Anschläge in Brüssel: Je suis sick of this shit!

22. März 2016

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Foto: Aleksandra Tulej

Heute Morgen kam es in Brüssel zu mehreren Explosionen: zu zwei am Flughafen Zaventem und zu weiteren an verschiedenen U-Bahnstationen. Dabei sollen mindestens 26 Menschen getötet und noch mehr verletzt worden sein. Mindestens ein Selbstmordattentäter soll sich in die Luft gesprengt haben. Es wurde soeben bestätigt, dass es sich um Terroranschläge handelt. Die höchste Terrorwarnstufe wurde ausgerufen, der öffentliche Verkehr ist eingestellt. Die belgisch-französische Grenze ist geschlossen, die Menschen werden dazu aufgerufen, in ihren Häusern zu bleiben. Die Telefonnetze sind überlastet.

Ich habe keine Freunde in Ankara, in Brüssel schon

Während ich diese Zeilen tippe, muss ich mehrmals aufhören, die Wörter löschen, und von Neuem anfangen. Die Infos in den verschiedenen Live-Tickern, die ich offen habe, ändern sich sekündlich. Ich muss auch die Zahlen ändern. Als ich begonnen habe, zu schreiben, war noch von 15 Toten die Rede, jetzt sind es 26. Jedes Mal, wenn ich den reddit-Live-Ticker aktualisiere, wird mir immer mulmiger. Zu diesem mulmigen, stechenden Gefühl im Bauch kommt noch etwas anderes hinzu. Ich bin zum ersten Mal von so etwas direkt betroffen. Es ist nicht der erste Anschlag dieser Art, es ist auch nicht der letzte. Tel Aviv, Beirut, Ankara, Paris – allein in den letzten Monaten sind so viele Terroranschläge passiert, dass man es eigentlich nicht begreifen kann. Aber ganz ehrlich? Ich wusste von vielen Vorkommnissen aus dieser Liste, die alle Terroranschläge des letzten Jahres auflistet, nicht einmal. Vor allem, wenn es um Länder wie Mali, Nigeria oder die Philippinen geht. Aber dafür will ich mich nicht entschuldigen.

In Wien ermahnen dich Polizisten wegen deines Fahrradlichts, Terror gibt's hier nicht.

Ich habe keine Freunde oder Verwandten in Mali oder in Nigeria, ich war nie dort, ich habe keinen Bezug dazu. Dass jedes Menschenleben gleich viel wert ist, brauchen wir hier nicht auszudiskutieren, darum geht es auch gar nicht. Vor ein paar Tagen ging eine Autobombe mitten in Ankara hoch, 37 Menschen starben. Ankara ist viel näher als Nigeria oder Mali. Ich habe die türkische Botschaft bei mir in der Nähe. Kurz nach dem Anschlag lagen vor dem Botschaftsgebäude Blumen und Kerzen. Natürlich ist man beim Vorbeigehen nicht gleichgültig. Aber ganz ehrlich, zwei Häuser weiter, und meine Gedanken waren wieder weg von den Blumen und Kerzen und bei meinem eigenen, unwichtigen Kram. Auch dazu habe ich einfach keinen direkten Bezug. Bei den Anschlägen in Paris war es ähnlich. Jeder kennt Paris, die meisten waren schon dort, man hat Freunde, die dort ein Austauschsemester machen. Aber man selbst ist nicht dort. Wir sind im sicheren, verschlafenen Wien, in dem dich die Polizisten ermahnen, wenn dein Fahrradlicht nicht eingeschalten ist, und nicht zu Anti-Terror-Einsätzen ausrücken.

"Es schaut nicht gut aus"

Erst gestern Abend lag ich im Bett, in meinem sicheren, verschlafenen Wien, und habe auf meinem Laptop nachgecheckt, wann genau am Donnerstag, also übermorgen, mein Flug nach Brüssel geht. Ich malte mir aus, wie ich durch die Gassen spaziere, ich sah mich schon den Urban Outfitters leerräumen und freute mich auf meine Familie, die ich dort besuchen würde. Terroranschläge waren dabei bei weitem das Letze, woran ich dachte. Heute in der Früh weckte mich ein Anruf meiner Mutter aus Warschau, die mir erzählte, was passiert sei. Zu dem Zeitpunkt war „nur“ von einer Explosion die Rede, ich war noch zu verschlafen, um mir wirklich Gedanken darüber zu machen. Und dann ging alles schnell. Die Infos und Nachrichten wurden immer schlimmer und immer dünkler. Ich habe mit meinem Onkel, der in Brüssel lebt, geschrieben. Er versicherte mir in einer SMS, dass es ihm, meiner Tante und meinen kleinen Cousins gut geht, aber „Es schaut nicht gut aus.“ Sie sind gerade mitten im Geschehen. Die Flaggen vor der EU-Kommission stehen auf Halbmast, es wurde eine Ausgangssperre verhängt, niemand darf hinaus. Eine meiner besten Freundinnen ist auch gerade dort, genau wie Biber-Redakteurin Simone. Die Stimmung ist angeblich sehr, sehr angespannt.

Je suis sick of this shit!

Als ich wusste, dass alle, die ich Brüssel kenne, in Sicherheit sind, habe ich kurz aufgeatmet. Aber nur kurz. Mein nächster Gedanke: Was wäre, wenn ich heute geflogen wäre? Was wäre, wenn die Anschläge zwei Tage später stattgefunden hätten? Ich sehe mir die Bilder des zerstörten Flughafens an, und mir wird so richtig schlecht. Ich hätte genau mittendrin stehen können. Ja, ich weiß, ich bin gerade verdammt egoistisch. Ich, ich, ich. Wäre, hätte, Fahrradkette. Es sind unschuldige Menschen gestorben, die dort waren. Nicht gewesen wären. Also lassen wir das mit dem „wäre“ jetzt. Ich kann aber nicht anders, als mich zu Fragen, wie es jetzt weitergeht. Der Flughafen ist vorerst gesperrt, ich weiß nicht, ob ich überhaupt nach Brüssel komme. Und wenn, wenn sowieso Ausgangssperre herrscht, ob es dann großartig Sinn macht, hinzufliegen. Falls ich dort bin, werde ich euch auf jeden Fall am Laufenden halten. Angst vor einem erneuten Anschlag habe ich nicht unbedingt, nur Angst davor, dass uns der Terror nach und nach einschränkt, und uns somit, so makaber es klingen mag, die Freude am Leben wegnimmt. Ich weiß, dass das genau das Ziel der Terroristen ist. Was mir sehr wohl Angst macht, ist, dass sie es heute zum ersten Mal geschafft haben, mir dieses Übelkeitsgefühl unterzuschieben. Ich könnte gerade wirklich kotzen. Je suis von mir aus Charlie, je suis Paris, je suis Kenia, je suis alle Menschen, alle Nationen, alle Länder. Aber vor allem: Je suis sick of this shit. 

Folgt Aleks auf Twitter: @AleksandraTulej

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