WARUM ES WICHTIG IST, EINE NESTBESCHMUTZERIN ZU SEIN.

01. Dezember 2020

Nada El-Azar

Von Nada El-Azar, Foto: Zoe Opratko

Infolge des islamistischen Terroranschlags in Wien hat der Journalist Ruşen Timur Aksak einen Kommentar mit dem Titel „Unser Schweigen ist das Gift“ auf seinem persönlichen Blog gepostet: „Wer unmündig ist, wer sich wie ein Unmündiger verhält, besser gesagt, kann und darf nicht ernstgenommen werden. Und was ist ein deutlicheres Anzeichen für Unmündigkeit als, dass man den Extremismus in den eigenen Reihen ignoriert? Und selbst dann noch ignorieren will, wenn er in unserem Land mordet?“ Aksak kritisierte die fehlende innermuslimische Auseinandersetzung mit Extremismus – und das als ehemaliger Pressesprecher der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ). Man würde meinen, dass er eine starke Position in der Debatte hätte. Doch es kam anders. „Am erstaunlichsten waren für mich jene Reaktionen, dass jetzt nicht ‚die Zeit für Kritik sei‘ und man sich mehr auf den steigenden antimuslimischen Rassismus konzentrieren sollte. Ich beschäftige mich seit Jahren mit dem Thema und anscheinend ist niemals die Zeit reif für Kritik - nicht nach islamistischen Terroranschlägen, auch nicht dazwischen. Die Situation hat sich innermuslimisch verschlimmert“, so Aksak im Gespräch.

Auch ich kenne diesen Frust, wenn es um offene Kritik an „meiner“ Community geht. Wer denkt, dass ich, eine arabischstämmige Journalistin aus einer muslimischen Familie, „kugelsicher“ sei, der irrt. Als sich etwa die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern nach dem rechtsextremen Terroranschlag von Christchurch das Kopftuch als Zeichen der Solidarität mit Muslimen überzog, wurde sie gefeiert – außer von mir. Ich kritisierte diese Symbolik, und selbsternannte AntirassistInnen bezeichneten mich als rassistisch und islamophob. Auch andere Themen griff ich nicht im „Sinn“ meiner Community auf. Unlängst forderte ich in einem Kommentar ein „Recht auf Mohamed-Karikaturen“. Das bringt mir einen gewissen „Nestbeschmutzer-Ruf“ in der Community: Denn meine Standpunkte sollten, ihrer Meinung nach, keine Plattform bekommen, weil dies nur Rechten in die Hände spielen würde und überdies noch die Gefühle einer Gruppierung verletze. Diese abwertende Haltung gegenüber einer anderen bzw. community-kritischen Meinung führen nicht selten zu Boykottierungsaufrufen. Schade, denn genau das verhindert seit Jahren einen Fortschritt in der Debatte.

MISSSTÄNDE WURDEN ZU LANGE RELATIVIERT

Standpunkte wie die Ruşen Timur Aksaks oder meine werden schnell in eine konservative Ecke („Du redest ja wie Kurz!“) gestellt. Auch wichtige und bekannte Islamkritiker wie Mouhanad Khorchide oder Hamed Abdel Samad werden immer wieder mit dem Vorwurf, (rechts-)konservativen Parteien nahezustehen, diskreditiert. Woran das liegt? Der Soziologe Kenan Güngör begründet das wie folgt: „Der links-liberale Mainstream sah in den Muslimen benachteiligte Minderheiten, die gegenüber den Abwertungen der Mehrheitsgesellschaft zu schützen sind und nahm damit eine anwaltschaftliche Rolle ein, in   Gruppen relativiert bzw. ausgeblendet wurden.“ Es werde nicht mehr zwischen emotionalisierter und menschenrechtsorientierter Islamkritik unterschieden. Indem viele der Islamkritiker beim links-liberalen Mainstream keinen Anklang fanden, nicht verstanden und angefeindet wurden, drängte man sie in die Hände der Rechtskonservativen, wo sie Gehör fanden. „Somit haben wir die paradoxe Situation, dass linksliberale Kreise in der Verteidigung rechtskonservativ-religiöser Migrantengruppen den links-liberalen islamkritischen Stimmen vorwerfen, rechtskonservative Narrative in der Mehrheitsgesellschaft zu unterfüttern“, so Güngör. Kurz gesagt: Kritiker aus der Community werden zu „Verrätern“, weil sie es wagen, eine von der Mehrheitsgesellschaft diskriminierte Gruppe zu kritisieren.

Welche Dynamik steckt hinter diesen Täter-Opfer-Verhältnissen? „Es gibt in der islamisch-arabischen Welt das weit verbreitete Narrativ, dass der Westen als ewiger Feind mit niederen Absichten, Geld und Macht seit jeher die Muslime unterdrücken will und an ihrer jetzigen Misere verantwortlich ist. Es wird eine einseitige, ungebrochene Linie von den Kreuzzügen, dem Kolonialismus über westlichen Imperialismus bis hin zu den Kriegen im Nahen Osten gesehen, in der sie immer schon die Opfer sind und der Westen als Täter fungiert. Es ist ja nicht so, dass an dem nicht etwas dran ist“, so Kenan Güngör. Während es im Westen eine vergleichsweise selbstkritische Auseinandersetzung damit gäbe, sei eine ähnliche Auseinandersetzung über die eigene Verantwortung in der islamischen-arabischen Welt in Kinderschuhen oder schlicht ein Tabu. Laut Güngör verfestige dieses Versäumnis eben jene selbstgerechte Täter-Opfer-Relationen.

Es gibt allerdings nicht nur Täter und Opfer. Jene „Verräter“, die als „verdammte Humanisten“ zwischen diesen Lagern stehen, brechen mit einem verinnerlichten Schweigedruck, wie Aksak beschreibt: „Wer Identitäre, Rechtspopulismus und den Kurz’schen Kulturkampf kritisiert, aber zum Thema Salafismus, Muslimbruderschaft und Terror nichts Kritisches zu sagen hat, ist nicht glaubwürdig.“ Man kann nicht jedwede Debatte aus einer Angstreaktion heraus unterbinden. Am Ende des Tages profitieren sonst extremistische Gruppierungen von diesen Narrativen. 

Bereich: 

Das könnte dich auch interessieren

Collage: Zoe Opratko
   Keine Bevölkerungsgruppe wird in...

Anmelden & Mitreden

7 + 9 =
Bitte löse die Rechnung