Mein Penis, meine Entscheidung

08. Juli 2022
Am 29. Juli 2022 ist Autor, Kolumnist und Schriftsteller Jad Turjman bei einem Unfall in den Bergen tödlich verunglückt. Dies ist seine jüngste Kolumne für das BIBER. Wir werden Jads humorvolle Art, selbst die kontroversesten Themen mit Leichtigkeit aufzugreifen, sehr vermissen. Ruhe in Frieden, Jad.

 

Fotoflausen
Fotoflausen

Ich weiß nicht, wie gerne du, liebe:r Leser:in, dir Schwänze ansiehst. Ich jedenfalls tu es nicht gern. Ich weiß, du willst jetzt sagen, die Schönheit liegt im Auge des Betrachters. Aber wenn diese Schönheit buchstäblich fast in deinem Auge landet, wirst du anders darüber denken.

von Jad Turjman

Du wirst mich jetzt fragen, wo hast du Schwänze unmittelbar vor Augen gehabt? Ich sage dir: im Fußballverein. Und das war mein erster Kulturschock in Österreich. Es war ein Kulturschock des Grauens. Nach meinem ersten Spiel im Fußballverein in der Unterliga Salzburg gingen wir in die Umkleidekabine, um den Sieg zu feiern. Und dort bin ich in ein Bad des Unbehagens gesprungen. Die Spieler zogen sich komplett aus, wie damals, als sie zur Welt gekommen sind. Mit Bierflaschen in der Hand begannen sie, in die Luft zu springen und zu singen. Ich saß wie angenagelt auf der Bank und war hypnotisiert von dem unbeschnittenen, wedelnden Penis des Spielers, der vor meinem Gesicht jubelnd hüpfte. Ich merkte, dass mir ein kalter Schauer über den Rücken lief. Ich stellte fest, dass alle anderen ebenfalls unbeschnitten waren. Was für eine verworrene Situation! Ich löste mich langsam aus der Erstarrung, packte meine Sportsachen zusammen und verließ, ohne zu duschen, die Umkleidekabine mit Herzklopfen.

Hier g'schamig, in Syrien freizügig

Ich bin normalerweise nicht g`schamig. In Syrien hätte mich mein Umfeld für freizügig und derb gehalten. Aber ich bin so sozialisiert, dass man sich nicht vor anderen nackt auszieht. Man zeigt seine intimen Dinge anderen nicht. Besonders nicht unter Männern. Und das ist ein ziemliches Paradoxon. Denn in Syrien war es üblich, Hand in Hand oder eingehängt mit einem Freund durch die Stadt zu spazieren, oder dass ein Freund beim Film Anschauen seinen Kopf auf meinen Schoß legt. Beim Begrüßen und Verabschieden küssen sich Männer dreimal auf die Wangen und Schultern. Aber nackt voreinander zu sein war ein Tabu. In Österreich ist es umgekehrt. Männer berühren sich kaum. Dafür wedeln sie gerne gemeinsam mit ihren Penissen. Mir ist das arabische Miteinander in dieser Hinsicht jedenfalls lieber.

Am Anfang habe ich es vermieden, in die Umkleidekabine zu gehen. Ich sagte meinen Mitspielern, dass ich in der Nähe wohnte und lieber zu Hause duschen wollte. Aber als wir das erste Mal auswärts spielten, wollte ich nicht schweißgebadet ins Auto steigen. So entschied ich mich für einen Kompromiss. Ich ging mit Unterhose unter die Dusche. Das war die schnellste Dusche, die ich jemals hatte. Und so behielt ich das anfangs bei, mit der Unterhose zu duschen. Bis ein anderer Araber dem Fußballverein beitrat. Er war aber schon seit zwanzig Jahren hier und hatte keine Probleme mehr damit, sich auszuziehen. Natürlich ging mein Herz auf, als ich einen beschnittenen Penis sah. Es war, als hätte ich meinen Bruder wiedergesehen. Ich meine hier den Araber, nicht seinen Penis. In dem Augenblick stellte ich fest, dass ich mich mit beschnittenen Schwänzen identifizierte. Je weniger Vorhaut ein Mensch hat, desto näher steht er meinem Herzen. Aber die Tatsache, dass er auch nackt duschte, setzte mich zusätzlich unter Druck. “Hast du nur ein Ei oder einen kleinen?”, fragte er in der Dusche mit einem Blick auf meine Unterhose. “Scheiß dich nicht an, es ist nur ein Penis.” Ich gab nach. Beim nächsten Mal zog ich mich entschlossen und konsequent aus und erntete überraschte Blicke meiner Kollegen. Mittlerweile bin ich ganz schmerzbefreit, was Nacktheit angeht. Aber als neulich ein weiterer Syrer zum Verein kam, brachte er mich zum Nachdenken. Denn er zeigte fast dieselbe Reaktion wie ich damals. Als wir in der Dusche standen, wollte ihn derselbe Freund darauf ansprechen, nicht in der Unterhose duschen zu müssen: „Das ist der Integrations-Endgegner!” Bei mir ging ein Impuls auf: „Das ist Entfremdungs-Endgegner. Hör bloß nicht auf ihn, mach nur, womit du dich wohlfühlst”, sagte ich dem neuen Syrer, und stellte den Wasserhahn bei dem anderen Freund auf arschkalt, als Revanche.

Ich bin dafür, dass in der Verfassung verankert wird, sich nicht nackt machen zu müssen. Jeder soll selbst bestimmen, wo er sein Ding zeigt.

 
Jad Turjman ist Buch-Autor, Comedian und Flüchtling aus Syrien. In dieser Kolumne schreibt er über sein Leben in Österreich.

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