Wann ist man denn ein „guter Flüchtling“?

07. März 2022

Weltweite Solidarität mit der Ukraine. Schweigeminuten, Spenden und Europa unter Schock: Die 15-Jährige Schülerin Nadin Khalil findet das alles sehr wichtig. Sie sieht aber an den plötzlich hilfsbereiten und solidarischen Haltungen der PolitikerInnen eine ziemliche Heuchelei.  

Von Nadin Khalil

In der Schule haben wir am Freitag eine Schweigeminute für die Ukraine eingelegt. In fast allen Fächern, vor allem in Geschichte oder Geographie, reden wir über den Krieg, diskutieren die Ursachen und machen Gruppenarbeiten, in denen wir uns mit den politischen bzw. wirtschaftlichen Hintergründen des Krieges beschäftigen. In meiner Schule werden auch Spenden für die Ukraine gesammelt. Das ist natürlich alles sehr wichtig und richtig so. Trotzdem hinterlässt all das bei mir einen fragwürdigen Nachgeschmack.

Wenn wir für das Leid der Menschen in der Ukraine eine Gedenkminute einlegen, warum dann nicht auch für Palästina, Jemen, Libyen, Syrien, Libanon, Irak, Afghanistan oder das Leid der Uiguren, über die niemand spricht? Natürlich steht die Ukraine momentan im Mittelpunkt unserer Gespräche, weil sich diese Geschehnisse in unserer Nähe, in Europa abspielen und weil es für die meisten von uns gerade etwas Neues ist, das ist mir klar.Mich stört aber einfach diese Doppelmoral und Denkweise der PolitikerInnen, die jetzt plötzlich überall behaupten, wie wichtig Solidarität ist und dass kein Mensch es verdient hat zu Leiden. Das wirkt für mich so gespielt. Während sie sich da hinstellen und von Menschlichkeit reden, werden schwarze Flüchtlinge Medienberichten zufolge aus der Ukraine nicht über die Grenzen gelassen, kontrolliert und festgenommen werden. Das ist weder Solidarität noch hat es auch annähernd eine Spur von Menschlichkeit, das ist purer Rassismus. 

 

„Das sind Menschen mit blauen Augen und blonden Haaren“

Ich denke nicht,  dass es den europäischen PolitikerInnen um Menschlichkeit oder Solidarität gegenüber allen Menschen geht. Es sind einzig und allein ihre „eigenen Leute“, die ihnen wichtig sind. Das hat mir unter anderem David Sakvarelidze in seiner Liveschaltung auf BBC mit seinem Satz: „Es ist sehr emotinal für mich, weil ich Europäer und Kinder mit blauen Augen und blonden Haaren, die durch Putins Waffen und Helikopter umgebracht werden“ bewiesen.

Im Umkehrschluss bedeutet das demnach,  dass Menschen, die nicht weiß sind, blonde Haare oder blaue Augen haben, den Krieg verdient haben und es verdienen zu leiden und zu sterben? Oder wie?Auch sagt der bulgarische Premierminister Kiril Petkov über die kommende Flüchtlingswelle: „Diese Leute sind intelligent, sie sind gebildete Leute… Das ist nicht eine Flüchtlingswelle, an die wir gewohnt sind. Menschen, bei denen wir uns ihrer Identität nicht sicher waren, Menschen mit ungeklärter Vergangenheit, die sogar Terroristen hätten sein können. Es gibt nicht mal ein einziges Land, das sich vor der aktuellen Flüchtlingswelle fürchtet“.  Also heißt das, dass die Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan etc. ungebildet, dumm und eventuell Terroristen sind und überhaupt kein Recht haben, nach Europa zu fliehen, um dort Sicherheit zu suchen?

Selbst inmitten einer europäischen Krise schaffen wir es an allen Ecken Rassismus einzubauen. Sind unser Verhalten und unsere Reaktionen wirklich richtig so? Wenn wir solidarisch sein wollen, dann sollten wir aufhören auf die Hautfarbe, Herkunft oder Religion der Leute zu schauen und damit beginnen aufrichtige Menschlichkeit zu zeigen. Für Kriege haben schon immer unschuldige Menschen mit ihrem Leben bezahlen müssen. Die ukrainische Bevölkerung hat dieses Leid nicht verdient, aber genauso wenig verdient haben es die Menschen in Afghanistan, Palästina, Libyen oder Syrien Das hier ist kein Wettkampf darum, wer das größere Leid durchmacht. Krieg ist Krieg, egal wie und wo er stattfindet. Und wer leidet, sind im Endeffekt nicht die PolitikerInnen, sondern die gewöhnlichen Menschen. Und mit denen sollten wir uns alle solidarisieren – egal woher sie sind.

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