Sendungen wie “Im Namen des Volkes” verzerren die juristische und politische Realität

08. Mai 2017

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Irmgard Griss verkündet das Ergebnis der Abstimmung. Foto: Screenshot von puls4.com

Gestern Abend fand nicht nur der spannende französische Präsidentschaftswahlkampf zwischen Macron und Le Pen sein Ende. Quasi parallel dazu durfte ein neues Sendeformat auf Puls4 Einzug halten, um noch mehr Menschen am Sonnabend vor ihre Bildschirme zu zerren.

 

Aufgemacht ist die Sendung wie eine typische Gerichtsverhandlung. Den Vorsitz der Verhandlung hat die ehemalige OGH-Präsidentin Irmgard Griss, die zuletzt bei der Wahl der österreichischen Präsidentschaft kandidierte, aber bereits im ersten Wahlgang ausgeschieden ist. Auch der weitere Ablauf steht einer Gerichtsverhandlung in nichts nach: Es gibt zwei Streitparteien, die ihre Beweise in Form von Videos und ihrer eigenen Sicht der Dinge kundtun und eine Bank mit zwölf Geschworenen, die einen Teil der insgesamt 500 ÖsterreicherInnen darstellen sollten, die am Ende der Livesendung repräsentativ abstimmen und somit das Ergebnis der Verhandlung bestimmten. Zuständig für die Organisation und den Ablauf der Abstimmung war das Markt- und Meinungsforschungsinstitut OGM. So weit, so gut. Eine reale Verhandlung würde wahrscheinlich ein bisschen formeller ablaufen, aber sei’s drum – der Unterhaltungsfaktor spielt immerhin auch eine Rolle.

 

In der ersten Folge wurde ein Thema diskutiert, dem man in Österreich in der vergangenen Woche unweigerlich ausgesetzt war, es sei denn man verweigert konsequent jede Form von Medien oder lebt schlicht hinterm Mond. Die Rede ist vom Kopftuchverbot an österreichischen Schulen. Die Streitparteien dazu waren die deutsche Rechtsanwältin und Menschenrechtsaktivistin Seyran Ates als Befürworterin und die österreichische Philosophin und ehemaliges Mitglied des obersten Rats der muslimischen Glaubensgemeinschaft Amani Abuzahra als Gegnerin des Kopftuchverbots an österreichischen Schulen.

 

Ich will in diesem Kommentar in keinster Weise auf das diskutierte Kopftuchverbot eingehen. Einerseits haben wir darüber bereits genug gehört und andererseits möchte ich mir eine solche Diskussion nicht anmaßen. Ich widme mich deshalb dem Problem, das ich persönlich mit Sendungen diesen Formats habe: Der Verzerrung von juristischen und politischen Kompetenzen in Österreich. Fehldarstellungen dieser Art finde ich gerade in Zeiten wie diesen, in denen Menschen aus allen Altersklassen nicht wissen (zu beobachten bei Diskussionen rund um die vergangene Bundespräsidentschaftswahl samt Wiederholung und Verschiebung), was die Funktionen und Kompetenzen von Bundespräsident, Nationalrat und Konsorten sind, äußerst problematisch.

 

Anfangen tut das damit, dass in Gerichtsverhandlungen keine Gesetze diskutiert oder gar beschlossen werden – diese Funktion hat in Österreich der Nationalrat (in Zusammenarbeit mit dem Bundesrat) inne. Das Gericht ist in Verhandlungen lediglich für die Anwendung dieser zuvor festgelegten Gesetze zuständig.

 

Außerdem schafft dieses Format das Bild einer ausgeprägt bestehenden direkten Demokratie in Österreich. Dabei gibt es bei uns im Groben drei Mittel direkter Demokratie: das Volksbegehren, die Volksabstimmung und die Volksbefragung. Die verbindliche Kraft, ein Gesetz zu beschließen, hat dabei nur die Volksabstimmung. Das Volksbegehren gewährleistet nur eine Behandlung des Antrags im Nationalrat (mit offenem Ausgang) und die Volksbefragung hat keinerlei bindende Wirkung. Mit einer Gerichtsverhandlung haben alle drei wenig gemeinsam. Und das ist auch gut so. Ich möchte mir nicht vorstellen, welch abenteuerlichen Gesetzen wir ausgesetzt wären, wenn diese durch direkte Demokratie zustande kommen würden.

 

Der nächste Punkt ist, dass Irmgard Griss nach der Verkündung des Ergebnisses (rund 80 Prozent der Befragten haben sich für ein Kopftuchverbot an Schulen ausgesprochen) versucht, dieses zu relativieren und zu erklären. Sie wertet dabei das Ergebnis und erklärt, wie dieses – ihrer Meinung nach – zu interpretieren sei, was aufgrund der Aufmachung der Sendung völlig deplaziert ist.

 

Ein ähnliches Phänomen war auch beim ARD-Format “Terror: Ihr Urteil” – welches auch im ORF ausgestrahlt wurde – zu beobachten, bei dem Verhandlungsarten, Verantwortlichkeiten und Zusammenhänge wirr vermischt wurden. Grundsätzlich sind solche Sendungen eine willkommene Abwechslung im sonst sehr monotonen TV-Alltag. Aber wenn schon, dann bitte auch richtig.


 

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