Der Stoff aus dem die Träume sind

21. März 2017

Francisca Herbstraße Mode Kolleg

In der ehemaligen „Tschechischen Realschule Komensky“ in der Herbststraße ist es ruhig. Nur das rattern der Nähmaschinen ist zu hören. Die Studenten der Herbststraße, Wiens Mode- und Kunstschule, bereiten sich auf ihre erste Fashionshow vor. Die Konzepte
Fotos von Michaela Kobsa

In der ehemaligen „Tschechischen Realschule Komensky“ in der Herbststraße ist es ruhig. Nur das Rattern der Nähmaschinen ist zu hören. Die Studenten der Herbststraße, Wiens Mode- und Kunstschule, bereiten sich auf ihre erste Fashionshow vor. Die Konzepte sind vielfältig. Von ästhetischen Philosophien bis hin zu psychischen Krankheiten und Gewalt gegen Frauen. Hinter jedem einzelnen Outfit steckt eine persönliche Geschichte.

Infos: Am 25. und 26. März hält die Herbstraße - die Mode- und Kunstschule in Wien - ihre jährliche Fashion Show und Creative Space ab. Tickets hier. 

(c) Moulham Obid

Moulham der goldene Schneider

Das Gebäude ist ein wahres Labyrinth. Nach einigen Minuten erreiche ich das erste Werkstattzimmer. Das Zimmer ist hell, bedeckt mit einer Schicht bunter Kleidung und Tuchfetzen. Eine Gruppe ist eingequetscht zwischen den Schaufensterpuppen und plant die Fashion Show. Hinter der Gruppe konzentriert sich Moulham auf seine rosa Tüll-Jacke. Insgesamt hat er dafür 60 Meter Tüll benötigt. Wie lange er schon daran arbeitet? Das weiß er nicht mehr. Nur dass er viele Samstage arbeiten musste, um sich das Material leisten zu können. Der andere Teil des Outfits ist ein weißes Kleid mit Augen-Muster. Die Outfits sind 'Showbiz', ausgefallen statt Alltag.

Tüll Jacke Moulham Obid

Moulham kommt aus Hama, Syrien, und hat dort sein Studium der Visuellen Kommunikation und Grafikdesign abgeschlossen. „Die ganze Zeit während meinem Studium habe ich Modezeichnungen gemacht und ich wollte unbedingt in der Uni in Aleppo Modedesign studieren“, erinnert sich Moulham. „Aber meine Eltern haben dazu nein gesagt. In Syrien gibt es zwar viele männliche Schneider, es ist aber sehr komisch, wenn ein Mann sich für Modedesign interessiert.“ Ein Jahr nach seiner Ankunft in Österreich bewarb er sich für das Modekolleg. Jetzt, fast am Ende der zweijährigen Ausbildung, arbeitet er an seiner Kollektion, die von Leonardo Da Vincis goldenem Schnitt inspiriert ist. Ein ästhetisches Naturgesetz. Alle Längen der Bildelemente entsprechen hier einem ganz bestimmten Teilungsverhältnis. Die Jacke von Moulham, sowie das Kleid mit den Augen, jedes Kleidungsstück entspricht dem Gesetz. 

Moulham kehrt zur Nähmaschine und ich ins Labyrinth zurück auf der Suche nach der zweiten Werkstatt.

Moulham Obid Herbstrasse Mode Kolleg

Borderline-Persönlichkeitsstörung und die Gummiringerl-Lösung 

Kurz bevor ich verzweifle, finde ich das nächste Zimmer. Ein knalliger, gelb, rot und grüner Stoff erstreckt sich über den Tisch in der Mitte des Zimmers. Bunte magenta und rote Stoffrollen lehnen an den Fenstern. Ganz in der Ecke, in einem Schrank, hängen lange, formlose Jacken. Sie sind graufarbig, mit spinnwebartigem Muster. Francesca, die Designerin, wurde von der psychischen Krankheit, dem Borderline-Syndrom, inspiriert.

Francisca Herbstraße Mode Kolleg

„Es geht um die Phasen. Manchmal ist man stark und dann wieder weniger“, erklärt sie. „Deshalb mische ich kräftige Stoffe mit feinen und dünnen.“ Wenn Patienten in einer schwierigen Phase sind, kann man sie manchmal wieder zurückholen, indem man mit einem Gummiringerl schnalzt. Das spinnwebartige Muster auf der Jacke repräsentiert diese Gummiringerl.

Die Jacke soll ein frisches und modernes Kleidungsstück sein. Gleichzeitig soll sie aber auch eine beruhigende Schutzhülle für den Träger darstellen. „Wenn man sich nicht gut fühlt, dann nimmt man sich ein Teil her, das man gernhat. Durch das Tragen der Jacke bekommt man ein neues Selbstbewusstsein. Man fühlt sich plötzlich besser.“

Francisca Herbstraße Mode Kolleg

Gewalt gegen Frauen

Ich bin wieder im ersten Raum und schaue mir Albulenas BDSM-inspiriertes Outfit an. Weiche, weibliche Stoffe kontrastieren mit einer schwarzen Käfig-Korsage. Ihr Thema: Gewalt gegen Frauen. Es ist kein fremdes Thema für sie. Sie ist Albanerin und in ihren engsten Kreisen ist Gewalt von Männern gegen Frauen nicht unüblich. Aber es ist kein „ausländisches Problem“, meint sie. „Viele denken, dass Frauen in Österreich mit sowas nicht konfrontiert werden. In Wahrheit erleben zwanzig Prozent der österreichischen Frauen Gewalt. Die meisten von ihren romantischen Partnern, und sie schämen sich, darüber zu sprechen.“ Albulenas Kollektion schreit, und zwar mit Fesseln. Diese repräsentieren das Gefühl der Gefangenschaft der Frau.  Aber die BDSM Elemente weisen auf einen Lebensstil hin, in dem Gewalt präsent, aber auch erwünscht ist.

Albulena lernte in der Handelsakademie und sah, wie ihre männlichen Mitschüler trotz schlechterer Noten bessere Arbeit bekommen haben. In der Geschäftswelt wollte sie nicht alt werden. Also entschied sie sich für die kreative Welt. „Die Kunst ist eine sehr schwierige Branche, du wirst nicht reich,“ erklärt sie. „Aber ich werde es riskieren. Und ich würde sehr gerne reich werden.“ Sie lacht. „Aber dafür muss ich mich auch durch die Männerwelt boxen weil auch in der Mode die Männer dominieren.“

Albulena Osmanaj Herbstraße Modekolleg

Ist Design ohne Zukunft?

Ich stehe wieder neben Moulham, der ein Stück rotes Material misst. In seinem Studium ist er erfolgreich, aber er macht sich Sorgen um seine Zukunft. Österreich bietet eine sehr gute Ausbildung an, hat aber keinen Markt, auf dem man eventuell seine Designs verkaufen kann. Nicht nur Moulham macht sich Sorgen. Viele der Studenten akzeptieren, dass sie nach dem Studium auf kreative Designs verzichten müssen, um Geld verdienen zu können.  Sie erzählen mir ihre persönlichen Konzepte und Ideen, stecken sich aber kurz danach wieder hinter die Nähmaschine. Ideen und Wörter sind eine Sache, eine fertige Kollektion eine völlig andere. Und diese Show ist für viele ihre einzige Gelegenheit,  ihre rohen Träume, Inspirationen und Frustrationen durch Mode und Design zu verwirklichen. Nach dem Studium gibt es wenig Platz für Tabus und politische Aussagen. Lebensläufe werden an H&M und Zara geschickt. Man wird Teil der Massenmode. Mit viel Glück bleibt man überhaupt im Fashion-Bereich.

Aber nicht alle geben schon vorher auf. Albulena hält an ihren Träumen fest: "Ich setze meine Ziele immer sehr hoch an. Vielleicht kommt eh nichts heraus, aber wenn ich mein Maximum versucht habe und nur ein Drittel davon erreiche, dann bin ich trotzdem glücklich." Und Moulhams Eltern unterstützen jetzt auch seine Leidenschaft. Moulham lächelt, "Sie glauben an mich und sagen mir, du wolltest das immer machen. Mache es weiter."

 

 

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