Islam und vegan

03. Juni 2019

Berfin
Die Kurdin Berfin ernährt sich seit rund einem Jahr vegan, seit sieben Jahren vegetarisch. (c): Marko Mestrović

Immer mehr Menschen mit muslimischem Background ernähren sich vegan. Dabei ist der Gegenwind in der Community groß:  Fleischliebhaber, Opferfeste und Koranverse erschweren den Alltag.

 Von Anna Jandrisevits, Fotos: Marko Mestrović

Willst du keine Hähnchenbrust zu dem Salat?“, hört Soza ihre Mutter fragen. Soza schüttelt nur den Kopf und meint, sie hätte keinen Hunger. Soza sitzt mit ihrer Familie am Esstisch, es ist Zeit für das gemeinsame Abendessen. Auf den Teller kommt nur selten ein fleischloses Gericht. Kein guter Ausgangspunkt für Soza, die gerade entschieden hatte, nie wieder tierische Produkte zu essen. Nachdem die gebürtige Syrerin ein Video zur Massentierhaltung auf Facebook gesehen hatte, wurde sie zur Veganerin. Das ist mittlerweile sieben Jahre her. Ihren Eltern, gläubigen Muslimen, davon zu erzählen, hat sie sich lange Zeit nicht getraut. Als sie es dann irgendwann doch tat, hat man sich von allen Seiten über sie lustig gemacht. Mit Gegenwind müssen viele Veganer rechnen, jene mit muslimischem Background jedoch umso mehr.

Soza
Die Syrerin Soza traf zu Beginn ihres Vegan-Daseins auf Unverständnis von ihrer Familie. (c): Marko Mestrović

MEHR ALS EIN TREND?

Dass sich Fleisch in den letzten Jahrzehnten von einem Luxusgut zu einem Hauptnahrungsmittel entwickelt hat, dürfte mittlerweile jedem klar sein. Im Durchschnitt essen Österreicher 5,9 Tonnen Fleisch in ihrem Leben, das sind laut Global2000 1,287 Tiere pro Kopf. Auch der Konsum tierischer Produkte ist überdurchschnittlich hoch, wobei es hierzu keine genauen Zahlen gibt. Das Thema Veganismus führt vor allem in der muslimischen Community zu vielen Kontroversen, nicht zuletzt aufgrund der religiösen Aspekte. Das ausschlaggebende Argument: Im Koran wird die Liebe zum Tier gelehrt, die meisten Gläubigen essen trotzdem tierische Produkte. Sich vegan zu ernähren heißt, auf tierische Produkte zu verzichten. Also auf Fleisch, Milchprodukte, Eier und Käse. Die Gründe dafür sind verschieden, für viele stehen die ethischen und gesundheitlichen Aspekte im Vordergrund. Momentan wird die Umwelt immer häufiger als Grund genannt. Die Gegner der Ernährungsweise sehen im Veganismus bloß einen Trend und warnen vor negativen Folgen auf die Gesundheit. Vor allem bei jungen Menschen plädieren Ärzte darauf, sich über eine vegane Ernährung ausreichend zu informieren. In Büchern und im Internet lässt sich eine Vielzahl an Informationen und Rezepten für eine ausgewogene, pflanzliche Ernährung finden.

(SCHEIN)-HEILIG

Der Zusammenhang von Religion und Tierethik ist ein heiß diskutiertes Thema in der Szene. Wenn man Sure 6 im Koran aufschlägt, findet sich darin folgender Vers: „Kein Getier gibt es auf der Erde, keinen Vogel, der auf seinen zwei Schwingen dahinfliegt, die nicht Gemeinschaften wären gleich euch.“ (6:38). Viele vegane Muslime finden hier einen Widerspruch: Tier und Mensch sind gleichwertig, trotzdem isst die eine Spezies die andere. Die deutsche Schriftstellerin Hilal Sezgin betreibt seit einigen Jahren einen Lebenshof in Lüneburg, auf dem sie sich um vor dem Schlachthof gerettete Tiere kümmert. Die 49-jährige Muslimin beschäftigt sich schon lange mit dem islamischen Glauben und Tierethik und greift auch die Widersprüche im Islam auf: „Im Koran heißt es, Tiere seien Gemeinschaften wie wir Menschen. Dennoch erlaubt der Koran das Essen von Tieren. Wie passt das zusammen?“. Gar nicht, meinen immer mehr Muslime und verbannen tierische Produkte aus ihrem Kühlschrank.

Vor allem das islamische Opferfest Eid ul-Adha stößt bei Veganern auf wenig Verständnis. Traditionell wird in jeder Familie ein Tier geschlachtet und das Fleisch unter Freunden und Nachbarn aufgeteilt. Dabei erfordert der eigentliche Sinn des Festes – das Teilen mit anderen – kein totes Tier, meint die 18-jährige Sana: „Es ist Zeit für ein neues Ritual, das kein Leid von Tieren mit sich bringt!“. Die gebürtige Pakistanerin, die sich seit einem Jahr vegan ernährt, hält es für falsch, Tiere zu respektieren und gleichzeitig essen zu wollen. Die Gleichstellung von Mensch und Tier im Koran verstärkt ihre Ansicht.

Soza
"Es ist Zeit für ein neues Opferritual, das kein Leid von Tieren mit sich bringt", sind sich die Muslimas einig. (c): Marko Die Syrerin Soza traf zu Beginn ihres Vegan-Daseins auf Unverständnis von ihrer Familie. (c): Marko Mestrović

„DU SOLLTEST ZUR PSYCHOTHERAPIE!“

Esra macht gerade den Übergang von der vegetarischen zur veganen Ernährung. Seit drei Jahren isst die 20-Jährige kein Fleisch mehr, jetzt will sie auf alle tierischen Produkte verzichten. Die Begeisterung ihrer Freunde hält sich in Grenzen, weil vor jedem gemeinsamen Abendessen im Lokal die Speisekarte nach einer Alternative für Esra durchsucht werden muss. In ihrem Freundeskreis kommt ein Verzicht auf tierische Produkte nämlich nicht infrage. Am Tag des Eid ul-Adha, dem islamischen Opferfest, feiert die Jus-Studentin mit ihrer Familie. Auf ihren Teller kommen allerdings nur mit Reis gefüllte Weinblätter. In der Familie der 23-jährigen Sidal ist die Auswahl größer: Die Alevitin mit türkischen und kurdischen Wurzeln steht mit ihrer Mutter am Herd und kocht für die gesamte Familie traditionelle Gerichte in veganer Variante. Vegan zu sein mag in manchen Familien auf Zuspruch treffen, in anderen ist es alles andere als rosig. Berfîn ernährt sich seit rund einem Jahr vegan, seit sieben Jahren vegetarisch. Die gebürtige Kurdin mit alevitischem Hintergrund hätte sich von ihrem Umfeld, das sonst recht systemkritisch und politisch aktiv ist, mehr Verständnis für den Veganismus erhofft. Ihre Lebensweise hat stattdessen zum Bruch vieler Freundschaften geführt. Ein Verwandter sagte einmal zu ihr: „Du solltest zur Psychotherapie gehen!“. Eine Unterstützung beim Umstieg zum Veganismus war die virtuelle Welt: Der Blog „Orient trifft Vegan“, der traditionelle Rezepte wie Börek oder Lahmacun mit veganen Zutaten teilt, hat der Politikwissenschaft-Studentin in der Küche geholfen. Trotz vieler Gegenstimmen steht Berfîn zu ihrer Meinung: „Tiere sind nicht für uns da, sondern mit uns.“

Befin
"Du solltest zur Psychotherapie", hört die Kurdin Berfin von ihrer Familie, als sie vegan wird. (c): Marko "Es ist Zeit für ein neues Opferritual, das kein Leid von Tieren mit sich bringt", sind sich die Muslimas einig. (c): Marko Mestrović

ES TUT SICH WAS

Der Veganismus bringt oft ein Engagement für den Tierschutz mit sich. Sidal ist Mitglied der Organisation „Anonymous For The Voiceless“ und setzt sich aktiv für die Freiheit von Tieren ein. Die Mitglieder der Organisation, zu denen auch Berfîn zählt, stellen sich mit Bildschirmen an öffentlichen Plätzen im Quadrat („Cube“) auf und jeder Bildschirm zeigt die Wahrheit über je eine Industrie, die Tiere ausbeutet. Menschen, die sich die Videos ansehen, werden von Mitgliedern angesprochen und über Massentierhaltung aufgeklärt. Aufklärung scheint das zentrale Anliegen von Veganern zu sein, Menschen sollen durch Informationen auf den veganen Geschmack kommen. Die Mehrheit der Veganer scheint weiblich zu sein, wobei im Osten ein männliches Vorbild den Ton angibt: Khalid bin Alwaleed, ein saudi-arabischer Prinz, der in seinem Heimatland der erste Veganer einer königlichen Familie ist und sich für eine pflanzliche Ernährung ausspricht. Auch in der alevitischen Community lässt sich ein Umschwung erkennen. Sidal erzählt, dass viele Geistliche sich weigern, an den Hizir-Fastentagen im Februar ein Tier zu schlachten. Stattdessen wird eine Wohltat vollbracht, wie etwa Geld gespendet. Auf der FacebookSeite „Vegan Life“, die rund 140.000 Likes zählt, werden Rezepte, Artikel und Videos rund um Veganismus auf Arabisch übersetzt. Auch Soza hilft beim Übersetzen, denn die Nachfrage wächst: „Immer mehr Menschen aus der migrantischen Community interessieren sich für eine vegane Ernährung.“ In ihrer Familie hat sich mittlerweile auch etwas verändert: Ihre Eltern kochen häufiger fleischlos, die Witze über ihre Tochter werden weniger. 

Rezept für veganes Lahmacun (Abgeschaut von Orient trifft vegan)

Teig

500 g Weizenmehl                                                                                                       

10 g Zucker

1 TL Salz

1 Würfel frische Hefe

350 ml lauwarmes Wasser 3 EL Sonnenblumenöl

Paste

2 Zwiebeln

2 große Tomaten

Halbe rote Paprika

Halbe grüne Paprika

Halbe gelbe Paprika

1 1/2 EL Tomatenmark

 1/2 EL Paprikamark

 1 TL Zucker

2 TL Lamm-Grillgewürz

1 TL Fleischgewürz  (Et baharti)

1 1/2 TL Kimyon

1 TL Salz

Gehackte Petersilie

Scharfer Pfeffer

Für den Teig die Hefe mit dem Zucker und etwas Wasser in einer Schüssel auflösen und 10 bis 15 Minuten ruhen lassen. Das restliche Wasser, Mehl und Salz hinzugeben und zu einem glatten Teig verkneten. Dann das Öl hinzufügen und nochmals kneten. Den Teig zugedeckt für eine Stunde an einem warmen Ort ruhen lassen. Währenddessen für die Paste die bunten Paprika und Zwiebeln fein hacken. Die Tomaten enthäuten, in kleine Stückchen schneiden und mit der gehackten Petersilie und Paprikamark hinzugeben. Zum Schluss noch die Gewürze, und alles mit einem großen Löffel vermischen. Nach der Stunde aus dem Hefeteig etwa zehn gleich große Bällchen formen. Die Arbeitsfläche mit Mehl bestäuben, den Teig rund ausrollen und dünn mit der Paste bestreichen. Das Lahmacun in einer beschichteten Pfanne auf niedriger Stufe leicht braun werden lassen. So wird die Paste oben gar und der Teig durch. Fertig!

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