SPIELEN VERBOTEN!

08. April 2009

Ich erinnere mich genau an den Tag, als ein neuer moderner Spielplatz nach deutscher Planung mit Autoreifenschaukel und einer wunderschönen Stahlrutsche im Zentrum von Sofia eröffnet wurde. Kinder aus allen Teilen der Haupstadt, ja sogar aus ganz Bulgarien stürzten sich wie wild auf diese Wunder der Technik.

von Todor Ovtcharov

 

 

 

Friedrich Schiller entwickelte als Erster in seinen Briefen „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“ die Theorie des „Homo Ludens“ – des spielenden Menschen. Sie erklärt, wie Menschen ihre Fähigkeiten im Spielen entdecken können, weil Spielen Handlungsfreiheit beduetet und eigenes Denken erfordert.
Ich verbrachte meine Kindheit auf verschiedenen Spielplätzen in Sofia - ohne den blassesten Schimmer zu haben, wer Friedrich Schiller ist. Zu dieser Zeit gab es noch keine Playstation,  kein Skype, nicht einmal ferngesteuerte Autos. Im vierzehnstöckigen Plattenbaublock waren wir Ritter, die die Prinzessin vom bösen Hüter der Rutsche retten mussten, Kosmonauten, die mit der Holzrakete ferne Planeten bereisen wollten und Piraten, die mit dem Spielboot nach verborgenen Schätzen suchten.

Sozialistische Parks
Ich kann mir vorstellen, dass alle Kinder in Sofia die gleichen Sachen spielten.  Alle Spielplätze in der Hauptstadt Bulgariens sahen einfach gleich aus. Die sozialistische Stadplanung glänzte nicht unbedingt mit besonderer Kreativität. Rutsche, Spielboot und Holzrakete gab es in jedem Wohnviertel von Sofia. Es war jeweils ein und dasselbe Modell. Ich erinnere mich genau an den Tag, als ein neuer moderner Spielplatz nach deutscher Planung mit Autoreifenschaukel und einer wunderschönen Stahlrutsche im Zentrum von Sofia eröffnet wurde. Kinder aus allen Teilen der Haupstadt, ja sogar aus ganz Bulgarien stürzten sich wie wild auf diese Wunder der Technik. Man musste manchmal bis zu einer Stunde warten, um einen Platz auf der Schaukel zu ergattern.
Seit fast drei Jahren lebe ich in Wien. Es waren nicht die baroken Kirchen, das Haus Mozarts oder die weltbekanten Gemäldesammlungen, die mich zu Beginn in der ehemaligen Hauptstadt des Habsburger Reichs am meisten faszinierten. Es waren die unterschiedlichen und sehr einfallsreich gebauten Spielplätze. Sie weckten meinen Neid auf österreichische Kinder.

Österreichische Kinder spielen nicht
Meine Verwunderung war allerdings sehr groß, als ich begriff, dass da überhaupt keine österreichischen Kinder spielten. Anscheinend haben österreichsiche Eltern noch nichts vom „Homo Ludens“ gehört. Österreichische Kinder sollen ihre Fähigkeiten anscheinend nicht durch Spiele entdecken lernen. Ihre Eltern haben einen ganz klaren Plan für ihre Zukunft. Am Montag haben die Kinder Ballet, am Dienstag Französisch, am Mittwoch Turnen, am Donnerstag Gitarre und so weiter. Wenn da überhaupt Zeit zum Spielen bleibt, verbringen die Kinder diese vor dem Computer oder vor diversen Spielkonsolen. Dadurch wurden die Spielplätze von Kindern mit Migrationshintergrund übernommen. Während Franz und Johannes zu Hause bei ihren Babysittern sind, rutschen und schaukeln Murat und Dragan den ganzen Tag auf diesen wunderbaren Spielplätzen.

Freud, Murat & Vodka
 Ich habe - Siegmund Freud würde möglicherweise seine eigenen Schlüsse daraus ziehen - etwas in meiner Kindheit versäumt. Deshalb leiste ich Murat und Dragan gerne Gesellschaft. Wenn ich eine Rutsche sehe, empfinde ich ein unwiderstehliches inneres Bedürfnis runter zu rutschen. Nirgendwo in Wien fühle ich mich wohler als auf Spielplätzen. Meine Freunde lachen mich öfters aus, weil ich viel lieber auf einer Schaukel meine Zeit verbringen will als in einem Lokal.
An meinen letzten zwei Geburtstagen war ich in Wien ganz allein. Ich kannte niemanden. Ich kaufte eine Flasche Wodka, ging auf einen Spielplatz, kletterte, rutschte und schaukelte die ganze Nacht lang. Ich rettete schöne Prinzessinnen, entdeckte ferne Planeten und suchte nach verborgenen Schätzen genau wie in meiner Kindheit. Da fiel es mir leicht, mein miserables Ausländer-Dasein zu vergessen. Es interessierte mich nicht mehr, dass ich aufgrund meines ausländischen Passes nirgendswo einen Job bekommen kann, dass mich die Vermieterin wieder mit der Fremdenpolizei bedroht hat oder dass sich jeder, der mich liebt, 1300 Kilometer entfernt  von mir befindet.
Liebe Wiener, wenn ihr einen unrasierten, ein bisschen komisch aussehenden jungen Mann auf dem Spielplatz nebenan rutschen oder schaukeln seht – keine Angst und ruft bitte nicht die Polizei. Ich will nur das ausnutzen, was ich als Kind nicht hatte.   

Kommentare

 

ich liebe todors geschichten.

zu der kann ich nur sagen, dass ich diese tollen spielplätze auch aus deutschland kenne. hab dort als kind einige zeit verbracht.

diese zeit hat mich so geprägt, dass ich mich heute noch gern auf eine schaukel setze und einfach losschaukle.

alter spielt bei kindheitserinnerungen wirklich keine rolle.

die schaukel bleibt!!!! :))

 

den text finde ich sehr schön. aber passt der titel wirklich zum text?

eignetlich nur in der hinsicht, dass erwachsene nicht mehr spielen dürfen/von ihren freunden ausgelacht werdne, was aber irgendwie mehr wie eine nebensache im artikel klingt.

ich weiß gar nicht, in welchem ausmaß ich als kind kinderspielplätze verwendet habe ... aber ich denke schon eher häufiger ... jedenfalls hab ich mir mal die unterlippe DURCHgeschlagen, als ich zu knapp an einer schaukel vorbeigegangen bin.

Anmelden & Mitreden

12 + 1 =
Bitte löse die Rechnung