Wenn Eltern das Beste verheimlichen

Sehr geehrte Damen und Herren, dies ist dies eine Sammlung aus tendenziell unterhaltsamen Erinnerungen, die ich über den geehrten Herren habe, der mich erzogen hat.

 

Er führt ein ungewöhnliches Eigenleben, das nicht in das Schema eines “gewöhnlichen Lebens” passt. Nur um klarzustellen: Bzgl. Hintergrundinformationen kann der Text lückenhaft erscheinen. Das liegt daran, dass ich vermeiden will, dass man dieses Schreiben auf meine Familie zurückführen könnte…

 

Fangen wir damit an, dass er jederzeit, sei es im Urlaub oder nach der Arbeit, in Sprachbüchern liest. Dies ist einfach sein Hobby. Von Armenisch bis Swahili (ob auch Zulu, weiß ich nicht), haben wir in unseren Bücherschränken wohl beinahe ausnahmslos für jede Sprache ein Lehrbuch. Die große Menge ist für meine Mutter schon länger ein kleines Ärgernis. Kein Mensch scheint zu wissen, wie viele Sprachen er in Wirklichkeit beherrscht. Der Herr, meint es seien nicht viele - höchstens fünf bis sieben: Deutsch, Französisch, Russisch, Spanisch, usw.…

 

Leicht auffällig  war es dann bei unserem Urlaub in der Türkei. Dort unterhielt er sich mit den Einheimischen auf ihrer Muttersprache. Einmal war er auch im Fernsehen zu sehen, wie er in einer slawischen Sprache redete - die nicht unbedingt zu den “gekonnten” Sprachen gehörte. Mein damaliger Lehrer kam zu meiner Mutter und mir, um uns zu sagen, dass der liebe Herr, die Sprache perfekt beherrsche. Essen in asiatischen Lokalen enden öfters damit, dass er mit den Kellnern Chinesisch übt. Letztendlich, kann er als bescheidener Mensch sicher um einiges mehr Sprachen sprechen als er behauptet. 

 

Besonders interessant sind die ganzen Geschäftsreisen, die er unternommen hat. Es ist nicht bekannt, wie viele wirklich geschäftlich waren. Über die Jahre sind uns immer mehr Geschichten “offenbart” worden. Ganz nett war die eine, die ein Freund von ihm bei einem Weihnachtsfest erzählt hat: Sie waren irgendwo in Mexiko, in einer sehr gefährlichen (und hügeligen) Gegend, das Auto war defekt bzw. hatten sie kaum Benzin. Beim Hinauffahren der vielen Hügel drückten sie zwar aufs Gas, doch beim Herunterfahren überließen sie das Auto der Schwerkraft, um Benzin zu sparen. Irgendwann haben sie es so an einen bewohnten und sicheren Ort geschafft. 

 

Auch sind über die Jahre immer mehr Trophäen erschienen: Inzwischen ist es eine beträchtliche Menge an Medaillen, Handtüchern und T-Shirts, die den Finalisten von Stadtmarathons überreicht werden. Diese beschriftet mit dem Namen der Stadt indem diese überreicht wurden sind: Tokio, Honolulu, Havanna, New York, sind nur einige. 

Irgendwann stellte sich heraus, dass er einmal kurz mit Fidel Kastro gesprochen hatte, ein anderes Mal mit Nelson Mandela, Putin durfte von der Ferne gesehen werden. Vom Dalai-Lama dürfte ich auch etwas gehört haben.  

Man könnte meinen, mein Vater führt ein Doppelleben!
Man könnte meinen, mein Vater führt ein Doppelleben!

Bis jetzt scheint eines noch nicht ganz geklärt: ein Bekannter hat uns bezüglich eines Buches angesprochen, dass der liebe Herr geschrieben haben soll. Es würde ganz gut zu ihm passen, ein Buch zu schreiben und seine Familie nichts darüber wissen zu lassen. Er meint, dass er nie ein Buch geschrieben habe, nur einige Zeitungsartikel, von denen ich auch länger nichts wusste.

 

Auch ich vergesse diese Seite von ihm über längere Zeiträume, weil unser tägliches Leben sonst  völlig “normal” abläuft. Der Herr fährt mich täglich zur Schule, gelegentlich unternehmen wir als Familie etwas gemeinsam, oder er diskutiert mit unserem Hund. Der soll nämlich aufhören um Futter zu betteln und den Herrn dabei zu kratzen, weil der Hund laut dem Herrn dringend abnehmen müsse. Wenn man ihn beim Einkaufen auf dem türkischen Markt sieht, denkt man nicht daran , dass er eigentlich eine Menge relativ extremer Geschichten erlebt hat und sich immer wieder in extreme Situationen begibt.

 

Übrigens weiß ich gerade nicht, wie ich diesen Text beenden soll… So schreibe schreibe ich dir, sehr geschätzter und bis vor Kurzem Erziehungsberechtigter, auf deiner Lieblingssprache: „te imam rada", und hoffe, dass dieser Artikel dir gefällt.

 

Liebe Grüße, deine Tochter

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