"Ihr gehört alle umgebracht" - Dokustelle Antimuslimischer Rassismus im Interview

02. Dezember 2020

Seit den Anschlag am 2. November häufen sich Übergriffe gegen Muslime. Die Dokustelle Österreich zeichnet die Fälle auf und berät Betroffene. Biber hat mit Mitbegründerin und Leiterin Elif Adam über die aktuelle Lage und warum antimuslimischer Rasissmus alle betrifft gesprochen.

Von Naz Kücüktekin

Ifrah Akhter/unsplash.com
Ifrah Akhter/unsplash.com

BIBER: Wie lange gibt es die Dokustelle schon?

ELIF ADAM: Ich habe mit einer Kollegin 2014 die Dokustelle ins Leben gerufen, weil wir immer wieder Fälle in den Medien mitbekommen haben. Da hieß es oft, antimuslimischer Hass wird mehr, aber Zahlen gab es nicht. Wir wollen eben dokumentieren, wie viele Fälle es gibt.

BIBER: Was sind die Ziele der Dokustelle?

Viele Menschen, die rassistische Übergriffe erleben, wissen nicht, welche Rechte ihnen zustehen. Wenn jemand z.B. rassistisch beleidigt wird, ist das kein Privatdelikt, sondern ein Offizialdelikt und Fall für die Polizei. Die weiß das oft aber nicht. Da geben wir dann Leuten die Paragrafen mit. Wir beraten viel, bei uns kann man anrufen oder schreiben. Oft geht es darum, Menschen darin zu bestätigen, dass ihnen Unrecht getan wurde und man Angriffe nicht hinnehmen muss. Wir bieten auch Seminare und Workshops zu Anti-Muslimischen Rassismus an. Und jährlich bringen wir den Anti-Muslimischen Rassismus Report heraus.

BIBER: Was genau ist denn antimuslimischer Rassismus?

Viele sagen, es kann keinen antimuslimischen Rassismus geben, weil der Islam keine Rasse ist. An diesen Menschen ist vorbei gegangen, dass es keine Rassen gibt. Aber es gibt schon Rassifizierungsprozesse, also das Menschen eine Zugehörigkeit zugeschreiben wird, z B. aufgrund von Kleidung oder Aussehen. Susanne Wiesinger hat in ihrem Buch „Kulturkampf im Klassenzimmer“ auch phänomenal die muslimische Zugehörigkeit biologisiert. Auf die Art: „Sie sind so, weil sie Muslime sind.“ Vom antimuslimischen Rassismus können aber auch Nicht-Muslime betroffen sei. Wir hatten mal einen Fall, wo eine Frau, die nicht Muslima war, aufgrund ihrer Kopfbedeckung in der U-Bahn angriffen wurde. Antimuslimischer Rassismus ist ein gesamtgesellschaftliches Problem.

BIBER: Seit dem Anschlag am 2. November liest man vermehrt von Übergriffen. Könnt ihr das auch bestätigen?

Ja, wobei das immer relativ ist. Die dokumentierten Fälle sind nur die Spitze des Eisbergs. Aber in den zwei Wochen vor dem Anschlag ist kein Fall bei uns eingegangen. Seit dem Anschlag ist es im Schnitt einer pro Tag. Wir haben in den letzten Jahren, wenn es einen Nationalen Diskurs etwa zum Burkini Verbot gab, oder Wahlen, immer einen Anstieg beobachten können. Es war also auch jetzt zu erwarten. Wir sprechen aktuell auch von einer Retraumatisierung. Weil die Menschen vom Anschlag und dann von anti-muslimischen Übergriff traumatisiert sind. Wir hatten einen Fall, wo eine Muslima mit ihrem Kind beim Arzt war. Da haben sich zwei Männer lautstark darüber unterhalten, dass sich „Muslime doch schleichen sollen“. Und einer von ihnen hat nach einem Wortwechsel sogar die Geste fürs Kehle durchschneiden gezeigt und gesagt „Ihr gehört alle umgebracht“. Es gibt genug Menschen, die jetzt Angst haben, rauszugehen. Vor allem Frauen sind betroffen, weil oft der sexistische Aspekt dazukommt.

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