Plagiatsjäger Stefan Weber: Einer, der ganz genau hinsieht.

28. Februar 2022

Stefan Weber
Einer, der ganz genau hinsieht: "Plagiatsjäger" Stefan Weber. ©Zoe Opratko

Plagiatsgutachter Stefan Weber hat sie schon alle unter die Lupe genommen: Von Armin Laschet bis Alma Zadić deckte er schon Schummeleien in wissenschaftlichen Arbeiten von PolitikerInnen auf. Was ihn genau antreibt, und ob er in der Schule von sich abschreiben ließ, erfuhren wir bei einem Besuch in seinem Salzburger Büro.

 

Interview: Nada El-Azar-Chekh, Fotos: Zoe Opratko

 

Biber: Wenn man „Plagiatsjäger“ bei Google sucht, wird als erstes Ihre Dienstleistung vorgeschlagen. Und die New York Times titelte, dass Sie die deutschsprachige Welt terrorisierenwürden. Muss man Sie fürchten?

 

Stefan Weber: Wenn man mich fürchten müsste, wäre das schon ein Indiz dafür, dass in der akademischen Ausbildung etwas schiefgelaufen ist. Ich habe eine 200-seitige Diplomarbeit, eine 200-seitige Dissertation und eine 340-seitige Habilitationsschrift geschrieben und fürchte mich nicht vor Plagiatsjägern. Vielen bleibt die Möglichkeit einer universitären Ausbildung leider aus sozialen oder finanziellen Gründen versagt, obwohl sie durchaus die Power und den Grips dazu hätten. Meine Erwartungshaltung an jeden, der in den Genuss eines solchen Privilegs gekommen ist, ist schlicht, dass ordentlich gearbeitet wurde.

 

Fast jedes größere Medium hat Sie schon getroffen. Sind Sie wirklich so getrieben, wie Sie dargestellt werden?

 

Es gibt offenbar ein mediales Bild, das der Sachlage gegenübersteht. Die Leute glauben vielleicht, dass ich manisch wäre und mich mit einer Art inneren Besessenheit an den Fehlern der anderen ergötzen würde. Und seit 20 Jahren hält sich das Missverständnis, dass ich die Einhaltung von Zitierstandards prüfen würde, so auch im jüngsten Fall unserer Justizministerin. Alma Zadić hat zu ihrer Verteidigung angegeben, dass sie nach Harvard Blueblook zitiert habe. Doch um die Einhaltung solcher Manuals geht es nicht im Geringsten. Es geht vielmehr immer um die Frage, wie sich jemand mit Texten anderer beschäftigt hat: Darf Frau Zadić einen Satz aus der Literatur nehmen, diesen ein bisschen umschreiben und dann keine Fußnote setzen? Das ist unabhängig von jeglichen Zitiermanuals zu beantworten.

 

Was ist Ihr Antrieb bei der Arbeit?

 

Es klingt jetzt fast lächerlich. Aber ich freue mich heute nicht nur auf die Pizza beim Italiener nebenan, sondern auch wirklich darauf so interessant und selbstreflexiv dieses Gespräch auch ist , danach noch 25 Seiten bei der Frau Zadić zu filetieren. Es ist eine reine Neugierde, nachzuschauen, ob die Sätze, die sie nicht mit Fußnoten belegt hat, tatsächlich von ihr stammen. Wenn ich mit meinen Möglichkeiten und meinem Instinkt auf diesen 25 Seiten nichts finde, ist das auch gut. Mein Antrieb ist ein detektivischer. Ich will etwas wissen, was ich vorher nicht gewusst habe.

 

Empfinden Sie Schadenfreude, wenn Ihre Gutachten hochrangige Politiker zu Fall bringen?

 

Mein Auftrag war es nicht, Frau Aschbacher aus der Regierung zu entfernen. Ein wahrer Erfolg wäre es für mich, wenn sich im wissenschaftlichen Establishment endlich etwas ändern würde.

 

Die jüngsten Plagiate wurden etwa bei Aschbacher, Raab, Baerbock und Zadić gefunden. Waren das alles bezahlte Aufträge oder haben Sie in Ihrer Freizeit geprüft.

 

Tatsächlich waren diese vier keine Aufträge, sondern mein Hobby. Ich habe mich aus eigenem Antrieb heraus für die Arbeit von Christine Aschbacher interessiert. In weiterer Folge habe ich mich natürlich gefragt, wie die Qualität der Arbeiten unserer Regierung ist. Die Welt glaubt aber solche Motive nicht. Kogler, Blümel, Maurer, Faßmann und Nehammer habe ich mir auch alle angeschaut. Also kann man nicht behaupten, ich hätte es nur auf Frauen abgesehen.

 

Stefan Weber
"Ich habe es natürlich nicht nur auf Frauen abgesehen", sagt Stefan Weber im Interview. Seit dem Fall Aschbacher häuften sich Hassnachrichten gegen seine Person. ©Zoe Opratko

 

 

Welche Klientel nimmt für gewöhnlich Ihre Dienste als Plagiats- und Titelprüfer in Anspruch?

 

Die allermeisten Anfragen kommen von Privatpersonen und Anwaltskanzleien. Meine Kollegin Birgit Kaiserlehner hat soeben ein Gutachten über eine Wiener Kinderpsychologin erstellt. Ganze 133 Plagiatsvergehen auf 60 Seiten einer der schwersten Fälle bisher. Man muss aber hier medienrechtlich aufpassen und die Identität von Privatpersonen wahren. Über die Kinderpsychologin wird keine APA-Meldung geschrieben. Das Plagiat wird medial nur dann interessant, wenn es um eine Person des öffentlichen Lebens geht.

 

Engagieren Universitäten Sie nicht?

 

Nein, so gut wie nie!

 

Wie wird man zum Plagiatsjäger?

 

Ich sage es so: Plagiatsjäger ist wohl nicht der Berufswunsch eines Fünfjährigen, wie etwa Feuerwehrmann. Diese Identität hat sich bei mir erst spät herausgebildet. Meinen ersten bezahlten Auftrag einer Plagiatsprüfung habe ich mit 37 Jahren bekommen. Damals wusste ich noch nicht, dass das ein dauerhaftes Geschäft werden kann.

 

Welche Schritte erfordert die Prüfung grundlegend?

 

Ich fange immer mit der marktführenden Software Turnitinan, welche etwa auch die Universität Wien und bald die TU Wien verwenden. Der große Vorteil gegenüber anderen Programmen ist, dass Turnitin seit 1999, also seit 23 Jahren, das Internet speichert. Die Software vergleicht einen Text mit möglichst vielen anderen, und man könnte in manchen Fällen direkt aus dem Programm heraus schon ein Gutachten erstellen. Praktisch bedarf es jedoch einer menschlichen Interpretation und das erfordert ein gewisses Spezialwissen. Das Programm alleine zeigt also nur Textübereinstimmungen an, die Plagiate findet der Mensch. Momentan werden noch Tools zur Erkennung von so genannten Synonymplagiaten und Fremdsprachenplagiaten ausgearbeitet aber ich habe so meine Tricks, um diesen auch auf den Grund zu gehen.

 

Haben Sie in der Schule andere abschreiben lassen?

 

Kurioserweise ja. Ich war natürlich ein Streber und habe meinen besten Freund, der schlecht in der Schule war, abschreiben lassen. Selbst im Studium ist er auf mich zugekommen und meinte: Burli, du musst mir jetzt helfen, ich halte die Schreiberei nicht mehr aus. Ich hatte als Zweitfach Politikwissenschaft und habe ihm zwei fertige Seminararbeiten von mir gegeben, die er unter seinem Namen einreichte. Auf beide bekam er übrigens ein Sehr Gut. Das war aber 1992, also lange bevor ich das Problem bei den Studierenden entdeckte. Ich würde das heute nicht mehr machen. Damals war ich aber eben nicht der Abschreib-Verpetzer. (lacht)

Stefan Weber
Ein Fach in Webers Regal ist den Büchern prominenter Autoren gewidmet: Annalena Baerbocks "Jetzt" wurde nach den Plagiatsvorwürfen aus dem Druck genommen. ©Zoe Opratko

 

Welche Mängel fallen Ihnen als Lehrender am Universitätssystem auf?

 

In einem funktionierenden akademischen System würde ich mit meiner Tätigkeit kein Geld verdienen. Viele kritisieren, dass die sozialistische Bildungspolitik unter Kreisky und die Öffnung der Hochschulen zu den heutigen Problemen geführt hätten. Dem stimme ich aber nicht zu. Ich stamme selber nicht aus einem Akademikerhaushalt. Mein Vater war Buchhalter und meine Mutter Hausfrau und Trafikantin. Was ich aber klar sehe, sind zwei Trends, die sich um die Jahrtausendwende entwickelt haben: Die Digitalisierung einerseits und die Massen-Uniandererseits. Ende der 90er Jahre ist mit dem Internet, dem erleichterten Zugang zu Texten sowie dem „Copy-Pasten“ das Plagiieren wesentlich einfacher geworden. Und die Universitäten haben hier die Qualitätssicherung unter Digitalisierungsbedingungen verschlafen, leider.

 

Wie sollte man in die Gesetzeslage eingreifen, um die Situation zu verbessern?

 

Das Gesetz muss in Österreich geändert werden, und das kann dauern. Konkret geht es etwa um den Paragrafen zur Täuschungsabsicht. Das ist ursprünglich eine Tradition in Österreich, die aus dem Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz kommt und in das Hochschulgesetz übernommen wurde. Demnach kann ein akademischer Grad erst dann widerrufen werden, wenn sein Führen erschlichenwurde. Ein subjektiver Tatvorsatz wie die Absicht zu Täuschen kann aber nur schlecht bewiesen werden. Im Jahr 2017 wurde nach dem Fall Buchmann zum letzten Mal ein Doktortitel in Österreich aberkannt, seitdem kennt jeder den Trick, die Täuschungsabsicht zu bestreiten. Nachdem zumindest die Verjährung von Plagiaten nicht eingeführt wurde, sollte nun der Erschleichungsparagraf überdacht werden.

 

Stefan Weber
@Zoe Opratko

Stefan Weber
Mit dem richtigen Setzen von Fußnoten und dem Zitieren hat sich der Plagiatsjäger Weber privat intensiv auseinandergesetzt. Ein ganzes Buch ist etwa nur der Fußnote gewidmet. ©Zoe Opratko

 

Ihre Plagiatsfunde haben ultimativ zum Rücktritt von Arbeitsministerin Christine Aschbacher geführt. Sie hat trotzdem ihren akademischen Titel behalten dürfen. Was bedeutet das für angehende AkademikerInnen?

 

Die Botschaft, die durch den Fall Aschbacher bei den Menschen angekommen ist, war: Es ist eh wurscht, was man in Österreich schreibt, wenn nicht einmal die Aschbacher ihren Titel verliert. Und diese Botschaft hat die ÖAWI [Anm.: Österreichische Agentur für wissenschaftliche Integrität] total versemmelt. Ich bin jahrelang einen Kuschelkurs mit diesen Institutionen gefahren. So geht es aber nicht weiter.

 

Die breiten Reaktionen auf Ihre Arbeit gehen von Schadenfreude über die Schummeleien der PolitikerInnen bis hin zu persönlichen Angriffen gegen Sie. Wie gehen Sie mit Kritik um?

 

Nach dem Fall Aschbacher habe ich die erste Morddrohung meines Lebens erhalten. Ein anderer schrieb mir: Wenn ich Sie treffe, sind Sie ein Krüppel!“ Er wurde wegen gefährlicher Drohung ausgeforscht. Diese Erfahrung war für mich neu und ich gebe zu, dass ich in jener Nacht schlecht geschlafen habe, weil ich dachte, jetzt ist er gleich da vor meiner Tür. Das habe ich der Polizei auch erzählt, damit das ernst genommen wird. Warum macht man so etwas? Kratze ich da am Idol einer Person, wenn ich Mängel beanstande? Oder verstehen sie mein Geschäft so dermaßen falsch, dass sie denken, ich werde von dunklen Mächten engagiert auf der Suche nach der verlorenen Fußnote? Annalena Baerbock schrieb ein Buch darüber, wie sie Deutschland verändern will, und dann besteht das Buch schlicht aus Medienberichten der vergangenen Jahre. So etwas hervorzuheben finde ich einfach unglaublich interessant. ●

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