CDU-Politiker soll Terror-Opfer von Hanau verhöhnt haben

11. November 2022

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Arne Dedert / dpa / picturedesk.com

Witze im hessischen Landtag mit Referenz zum Terroranschlag in Hanau – Schwere Vorwürfe gegen einen CDU-Abgeordneten und den Sprecher des Innenministers, die alles abstreiten. Angehörige und Überlebende sind schockiert.

„Der Notausgang ist geschlossen, aber nicht auf Anordnung der Polizei" sollen der hessische CDU-Landtagsabgeordnete Michael Ruhl und ein Mitarbeiter des Innenministeriums nach einem Feueralarm im Landtag am 07. November gesagt und dabei gelacht haben. Newroz Duman, Sprecherin der „Initiative 19. Februar“ erklärte dies im Gespräch mit t-online. Die Initiative, die seit dem Anschlag für eine lückenlose Aufklärung kämpft, sieht darin einen beabsichtigten Bezug zu dem verschlossenen Notausgang in der Nacht des Anschlags, in der Hamza Kurtović und Said Nesar Hashemi in der „Arena-Bar“ von dem 43-Jährigen erschossen wurden, nachdem sie nicht durch die verschlossenen Ausgänge flüchten konnten.

Am 19. Februar 2020, tötete ein Rassist in der hessischen Stadt Hanau gezielt 9 Menschen mit Migrationshintergrund und im Anschluss seine Mutter und sich selbst. Im Juli 2021 wurde ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss des hessischen Landtags zu den Morden seitens des SPD-Abgeordneten Marius Weiß offiziell aufgenommen. Ziel ist es, die Hintergründe und die Verantwortlichkeiten des Anschlags aufzuklären.

Die „Initiative 19. Februar“ schrieb auf Twitter: „Nachdem einige Abgeordnete des Untersuchungsausschuss-Hanau in der ersten Sitzung lieber Zeitung lasen als den Angehörigen, die vor ihnen sprachen, Aufmerksamkeit zu schenken, ist das erneut ein Tiefpunkt der Respektlosigkeit. Haben diese Menschen nicht ein Mindestmaß an Feingefühl?"

Auch Angehörige der Opfer zeigen sich fassungslos. Said Etris Hashemi, der Bruder des verstorbenen Said Nesar Hashemi auf Twitter: „Dieses Verhalten ist respektlos gegenüber den Angehörigen und auch gegenüber der Öffentlichkeit. Wie kann man nur solche Witze bringen. Während im UNA über den Notausgang diskutiert, wird“.

Die CDU-Fraktion weist die Vorwürfe ab

Auf eine Anfrage von t-online gab die CDU-Fraktion folgendes Statement ab: „Unsere Abgeordneten zeigen stets Respekt vor Opfern von Gewalttaten und verhalten sich erst recht nicht despektierlich gegenüber den Opfern des grausamen Anschlags in Hanau.“ Der Politiker Ruhl äußert sich zu den Vorwürfen nicht.

Außerdem bestätigte das Innenministerium nach der Anfrage von t-online zwar, dass während des Alarms eine Ausgangstür verschlossen war, den Vorwurf gegen einen ihrer Mitarbeiter weisen sie jedoch ab. Es wäre darum gegangen, dass „sich die Landtagsverwaltung dem verschlossenen Ausgang annehmen müsse", so der Sprecher des Innenministeriums.

Der CDU wird seitens der Angehörigen und Überlebenden mangelnde Aufklärungsabsichten und Feingefühl vorgeworfen. Said Etris Hashemi twittert: „Die CDU versucht schon seit Beginn dieses Ausschusses, Aufklärung zu verhindern, weil Sie genau wissen, dass die größte Verantwortung bei ihnen liegt, da Sie momentan in Hessen regieren. Ständig denkt man, dass die CDU nicht weiter sinken kann in ihrem Verhalten, aber das Witzeln über den Notausgang ist ein neuer Tiefpunkt, selbst für die CDU. Weder der Sprecher des Innenministers noch der Abgeordnete Ruhl haben nach dieser Aktion noch etwas im Ausschuss verloren“, so Hashemi.

Deutschland und die Aufklärung rechtsextremer Morde

Angesichts des Versagens der Behörden auf verschiedenen Ebenen, ist die Fassungslosigkeit und die Wut der Angehörigen und Überlebenden über diesen Vorfall sehr nachvollziehbar. Auch, dass sie kein Vertrauen mehr in die hessischen Ermittlungsbehörden haben, ist nach den Versäumnissen nur verständlich. Seit dem Anschlag im Februar 2020 müssen sie ununterbrochen für eine lückenlose Aufklärung kämpfen. Ein Witz wie dieser hat, erst recht während des Untersuchungsausschusses, in Anwesenheit der immer noch trauernden und traumatisierten Angehörigen und Überlebenden nichts zu suchen und ist an Taktlosigkeit eigentlich kaum zu überbieten.

Leider ist es auch nicht das erste Mal, dass Ermittlungen von Behörden bei der Aufklärung rechtsextremer Morde Fragen aufwerfen. 11 Jahre nach der Enttarnung des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU), ein Neonazi-Trio, das zwischen 2000 und 2007 zehn Morde und weitere Anschläge begann, konnten die Behörden noch immer nicht alles aufdecken. Dabei wurde vor allem kritisiert, dass jahrelang die Opfer selbst verdächtigt wurden, dass es Missverständnisse durch V-Männer des Verfassungsschutzes in rechtsextremistischen Kreisen gab und dass wichtige Akten geschreddert wurden. Nicht nur, dass die Opfer durch Medien und Politik entpersonalisiert wurden indem immer wieder von „Döner-Morden“ gesprochen wurde, auch Angehörige wurden in Befragungen nicht ernst genommen und unter Druck gesetzt.

Es gibt also systematische Lücken in Sicherheitsfragen der Bundesrepublik und ein gebrochenes Urvertrauen in die deutsche Politik. Wird die Aufklärung der Hintergründe des Anschlags in Hanau nun die nächste Schande der Sicherheitsbehörden und Politik Deutschlands? Und wie sollen Menschen mit Migrationshintergrund dem deutschen Staat überhaupt noch vertrauen können?

 

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Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kiliç, Mehmet Turgut, Ismail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat

Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar, Kaloyan Velkov

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