Sei still und arbeite!

08. Mai 2014

Heuer feiert Österreich 50 Jahre Gastarbeiter-Anwerbeabkommen mit der Türkei. Während die Wirtschaft auf gute Beziehungen und Erfolge für den Standort Österreich hinweist, erinnern sich viele Gastarbeiter an unbezahlte Überstunden, menschenunwürdige Quartiere und Beleidigungen. Streiks und Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen wurden mit Kündigung und Abschiebung bestraft.

Von Marina Delcheva

Es ist sechs Uhr morgens, irgendwann in den frühen 80ern. Dragica S. ist gerade eben aufgestanden und macht sich für die Arbeit fertig. Sie ist Tellerwäscherin und Reinigungskraft in einem Hotel in den Salzburger Alpen. Ihr Mann ist noch nicht aus der Nachtschicht zurück. Beide wohnen in einem winzigen Kellerzimmer ohne Bad und Küche im Hotel, in dem Dragica arbeitet. Die Frau weint zu dieser Zeit sehr oft. Sie hat vor wenigen Monaten ein Kind bekommen und es nach nur vier Wochen zu den Verwandten nach Jugoslawien geschickt. Sie hätte ihren Job verloren, wenn sie zu Hause beim Kind geblieben wäre. Mit der Arbeit wäre auch das Visum weg. Es ist ihr vierzehnter Arbeitstag in Folge. „Die Arbeitgeber haben das mit den freien Tagen damals nicht so ernst genommen“, erzählt sie heute.

 

Dragica S. und ihr Mann gehören zu den geschätzten 200.000 Gastarbeitern, die in den 60ern bis 80ern nach Österreich gekommen sind, um hier zu arbeiten. Offiziell sollen von 1964 bis 1971 40.000 türkische und jugoslawische Arbeiter über den Amtsweg gekommen sein. Noch mehr fanden aber über Bekannte oder als Touristen eine Arbeit in Österreich. „Es war nie das Problem, dass zu viele da waren, man musste sie eher suchen“, sagt August Gächter vom Zentrum für Soziale Innovation (ZSI). Heuer feiert Österreich das 50-jährige Jubiläum zum Anwerbeabkommen mit der Türkei (siehe Info auf der nächsten Seite).

 

Österreichs Wirtschaft litt vor allem in den 60ern unter starkem Arbeitskräftemangel und brauchte dringend billige Arbeitskräfte aus dem Ausland. Die Baubranche hatte schon 1961 begonnen Arbeiter im Ausland anzuwerben. Heimische Betriebe waren in einem regelrechten Konkurrenzkampf um Arbeitskräfte. Hinzu kam, dass Österreich eigentlich kein attraktiver Ort für Gastarbeiter war. Die meisten wollten nach Deutschland oder Belgien weiter, wo die Löhne viel höher waren, und sahen Österreich nur als Zwischenstopp. Das war ein großes Problem für heimische Betriebe, die immer wieder neue Leute anlernen mussten. Um ausländische Angestellte im Unternehmen zu halten, haben manche Betriebsleiter versucht, bei der Fremdenpolizei zu intervenieren oder ihre Pässe einbehalten.

 

Mindestlohn und Überstunden

„Sie haben dir den Vertrag auf Deutsch hingehalten und du hast sofort unterschreiben müssen. Viele haben nicht einmal gewusst, was da steht“, erzählt Akif G. (Anm.: Name von der Redaktion geändert). Er kam 1979 als 18-Jähriger aus Ankara nach Wien. Damals hat sein Onkel schon als Gastarbeiter hier gearbeitet. Er hat im Baugewerbe, in einer Fischfabrik und später in einem Industriebetrieb gearbeitet. „Wir wussten zum Beispiel nicht, dass wir am Wochenende mehr verdienen dürfen. Das hat uns keiner gesagt“, sagt er. Die meisten Gastarbeiter haben nur den gesetzlichen Mindestlohn erhalten und wurden kaum über ihre Rechte aufgeklärt. „Manche von uns haben 3.000 bis 4.000 Schilling im Monat verdient. Sie haben uns oft nur ein Viertel von dem bezahlt, was die Österreicher bekommen haben“, erzählt er. Doch auch jene, die wussten, was ihnen zusteht, haben sich nicht getraut aufzubegehren. Das Visum war an die Beschäftigung gekoppelt, die Arbeitsverträge waren meist auf ein Jahr befristet. Wer keinen Job hatte, musste das Land verlassen. „Ganz ehrlich, ich habe das als Sklavenarbeit empfunden“, sagt Akif G. heute.

 

Für Frauen seien die Arbeitsbedingungen besonders schlimm gewesen, erzählt Ali Özbaş. Er ist Veranstalter der Ausstellung „Lebensgeschichten der ersten GastarbeiterInnen aus der Türkei: Eine Ausstellung zu über 50 Jahren türkische Arbeitsmigration nach Österreich“, die im Herbst landesweit startet. Auch wenn ein Großteil der Gastarbeiter Männer waren, so kamen doch auch Frauen, die vorwiegend in der Textilindustrie und manchmal im Gastgewerbe gearbeitet haben. Im Vergleich zum Baugewerbe oder zur Schwerindustrie waren die Gehälter in diesen Branchen aber sehr niedrig. Vor allem am Land gab es kaum Kinderbetreuungsplätze und viele Frauen hatten kein Recht auf Karenz, wenn sie nicht lange genug im Land waren. „Ich bin irgendwie alleine aufgewachsen“, erzählt Nesim G., die als Sechsjährige mit ihren Eltern aus der Türkei nach Österreich gekommen ist. Viele Kinder wurden nach der Geburt zu den Großeltern in die Heimat geschickt oder sogar in staatliche Obhut gegeben (biber hat berichtet).

 

Wohnen „wie im Schweinestall“

Am Anfang hat Akif G. in einer Fabrik gearbeitet und sich mit sieben weiteren Kollegen ein Zimmer geteilt. Es war gerade einmal groß genug für die vier Stockbetten, auf denen die Männer geschlafen haben. „Wir haben wie im Schweinestall gelebt!“ Bis weit in die 1970er mussten die Firmen theoretisch für die Unterkunft und die Beschäftigungsbewilligung ihrer ausländischen Arbeiter aufkommen. In der Praxis wurde aber vielen ein Teil des Lohns für Logis und für die Gebühren rund um die Erteilung der Beschäftigung abgezogen. „Waschmaschine oder Bad im Zimmer waren Luxus. Jede Woche war eine lange Schlange vor dem Amalienbad“, so Akif. In eine eigene Wohnung umziehen war theoretisch möglich, aber nicht gern gesehen. „Wer aus den schäbigen Arbeiterquartieren ausziehen wollte, dem wurde mit dem Rauswurf gedroht“, erzählt Gächter vom ZSI.

 

„Am Anfang waren die Arbeiter mit dem zufrieden, was sie bekommen haben. Niemand hat gefragt, was ihm zusteht“, sagt Özbas, der im Rahmen der Ausstellung zahlreiche Interviews mit ehemaligen Gastarbeitern geführt hat. „Aber sobald die Leute ihren Lebensmittelpunkt hierher verlagert hatten und ihre Kinder hier in die Schule gegangen sind, haben sie begonnen, mehr Rechte einzufordern.“ Und das wurde noch weniger gern gesehen und folgenschwer bestraft.

 

Von Kammers Gnaden

Im Rahmen ihrer Forschungsarbeit hat die Historikerin Vida Bakondy untersucht, wie Gastarbeiter gegen miserable Wohn- und Arbeitsbedingungen demonstriert haben und wie heimische Betriebe auf deren Ungehorsam reagiert haben. Das Resultat: Aufbegehren wurde in manchen Fällen mit Abschiebung bestraft. Die Beschäftigungsbewilligungen wurden nicht verlängert und ein Wechsel in eine andere Firma wurde bewusst erschwert. „Manche Firmen haben bei der Wirtschaftskammer interveniert und wollten verhindern, dass die Arbeiter in einer anderen Firma einen Job bekommen“, sagt Bakondy. So bittet etwa eine Metallerzeugungsfirma 1963 die Wirtschaftskammer im Fall eines angeworbenen türkischen Arbeiters um Intervention (siehe Brief). Die Kammer solle beim damaligen Arbeitsamt intervenieren, sodass der Arbeiter in keiner anderen Firma eine Arbeit findet und entweder beim Metallerzeuger bleibt, oder das Land verlassen muss. In den Archiven der WKO finden sich auch weiter Briefe von Firmen mit der Bitte um Intervention. Der niederösterreichische „Stadtbaumeister Rudolf Jäger“ beschwert sich 1963 etwa, dass acht türkische Bauarbeiter gekündigt haben und bittet die WKO, „auch von Ihrer Seite aus zu versuchen, diese türkischen Bauhelfer aufzugreifen und damit zur Rückkehr zu zwingen.“

Damals hatten Wirtschaftskammer (WKO) und Gewerkschaftsbund (ÖGB) tatsächlich ein Mitspracherecht bei der Erteilung von Arbeitsbewilligungen und Visa. In welchen Fällen aber interveniert wurde, hing oft von der Firma selbst ab. „Es gibt keine Zahlen über die Anträge seitens der WKO oder des ÖGB und wie diese ausgegangen sind. Mein Eindruck war aber, es hing davon ab, wie gut der Betrieb in der Sozialpartnerschaft verankert war“, erzählt August Gächter, der im Rahmen seiner Forschungsarbeit die Arbeitsbedingungen von Gastarbeitern untersucht hat. Hatte ein Betrieb ein hohes Standing in der Kammer oder einen Betriebsrat beim ÖGB, sei den Forderungen nach Intervention eher nachgegangen worden – unabhängig davon, ob es darum ging einen Arbeiter zu behalten oder abzuwerben, so Gächter.

 

Bakondy schildert in der Zeitschrift der Initiative Minderheit, „Stimme“, den Wunsch nach Abschiebung von neun türkischen Arbeitern, die sich nach Auslaufen ihres Arbeitsvertrags geweigert hatten bei derselben Baufirma zu verlängern. Diesen Vorfall kommentierte das Arbeitsamt Niederösterreich 1962 so: „…Da auch weiterhin Interesse an ihrer berufsrichtigen Beschäftigung bestand, sieht das Landesamt NÖ. in dem disziplinlosen und den Arbeitsmarkt störenden Verhalten dieser Fremdarbeiter eine Gefährdung der öffentlichen Interessen.“ Die Gastarbeiter sollten kein Recht bekommen über die Art ihrer Beschäftigung und ihren Arbeitgeber selbst zu entscheiden.

 

„Das Anwerbeabkommen mit der Türkei wurde vor 50 Jahren abgeschlossen, die damals für dieses Thema zuständigen Personen sind schon lange nicht mehr in der WKO tätig. Ich kann sie daher nicht mehr fragen, wie mit Interventionen umgegangen wurde. Ich bitte Sie dahingehend um Verständnis“, sagt Margit Kreuzhuber von der WKO. Tatsächlich sind in den Archiven keine Aufzeichnungen darüber, wie die Kammer damals auf Briefe und Ansuchen geantwortet hat.

 

Keine Macht den Arbeitern

Autonomie und Ungehorsam wurden vom Arbeitgeber bestraft, den Kammern und das Arbeitsamt den Rücken gestärkt haben. Gächter schildert im Rahmen seiner Forschung beispielsweise zwei Streikfälle von jugoslawischen Gastarbeitern 1965 und 1966 in zwei unterschiedlichen Betrieben, die mit Schubhaft und Abschiebung niedergeschlagen wurden. Im ersten Fall haben zehn Arbeiter demonstriert, weil sie statt der versprochenen 18 Schilling pro Stunde nur 15 bekommen hatten. Im zweiten Fall hatten Arbeiter ihre Stimmen erhoben, weil ein Kollege gekündigt worden war, nachdem er sich über die Arbeitsbedingungen beschwert hatte. Die Arbeitgeber hatten Angst, dass auch andere ausländische Arbeiter auf die Barrikaden steigen und haben jede Form des Widerstands drakonisch bestraft.

 

„Streik oder Aufregen waren purer Luxus!“, erzählt Akif G. Und so haben viele einfach nur geschwiegen und gearbeitet. Sie haben alles gespart, was sie beiseite legen konnten und ihren Familien geschickt oder für ihre Kinder hier auf die Seite gelegt. „Irgendwann wurde es langsam besser. Zuerst ein besserer Job, dann eine schönere Wohnung…“ Heute lebt Akif in einer geräumigen, schönen Wohnung in Wien. Seine Kinder sind erwachsen und haben studiert. „Ich habe meinem Sohn gesagt, ich will dich nicht im Blaumann sehen!“ Nur sein Rücken ist von der jahrelangen harten Arbeit kaputt. Auch Dragica hat Schmerzen, wenn sie sich bücken muss und ihre Enkelkinder auf den Arm nimmt. Und erinnern wollen sie sich nicht so gern, an die ersten Jahre in Österreich, als jeder noch gedacht hat, sie gehen bald.

 

Info: Gastarbeiter in Österreich

1961 wurde das sogenannte Raab-Olah-Abkommen geschlossen, benannt nach den Präsidenten der Wirtschaftskammer und des Gewerkschaftsbunds Julius Raab und Franz Olah. Dieses sollte ausländischen Arbeitskräften den Zugang zum heimischen Arbeitsmarkt erleichtern und war quasi der Grundstein für die über 30-jährige Gastarbeitergeschichte Österreichs. Das erste Abkommen zum Abwerben von ausländischen Arbeitern wurde 1962 mit Spanien geschlossen. Da das Lohnniveau in Österreich relativ gering war, kamen aber kaum spanische Arbeiter ins Land. 1964 schloss Österreich ein Abwerbeabkommen mit der Türkei. Eine entsprechende Anwerbestelle war schon 1961 in Istanbul eröffnet worden. Diese vermittelte türkische Arbeiter an österreichische Betriebe, die um ausländische Arbeiter angesucht hatten. Auch mit dem ehemaligen Jugoslawien gab es ein Abkommen. Offiziell sollen von 1964 bis 1971 40.000 türkische und jugoslawische Arbeiter über den Amtsweg gekommen sein. Vermutlich waren es weit mehr, weil viele Arbeiter über Verwandte und Bekannte eine Stelle in Österreich bekommen haben. Schätzungsweise kamen bis Mitte der 80er-Jahre 200.000 bis 220.000 Menschen als Gastarbeiter nach Österreich.

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