Hoffnung für die verlassenen Kinder Moldaus

31. Januar 2020

Stetige Abwanderung und wirtschaftliche Stagnation führen dazu, dass immer mehr moldauische Eltern auf der Suche nach Arbeit ihre Kinder zurücklassen müssen.


Rasch geleitet man uns herein ins Gebäude, an Wohnbereichen und Kunstworkshops vorbei, zu unserem Zielort. Wir marschieren das Treppenhaus hinunter und gelangen in ein Wohnzimmer. Am anderen Ende des Raumes stehen ungeduldig drei Mädchen und drei Burschen. Sie möchten das Gespräch mit uns schnell hinter sich bringen. Nicht, weil sie ungern über ihr Schicksal reden - nein, „die Kinovorstellung beginnt bald“, lässt uns Helena mit einem Grinsen wissen.

Helena ist eine muntere und aufgeschlossene 20-Jährige aus dem Umland der Hauptstadt Chisinau. Sie besucht gerade die Tourismusschule in der Stadt und möchte dazu auch noch Schauspielerin werden. Sie wirkt fokussiert und reifer als ihr Alter es vermuten würde, deswegen erscheint mir ihr Traum von Hollywood gar nicht so weit fern. Helena und ihre Freunde sind „children-at-risk" – das sind Kinder und Jugendliche in der Republik Moldau, die nicht bei ihrer eigentlichen Familie leben. Ihre Eltern sind entweder zu arm, arbeiten im Ausland oder sind schlichtweg überfordert. 

Chisinau, ADA, Kinder, Moldawien

ADA und Concordia

Die Republik Moldau ist seit 2004 ein Schwerpunktland der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit. Mit der Unterstützung der Austrian Development Agency (kurz: ADA) hat sich die zivilgesellschaftliche Organisation Concordia dem Problem angenommen. Sie stellt in eigens errichteten Sozialzentren betreute Wohnangebote und auch Einzelbetreuung zur Verfügung. Gruppenaktivitäten, Feste und Beschäftigungsangebote sorgen für soziale Kontakte. „Wenn man nicht mehr weiß, wie man die Kinder ernähren soll, woher man das Geld für Lebensmittel, für die Schule, für Kleidung nehmen soll, helfen wir“, so Verena Roringer von Concordia. Die Österreicherin verurteilt auch nicht die Eltern, die ins Ausland gehen, um etwas Geld zu verdienen: „Sie brauchen es schließlich zum Überleben.“

Chisinau, ADA, Kinder, Moldawien

In den ländlichen Regionen Moldaus haben die Menschen meist keine oder nur schlecht bezahlte Arbeit. Armut, Abwanderung in die Städte und Arbeitsmigration ins Ausland sind die Folge. Moldau hat die europaweit höchste Arbeitsmigration. In den letzten zehn Jahren ist mehr als ein Drittel der arbeitsfähigen Bevölkerung und damit fast eine Million Menschen ins Ausland emigriert. Oft bleiben nur die Alten und die in deren Obhut zurückgelassenen Kinder und Jugendlichen in den Dörfern zurück. Ohne Geld und ohne Perspektive. 

„Ich möchte in Österreich studieren“

Anastasia wurde von ihren Eltern verlassen als sie vier Jahre alt war. Sie sind mit ihrer älteren Schwester nach Moskau gezogen und haben sie und ihre anderen Geschwister bei ihrer Großmutter zur Obhut gegeben. Doch nach dem Tod der Großmutter ist die damals Achtjährige mit ihren Geschwistern zur Concordia gekommen. Anastasia bewarb sich später an der Universität und absolviert jetzt erfolgreich ihr Studium in Chisinau. Sie blickt zurück: „ Concordia hilft uns sehr. Ich lebe hier mit meinen Brüdern. Wir wachsen gemeinsam auf. Neben dem Studium arbeite ich auch jeden Abend in der Gastronomie. Ich bin sehr glücklich, denn es ist schwer, neben dem Studium eine Arbeit zu finden." So wie Helena hat Anastasia eine klare Vorstellung von ihrer Zukunft: „Ich möchte in Österreich studieren und danach aber in mein Heimatland zurückkehren, ich liebe Moldau.“

Das Gespräch mit den zwei inspirierenden Frauen ist leider schon zu Ende. Die Zeit verging wie im Flug und wie schon eingangs angekündigt, müssen die Freunde ja unbedingt ins Kino. Vorher wollen wir aber noch ein paar Fotos von der „Gang“ schießen. Ich bedanke mich für ihre ehrliche Art. Es ist nicht selbstverständlich, mit wildfremden Menschen über solche Schicksalsschläge zu reden. Sie entgegnen mir: „No, thank you for listening to us.” Vielleicht sehe ich ja Anastasia bald, wenn sie ihr Studium in Österreich anfängt. 

Von Andrija Perkovic (Text und Fotos)Chisinau, ADA, Kinder, Moldawien

 


 

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