„Das passiert wenn man eine Schlampe ist“

28. September 2016

stop-1131143_960_720.jpg

5 himmelschreiende Gesetze gegen Frauen
Foto: pixabay.com

Man darf das Bedürfnis nach Aufmerksamkeit nicht unterstützen, insbesondere bei jungen Mädchen.“ Das ist die Aussage bei der ich gestern vor Wut aufgesprungen bin und auf meinen Laptop eingeschrien habe.

Ich habe mir die Netflix-Dokumentation „Audrie und Daisy“ angesehen. Die Doku ist schon seit fünf Tagen im deutschsprachigen Raum des Streaming Diensts verfügbar und hat schon jetzt hervorragende Bewertungen. Sie handelt von zwei amerikanischen Mädchen, Audrie und Daisy, die sich nicht kannten, die in unterschiedlichen Städten aufgewachsen sind, die aber dasselbe Schicksal teilten: Beide wurden von Schulkollegen sexuell misshandelt. Beide wurden danach im Internet gedemütigt. Beide wurden als Lügnerinnen dargestellt. Unter anderem von Anwälten und Sheriffs. Das macht die Eingangsaussage, die mich so wütend macht, deutlich. Sie stammt vom Sheriff der Stadt, in der Daisy lebte, in der sie vergewaltigt wurde.

„Was hat sie erwartet, wenn sie sich morgens um 1 herausgeschlichen hat?“

In einem nächsten Statement, spricht der Sheriff von einer übermäßigen Verwendung des Wortes Vergewaltigung. Von Vergewaltigung spräche man nur wenn Gewalteinwirkung vorherrsche, sagt er. Dass die beiden Mädchen aber so betrunken waren, dass sie völlig bewusstlos und willenlos auf dem Bett lagen, während ihre Mitschüler sich an ihnen vergingen und sie filmten, spielt für den Sheriff keine Rolle. Auch der Bürgermeister der Gemeinde äußert sich in der Dokumentation. Er beschwert sich darüber, dass der Vergewaltigungs-Fall das Ansehen der Stadt ruiniert hätte. Über die schönen Golfplätze der Stadt rede keiner, nur noch über diesen Fall. Auch der Anwalt Joseph DiBenedetto äußert sich in einem Fernsehinterview zum Fall: „Was hat sie erwartet, wenn sie sich morgens um eins herausgeschlichen hat?“, fragt er vor laufender Kamera.

„Das passiert, wenn man eine Schlampe ist“

Als der Fall medial wird, wird Daisy im Internet als dreckige Hure beschimpft. „Das passiert, wenn man eine Schlampe ist“, schreiben User. Daisys Familie wird nach der Tat Opfer von Vandalismus. Daisys Mutter verliert ihren Job. Daisy hat infolgedessen mehrmals versucht sich das Leben zu nehmen, ihre Selbstmordversuche scheitern.

Der von Audrie scheiterte nicht. Die damals 15-Jährige war bei einer Party betrunken bewusstlos im Bett liegen geblieben. Mitschüler zogen sie aus und malten ihr Penisse und Pfeile auf ihren gesamten Körper, ihre Vagina. Zwei der jungen Männer griffen ihr in die Vagina. Am nächsten Tag waren die Bilder von der bemalten, nackten Audrie überall im Netz. Das Mädchen kann sich an nichts erinnern, sie schreibt die Täter an, will wissen, was passiert ist. Sie schreibt ihnen, dass ihr Ansehen für immer ruiniert ist.

Mädchen tratschen nur

Ein paar Tage bevor sie sich umbringt, schreibt sie einem der Täter: „Ihr wisst nicht, wie es ist, ein Mädchen zu sein.“  Doch die Täter meinen zu wissen, wie es ist, ein Mädchen zu sein. Als sie von dem Dokumentations-Team gefragt werden, ob sie etwas aus ihrer Tat gelernt haben, antwortet einer der jungen Männer: „Mädchen und Jungs ticken sehr verschieden. Mädchen die tratschen nur. (...) Jungs sind da irgendwie lockerer - das habe ich mit Sicherheit gelernt.“

Was diese Dokumentation deutlich macht, ist, wie die Schuld bei den weiblichen Opfern gesucht wird. Und, dass selbst Teenager wissen, wie die Gesellschaft funktioniert: Frauen sind Schuld, wenn sie belästigt werden, sie haben es provoziert, sie wollen Aufmerksamkeit, sie genießen es danach mit ihren Freundinnen darüber zu tratschen, sie sind Schlampen.

„Sie hat’s verdient“

Ich habe ein Lehramtsstudium abgeschlossen, ich habe Erfahrung mit Jugendlichen. Bei unserem biber-Schulprojekt habe ich mit 500 SchülerInnen zusammengearbeitet. Ich habe Schüler aus den unterschiedlichsten sozialen Milieus kennengelernt. In jeder Klasse, in der ich bisher war, ist mir das Wort „Schlampe“ zu Ohren gekommen. Ob in der katholischen Privatschule oder in der Brennpunktschule mit 90 Prozent Migrationsanteil. In einer der Schulen wurde ein Mädchen gemobbt, weil Nacktfotos von ihr in Umlauf gekommen waren. Die 15-Jährige war verliebt und hat ihrem festen Freund ein Nackfoto per WhatsApp geschickt. Der hat es an seine WhatsApp-Gruppen weitergeleitet und so hatte bald jeder aus der Schule das Foto gesehen. Ich diskutierte mit den Schülern über diesen Fall. Die gesamte Klasse, inklusive der Mädchen, also 25 Schüler und Schülerinnen waren sich einig, dass das Mädchen selbst Schuld daran sei, schließlich hätte sie das Foto gemacht und es an ihren Freund geschickt. Dass er ihr Vertrauen missbraucht hat, spielte für die SchülerInnen keine Rolle. Sie war eine Schlampe und das verdienen Schlampen nun einmal.

Mitschuld

Ich kann diese Bezeichnung nicht mehr hören. Ich möchte nicht, dass Mädchen bei sich die Schuld suchen, wenn sie als Schlampen bezeichnet werden. Ich möchte nicht sehen, dass sich Männer in ihren WhatsApp-Gruppen Fotos von „Schlampen“ zusenden. Dieser Begriff wurde nur konstruiert um Frauen zu erniedrigen. Es gibt kein männliches Äquivalent zum Begriff „Schlampe“. Sprache schafft Wirklichkeit. Und Menschen die gendersensible Sprache kritisieren, die Feminismus nicht als notwendig erachten, die beim Kampf für Frauenrechte schweigen, machen sich schuldig. Fälle wie die von Audrie und Daisy bauen auf dieser Art von Sprache auf, auf der Einstellung Frauen gegenüber. Jeder, der Begriffe wie „Schlampe“ nutzt, unterstützt Vergewaltigungen an Mädchen und Frauen.

Blogkategorie: 

Kommentare

 

Und das passiert in "entwickelten" Industriestaaten...

Genau wie diese Frechheit, dass Frauen sich nicht aufreizend anziehen sollten, damit sie vor den "Blicken der Männer" geschützt seien, weil sonst verdienen sie es ja mies angemacht zu werden.
Es sollte mal öffentlich thematisiert werden, dass Frauen sich aufreizend anziehen dürfen wie sie wollen, und es die Verantwortung der Männer ist, dass sie ihre Blicke und Gelüste wie zivilisierte Menschen unter Kontrolle halten.

Das könnte dich auch interessieren

Foto: Zoe Opratko
Zum Abschied gibt es kein Trompeten­...
Foto: Marko Mestrović
Ob Hijabi-Style, koschere Perücken oder...
Foto: Marko Mestrović
Nicht über die Communitys zu sprechen,...

Anmelden & Mitreden

13 + 6 =
Bitte löse die Rechnung