Ich zahl', Baby!

04. Mai 2011

Öster-reich? Zuwanderer haben oft das Gefühl, sie sind in Öster-arm gelandet, wenn sie sehen, wie verkrampft ihre einheimischen Mitbürger mit Geld umgehen. biber über alltägliche Kulturschocks und ihre Hintergründe.

Von Ivana Martinović, Lucia Bartl und Philipp Tomsich (Fotos)

Über zwei Verliebte an der McDonald’s-Kassa, erzählt biber-Userin Melisa: Sie halten Händchen, ein kleiner Kuss, sie bestellen: Nach einem Blick in ihre Tasche sagt das Mädl erschrocken zu ihrem Freund:
„Markus, ich habe kein Geld mit. Kannst du bitte heute zahlen?“
Er genervt:  „Geh bitte Julia, wenn es unbedingt sein muss. Aber nur den Burger, kein ganzes Menü!“

Zur selben Zeit an der Nebenkassa: Zwei Jugo-Frauen mit insgesamt fünf Kindern duellieren sich mit einem 50 Euro Schein um die Rechnung: „Ich zahle und fertig!“… „Wehe dir, ich zahle“…

Wenn es um die Einstellung der Österreicher zum Geld geht, erleiden Migranten regelmäßig einen Kulturschock. Ein Best-of*:

 

 

Kulturschock 1: Das erste Date
Die Bulgarin Elena datet Bernhard, einen österreichischen Wirtschaftsstudenten aus gutem Hause: Nach einem vielversprechenden Abend bringt der Kellner die Rechnung … und das war es auch schon wieder mit der gemeinsamen Zukunft. Der Typ sagt nämlich die magischen Worte, die für alle Frauen vom Typ Elenas das Vorzeitige Aus eines Dates bedeuten: „Also ich hatte …“

Damit noch genug, dass Elenas ihre Kalbsmedaillons und ihren Weißen Spritzer selbst zahlt, er setzt die hoch behakte Elena auch noch bei der U-Bahn ab und braust mit seinem Cabrio von dannen. Bernhard: 0 Punkte.
„Bevor ich einer Frau zeige, dass ich mir ihr Abendessen nicht leisten kann oder will, verschulde ich mich lieber“, gibt Türke Mert Bernhard Nachhilfe.

 

 

Kulturschock 2: Die „Einladung“
Fremdschämen sich Migranten bei Einladungen, wenn sie folgendermaßen ablaufen: Die Serbin Gordana ist bei einer österreichischen Studienkollegin zum Spaghetti-Essen zu Gast. Als der Abend gelaufen ist, wirft die Österreicherin in die Studenten-Runde, sie bekomme für das Essen von jedem zwei Euro. Gordana fühlt sich herzlich eingeladen … zum Zahlen. Das tut sie und kommt nie wieder.
Aleksandra wird von einer österreichischen Freundin angerufen, die am Wochenende eine Party schmeißt: „Nimm bitte Geld, Getränke oder Knabberzeug mit“, bittet die Gastgeberin. Aleksandras Mutter, die gerne 5-gängige Menüs auftischt, und jede Kostenbeteiligung als Beleidigung ansehen würde, rät: „Hau dir zu Hause noch den Bauch voll, wenn es dort nur Chips und Soletti gibt.“

 

 

Kulturschock 3: Die strenge Rechnung
Für Migranten ist Freigiebigkeit Ehrensache. Die Polin Ewa wird nie vergessen, wie ihr ein österreichischer Freund einmal 20 Cent für eine Zigarette anbot. In ihrem Land gehen die Tschick-Packerln die Runde, bis sie leer sind.
Die Spanierin Huanita erinnert sich an die strengste Rechnung ihres Lebens. Sie kassiert bei einem Pärchen je 1,35 Euro für eine Suppe: das Pärchen hat die Suppe zwar gemeinsam ausgelöffelt, gezahlt wird aber getrennt.
Jelena stößt im Elternhaus ihres österreichischen Freundes an kulturelle Grenzen, als sie sich ein Gummibärchen nimmt. Das Schälchen vor ihr auf dem Tisch als Einladung zum Zugreifen interpretiert, vergreift sie sich gerade am Vorrat von Muttern, worauf sie ihr Freund nervös hinweist.

 

Emanzipiert?
Was sagen die Österreicher zu solchen Storys, vor allem zur Causa Prima: Erstes Date? Sabine legt keinen Wert darauf, dass sich Männer die Zuneigung der Frau „erkaufen“, wie sie es drastisch ausdrückt. Für sie ist es Ausdruck von Emanzipation, selbst zu zahlen. Der erfahrene Sigi, der mit seinen 50 Jahren schon viele erste Dates hatte, hätte mit Sabine keine Freude. „A Frau, die nix gezoiht hom wü, bei der geht nix.“ Phillip geht den Mittelweg: zahlt bei den ersten zwei Dates, kommt beim dritten Date kein Angebot von ihr, fühlt er sich ausgenutzt.“
Claudia wiederum lebt ihre Emanzipation lieber im Business-Meeting aus als beim 1. Tête-à-Tête: „Wer nicht zahlt, fliegt.“ Ganz südländisch eben.

*Quelle: Berichte von biber-Lesern, die sich auf www.dasbiber.at an der heftigen Diskussion über geizige Ösis beteiligt haben, eigene Erfahrungen der Redakteure

 

 

 

 

Was sagt Soziologe Kenan Güngör?


Getrennt zahlen beim 1. Date, typisch österreichisch?

In industriell entwickelteren Ländern wie Österreich gestalten immer mehr Menschen ihr Leben selbst und hängen nicht von der Gruppe ab. Somit führen sie auch eine individuelle Kostenrechnung. Sie wollen zeigen, dass sie auf niemanden angewiesen sind. Das hat nichts mit Geiz zu tun, sondern mit einer anderen Einstellung zum Geld.

 

 

 

Warum ist es für viele Migranten ein Kulturschock, wenn der Österreicher getrennt zahlen will?

Viele Migranten kommen aus einem Kulturkreis, wo der soziale Zusammenhalt noch immer eine große Rolle spielt. Wer Hilfe braucht, greift auf Nachbarn und Familie zurück. Zeremonien, Gesten, wie die gesamte Rechnung zu bezahlen, symbolisieren die Unterstützungsbereitschaft: „Ich bin bereit mehr für dich zu geben. Du kannst auf mich zählen, auch in anderen Lebenssituationen.“  Österreicher bekommen Unterstützungen wie Arbeitslosenhilfe, Kindergeld etc. von abstrakten, sterilen Institutionen, für die man keine emotionale Bindung und Rituale braucht.


Sind jüngere Migranten bald ähnlich „individualisiert“?

In der dritten Generationen könnte getrenntes Zahlen bald eine Rolle spielen. Das hängt natürlich davon ab in welchen Kreisen man sich bewegt. Eine Frau, die berufstätig ist und mehr verdient als der Mann, wird sich nicht immer einladen lassen. Und auch die spendabelsten Migranten kommen drauf, dass die häufigen Restaurantbesuche mit Freunden auf Dauer teuer werden können.

 

 

Ayşe:
„Zu uns kommen überwiegend Österreicher. Und die zahlen zu 80 % getrennt. Da weißt du sofort, du knallst den Zettel auf den Tisch und dann wird für jeden extra gerechnet. Ich frage gar nicht mehr nach.“

Bülent:
„Ich persönlich finde es seltsam, wenn Leute getrennt zahlen. So etwas gibt es in unserer Kultur nicht. Bei den Österreichern ist das normal, getrennt zu zahlen.“

Manu:
„Ich finde es absolut OK, wenn Mann und Frau getrennt zahlen. Ich zahle auch immer getrennt.“

 

Aysel:
„Bei den Österreichern habe ich noch nie erlebt, dass sie sich um die Rechnung streiten, wie unsere Leute.“

Kuki:
„Es kommt oft vor, dass Mann und Frau getrennt zahlen, wenn es Österreicher sind. Die Männer geben allerdings mehr Trinkgeld. Die Touristen haben überwiegend zusammengezahlt. Und ich bin schon seit 25 Jahren Kellner.“

Bosa:
„Bei uns kommen wenig Österreicher. Bei den Kroaten wird immer zusammen für die ganze Gruppe gezahlt. Außer die Teenager. Die bekommen ihr Taschengeld für eine Cola  und müssen schauen, dass sie damit auskommen.“

 

Kommentare

 

ich frage mich warum wienerInnen immer mit restoesterreich gleichgesetzt werden. wenn in wien was passiert redet man von oesterreich. waehrend wir "bundeslaender leute" stark zwischen uns provinzlern und den wienerInnen unterscheiden.
viele meiner steirischen landsleute fuehlen sich einem nordsloweneIn, (der eine aehnliche kultur wir die provinzoesterreicherInnen teilt- ziehharmonika, in den bergen wandern gehen, lederhosen, aehnliche trachten und musik) naeher als einem/r WienerIn, die (abgesehen von der gleichen staatshymne und geschichte) weder die gleiche musik noch die gleiche sprache u.a. mit den restoesterreichern teilen.

wie auch immer. die genannten beispiele sind die extrembeispiele, die tatsaechlich vorkommen,die auch mir passiert sind, und die auch mich jedes mal schocken, somal ich in einem oesterreichischen freundschafts und familien kreis bin, in dem viel mehr geteilt und nicht auf cent genau abgerechnet wird.

ich frage mich aber wo die biber leute immer ihre wienerInnen fuer die klischees aufgabeln. ich kenne in meinem freundeskreis kaum eine person die sich so verhaltet.

ein unterschiede besteht aber auf jeden fall- wir wechseln uns ab mit dem zahlen, und erwarten uns nicht vom mann, weil er ein mann ist, dass er zahlt. der der grad geld und lust hat, zahlt (mehr). so bin ich es gewohnt. egal ob frau oder mann.

warum ich persoenlich einladungen auf z.B. bier beim fortgehen nicht immer annehme, wenn ich die person nicht gut kenne, ist weil ich das in meiner mentalitaet oft als "anbandl- versuch " sehe, und mir denke, wer zahlt, will was bestimmtes, und oft wird das auch bestaetigt.

trotzdem, ich mag den artikel ganz gern :-)

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