mir dachte, ich kann ja auch trotzdem weiter Geld verdienen, statt zuhause am Laptop rumzusitzen. Ich möchte keine genauen Angaben machen, aber im vergangenen Jahr habe ich mehr als 24.000 Euro so verdient. Dazu muss ich aber sagen, dass ich ein wenig getrickst habe, um öfter an Studien teilnehmen zu können. Davon würde ich jedem abraten, denn man verliert ziemlich viel Blut dabei.
 
Das entspricht schon einem ziemlich guten Gehalt. Hast du jemals Nebenwirkungen gespürt?
 
Sagen wir mal so: Ich hatte noch nie unerwartete Nebenwirkungen. Man bekommt stets Aufklärungsmaterial, in dem alles aufgelistet ist, was passieren kann: Schlimmstenfalls stirbt man, was eine Probandenversicherung mit 15.000 Euro deckt. Im Falle einer Invalidität gibt es eine halbe Million. Wenn man prinzipiell ängstlich ist, ist das natürlich abschreckend. Andererseits stehen auch Dinge wie Herzinfarkt als mögliche Nebenwirkung im Beipackzettel von gängig konsumierten Mitteln wie Ibuprofen.
 
Ibuprofen ist aber ein gut erprobtes Medikament. Wird dir bei den neuen Präparaten, die noch nicht an Menschen getestet wurden, nicht mulmig?
 
Bevor neue Präparate an Menschen getestet werden, gibt es Tierversuche. Im Aufklärungsmaterial ist ebenfalls aufgelistet, welche Nebenwirkungen etwa eine Maus mit der tausendfachen Dosis bekommt. Wenn dann drinsteht, dass ein Hund ein Hodenkarzinom davongetragen hat, wird mir aber schon mulmig. 
 
Gibt es gar keine Tabus?
 
Krebsmedikamente und Psychopharmaka habe ich noch nie getestet. Und ich kenne auch viele Menschen, die das nicht machen würden.
 
Warum
 
Bei Psychopharmaka ist die Angst, Depressionen oder Verstimmungen zu bekommen, natürlich verständlich. Und Krebsmedikamente gelten einfach als besonders starke Medikamente und der Respekt davor ist sehr groß. Ich habe einmal mit jemandem gesprochen, der bestimmte Krebsmedikamente testete, welche die Blutzellenproduktion anregen sollen. Er hatte davon richtig heftige Schmerzen im Rückenmark und würde das nicht wiederholen. 
 
Wie bist du darauf gekommen, an medizinischen Studien teilzunehmen?
 
Mit 18 Jahren habe ich mich nach unkomplizierten Möglichkeiten umgesehen, Geld zu verdienen, und begonnen Plasma zu spenden. In Deutschland, wo ich damals lebte, darf man maximal 60 Mal im Jahr Plasma spenden. Das Institut, bei dem ich gespendet habe, hatte einmal eine Studie gestartet, bei der man weit über 100 Mal im Jahr spenden konnte. Da gab es also nicht direkt Geld dafür, aber der Vorteil war eben, dass man mit häufigen Spenden mehr Geld verdienen konnte. Das war mein erster Kontakt.
 
Wie ging es dann weiter?
 
Später habe ich im Internet ein Auftragsforschungsinstitut in Berlin gefunden, das eine Bettenstation außerhalb von einem Krankenhaus hatte – mit Pflegepersonal, Ärzten und eigenen Betten – und dort wurden nur klinische Studien für Pharmaunternehmen durchgeführt. Meine Bewerbung hatte ich dort zwar hingeschickt, aber zunächst einmal an keinen Studien teilgenommen. Erst einige Zeit später bekam ich einen Anruf, dass man für eine Studie in Berlin dringend Probanden suchte. Die Studie dauerte nicht einmal eine Woche und ich musste Blutgerinnungshemmer einnehmen, also nichts Wildes. Es wurde Blut abgenommen, EKGs wurden gemacht und so weiter. Dafür gab es über 2000 Euro. Ein Jahr später habe ich wieder an einer anderen Studie teilgenommen, die lief ungefähr zwei Wochen und es gab 5000 Euro dafür. Heute bewege ich mich zwischen Deutschland, Österreich und Belgien für die regelmäßige Studienteilnahme.
 
So viel Geld in so kurzer Zeit verdienen zu können, ist natürlich gerade für einen Studenten verlockend. Liegt das daran, dass man zur Beobachtung auf der Station behalten wird?
 
Genau, einerseits wird dir für eine gewisse Zeit die Freiheit entzogen. Andererseits geht’s da auch um Medikamente, die noch nicht zugelassen sind. Dementsprechend gibt es für das Risiko und den Aufwand eine entsprechende finanzielle Entschädigung.
 
An welchen Arten von Studien hast du schon teilgenommen?
 
Ich mache eigentlich alles mit. Bis jetzt habe ich viele Herz-Kreislauf-Studien gemacht, aber auch für Diabetes, Alzheimer und Nierenerkrankungen habe ich Mittel getestet. Inklusive Blutverdünnern, Blutgerinnungshemmern, Blutgerinnungsfaktoren… aber so genau weiß ich nicht mehr, was ich schon alles genommen habe.  
 
Gab es unangenehme Effekte?
 
Bei einer Studie, an der ich in Graz teilgenommen hatte, wurde es unangenehm. Ich nahm ein Medikament ein, das im Blut wirkt, und bekam starkes Fieber und Schmerzen. Die Ärzte gaben mir Paracetamol und mir ging es nach einem Tag wieder gut. Das waren allerdings auch erwartbare Nebenwirkungen.
 
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©Thomas Süß
 
Kam es jemals zu einer Situation, in der du dachtest, dass du lieber aufhören solltest?
 
Ich habe an einer Studie teilgenommen, bei der zum Schluss eine Lumbalpunktion durchgeführt wurde. Sprich, jemand steckt dir eine dicke Nadel zwischen die Lendenwirbel und nimmt eine Probe der Nervenflüssigkeit. Dabei lag ich seitlich mit meinem freigelegten Rücken zur Ärztin, was eine ziemlich unbehagliche Position für mich war. Wohl durch meine eigene Verspannung klappte es nicht beim ersten Mal und die Ärztin musste die Nadel wieder herausziehen – ein weiterer Versuch ging aber nicht mehr, da ich bei jeder weiteren Berührung sofort zusammengezuckt bin. Die Ärztin war durchaus eine erfahrene Neurologin, aber so etwas würde ich nie wieder machen. 
 
Welchen Menschen begegnest du bei diesen Studien? 
 
50 Prozent der Leute, denen ich begegne, sind Studenten. Das ist logisch, denn diese Tests brauchen Probanden, die Zeit haben und flexibel sind, und die in gewisser Weise offen für die Einnahme von medizinischen Präparaten sind. Dann gibt es natürlich auch viele Arbeitslose, die sich, ähnlich wie Studenten, auch Zeit nehmen können. Auch Menschen, die Schulden haben, sind dabei. Bei den Arbeitslosen sind zugegeben viele Weirdos dabei.
 
Inwiefern sind diese Leute „weird“?
 
Es sind erstaunlich viele Impfgegner dabei – also Menschen, welche die Corona-Impfung ablehnen, weil sie nicht „wissen, was drin ist“. Die dann aber im Umkehrschluss an einer Medikamentenstudie teilnehmen!
 
Wie passt das zusammen? Liegt es nur am Geld, das man für die Studien bekommt?
 
Ich denke schon. Außerdem habe ich den Eindruck, dass das Leute sind, die sonst den ganzen Tag zuhause sitzen und sich irgendwelchen komischen Telegram-Geschichten hingeben. Vielleicht sind sie einfach anfällig für Schwachsinn. Ich treffe generell auch häufig auf Menschen, die man in einem normalen Arbeitskontext so nicht antreffen würde, die sozial eher isoliert leben. Da gab es schon einmal einen Junkie, der zwar clean für die Studie war, mir aber von seinem irren Crack-Konsum erzählte. Ich kann mich auch gut an einen anderen Probanden erinnern, der pausenlos irgendwelchen Müll geredet hat – dass er mit Aliens sprechen könnte und so weiter. Er hat auch an richtig vielen Studien teilgenommen und war den Testleitern und anderen Probanden gegenüber richtig eklig und penetrant. Er wirkte mitunter fast schon psychotisch. Aber ich bin kein Psychiater oder Psychologe. Alle Probanden erfüllen natürlich körperlich die Voraussetzungen für eine Teilnahme – manche sind aber eben einfach extrem weird. Natürlich sind auch viele Doktoranden und sonstig unauffällige Menschen dabei.  
 
Es werden überwiegend Männer für die Testung von neuen Präparaten gesucht. Woran liegt das?
 
Ich bin kein Arzt, aber ein wichtiger Faktor dafür ist sicherlich, dass Eizellen bei Frauen einfach kaputt gehen, wenn sie durch irgendwelche Präparate einen Schaden bekommen. Bei Männern wird Sperma jeden Tag neu produziert und daher besteht in Sachen der Fruchtbarkeit ein deutlich geringeres Risiko.
 
Wie reagiert dein Umfeld auf das, was du machst?
 
Viele meiner Freunde und meine Familie sind negativ eingestellt und raten mir natürlich davon ab. Meiner Freundin gefällt es auch nicht unbedingt, wenn ich 20 Tage ins Krankenhaus gehe, keine Frage. Aber es spielen da ihre eigenen Ängste auch mit hinein. Es gibt schon ein gewisses Stigma, ob ich es denn nötig hätte, meine Gesundheit aufs Spiel zu setzen.
 
Prominente Pharma-Skandale aus der jüngeren Vergangenheit: Im Jahr 2016 kam bei einer klinischen Studie in Frankreich ein Mann zu Tode, vier weitere trugen nachhaltige Gehirnschäden davon. Und 2006 entgingen in London sechs Männer nur sehr knapp dem Tod, während einer Antikörper-Studie…
 
Man muss sich des Risikos einfach bewusst sein und damit leben können. Dasselbe deutsche Forschungsinstitut aus London, bei dem die sechs Probanden beinahe gestorben wären, hat übrigens eine Zweigstelle in Berlin. Dort habe ich auch schon an Tests teilgenommen. Und im Falle der Studie in Frankreich lag der Fehler bei der Aufsicht, die trotz Veränderungen in den Laborwerten nicht interveniert hat. Das sind erhebliche Sicherheitsmängel, denen man aus einem monetären Interesse nicht nachgegangen ist. Die Studie wurde einfach aus finanziellen Gründen nicht abgebrochen.
 
Sind solche Fälle nicht ein Grund zur Sorge?
 
Schon. Aber theoretisch kann man auch in ein Flugzeug steigen, das dann abstürzt. Es gibt immer Risiken. Es gibt Menschen, die nicht so technokratisch an die Sache gehen und aus spirituellen oder religiösen Gründen nicht in ihre Körper eingreifen würden - weil sie ein starkes Schamgefühl haben, oder ein gewisses Gefühl der Würde nicht verlieren wollen. Manche kommen nicht damit klar, mal im Liegen in eine Flasche pinkeln zu müssen oder zwei Venenverweilkanülen im Arm zu haben, oder eine Nadel in den Rücken zu kriegen. Manchmal bekommt man auch für die gesamte Dauer der Studie den übelsten Krankenhausfraß vorgesetzt – zum Beispiel bei der Forschungsstelle, wo in London so viel passiert ist – und ich muss dann zusehen, dass ich genügend Protein in meinen Körper bekomme. Bei der Kaffeeausgabe, wir dürfen nur koffeinfreien trinken, lasse ich mir den Becher fast komplett mit Milch auffüllen, damit ich extra Eiweiß zu mir nehme. Ein vegan lebender Proband hat während einer Studie keine speziellen Speisen bekommen und verlor ziemlich viel Gewicht über die Laufzeit. Das ist die Kehrseite, die man vielleicht nicht häufig genug anspricht. 
 
Wie lange willst du an Studien teilnehmen?
 
Ich fühle mich absolut gesund und bin fit. Solange das so bleibt und die Teilnahme mit meiner Karriere vereinbar ist, werde ich so weitermachen.
 
 
 
 
*Jonas heißt eigentlich anders und möchte anonym bleiben. 

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