Diagnose: HIV – ein gesellschaftliches Todesurteil?

08. März 2023

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©Pixabay license/Image by Darwin Laganzon

Vor 40 Jahren wurden die ersten HIV fälle publik gemacht, heute findet das Thema nicht oft genug seinen Weg in die österreichischen Klassenzimmer sowie Medien. Ein Kommentar.

Stell dir vor, du hast seit deiner Kindheit einen Traumberuf und arbeitest Jahre darauf hin, diesen zu erreichen. Kurz vor der Ziellinie bekommst du ein vernichtendes Urteil: „Wir können Sie im Bewerbungsverfahren auf Grund eines Virus, der Ihre Arbeit nicht einschränkt, leider nicht berücksichtigen“. 

Dieses Szenario ist für viele vom HI-Virus betroffene Menschen bittere Realität. Sind etwa auch HIV-erkrankte Personen vom Bewerbungsverfahren für die österreichische Polizei ausgeschlossen. Die Begründung: Betroffene müssen ein Medikament nehmen, um die Krankheit einzudämmen. In ihren Augen unvereinbar mit dem Arbeitsalltag. Kurz: Menschen können ihren Berufswunsch wegen einer Pille, die sie einmal am Tag nehmen müssen, nicht verwirklichen? Klar, zwei Minuten in den acht Stunden Arbeitszeit finden, um das zu tun ist auch echt unzumutbar. Die Aids Hilfe Wien hat dieses Thema vor kurzem öffentlich kritisiert und erneut mediale Aufmerksamkeit geboten.

In Österreich sollen zwischen 8.000 und 9.000 Menschen HIV-positiv sein. Jährlich werden knapp 400 Neuinfektionen registriert. Das HI-Virus ist eine Autoimmunerkrankung und schädigt die körpereigenen Abwehrkräfte, auch das Immunsystem genannt. Der Körper greift sich selbst an und kann gefährliche Viren nicht mehr abwehren. Erst wenn das Virus ausbricht, spricht man von „Aids“. Davor ist die Person, welche das Virus in sich trägt, HIV-positiv. Mit dieser Info kann einem weiteren Stereotypen, nämlich dass jeder HIV-Positive Mensch gleich an Aids erkrankt ist, entgegengewirkt werden. 

In den 80er Jahren kam es zu den ersten dokumentierten Ansteckungen mit dem HI-Virus. Dieser betraf überwiegend Männer aus der queeren Community. Eine Ansteckung erfolgt durch den Kontakt mit infektiösen Körperflüssigkeiten wie Blut oder Sperma beim Vaginal- sowie Analsex. Auch Jahrzehnte später ist das Stigma gegen homosexuelle Männer und die Assoziation von Aids als „Schwulenkrankheit“ sehr groß. 

An den Zahlen zeigt sich, wie viele Menschen auch hier in Österreich mit dem Virus leben. Doch wie viele Betroffene kennt man selbst? Ich zu meinem Teil kenne keinen. Viele Betroffene verstecken ihre Erkrankung und reden nicht öffentlich darüber. Zu groß ist die Angst vor immer noch bestehenden Vorurteilen und der darauffolgenden Diskriminierung. Erst kürzlich berichtete die „Tagesschau“ über einen Fall eines HIV-positiven Mannes, dem ein Zahnarztbesuch verweigert wurde. Begründung: Die Vorkehrungen würden zu lange dauern. Mangelnde Informiertheit führte also dazu, dass einem Menschen ein Grundrecht verweigert wurde. Sollten beim Zahnarzt denn nicht ohnehin alle Utensilien und Geräte zwischen den Patienten ausreichend sterilisiert werden? 

Rückblickend auf meine Schulzeit wurde selbst im Biologie-Unterricht nicht ausreichend über HIV aufgeklärt. Da die Themen Sex und alles, was damit verbunden werden kann in Migra-Haushalten wie meinem kaum zur Sprache kommen, wurde das Thema selbstverständlich auch im Elternhaus nicht angesprochen oder thematisiert. Die Tabuisierung und mangelnde Repräsentation im Umfeld führten dazu, dass auch ich beim HI-Virus direkt Bilder von todkranken Menschen sowie einer unheilbaren Krankheit im Kopf hatte. Das führte zu bestehenden Berührungsängsten und Vorurteilen gegenüber HIV-positiven Personen, die erst mit Zeit und eigener Recherche rund um das Thema aufgelöst werden konnten. 

In den Medien wurde die Erkrankung thematisiert, als diverse Prominente öffentlich von ihrer Betroffenheit sprachen. Vor zirka einer Woche, dem 01. März, wurde in Wien der Zero Discrimination Day 2023 gefeiert. Hier wurde an die noch immer bestehende Stigmatisierung von HIV-Positiven Personen erinnert. Wichtig ist mit sozialen Netzwerken und Initiativen wie #positivarbeiten Aufklärung zu schaffen und so die Vorurteile in den Köpfen der Menschen zu dekonstruieren. Es ist immerhin das Unwissen, welches das Stigma aufrechterhält.


In der HIV-Forschung gab es bereits einige Durchbrüche. Bislang wurden weltweit fünf Fälle dokumentiert, in denen Personen mit HIV so gut wie vollständig geheilt wurden. Und mit der richtigen Therapie kann eine ähnliche Lebenserwartung erreicht werden, wie bei Personen ohne HI-Virus. Der wissenschaftliche Fortschritt ist auf einem guten Weg, aber gesellschaftlich ist es ein noch immer verpöntes Thema. Wichtig ist daher sich selbst die Frage zu stellen, wo noch Vorurteile bestehen könnten und wie man diese abwerfen kann. Eine Möglichkeit wäre es Seminare zu besuchen, wo Betroffene über ihre Erfahrungen mit der Krankheit berichten. Das Nachlesen und Recherchieren sind gute Methode, um bestehende Assoziationen und Vorurteile rund um das Virus abzubauen. Mir hat meine eigene Recherche geholfen und dafür gesorgt einen neuen Blickwinkel auf die Erkrankung sowie die Menschen, die von ihr Betroffen sind, zu bekommen

HIV ist zwar eine ernstzunehmende Diagnose – sollte aber kein gesellschaftliches Todesurteil mehr sein.

 

Mögliche Info- sowie Anlaufstellen:

https://aids.at/tests-und-beratung/beratungsangebote/

https://aids.at/information/hiv-sexuell-ubertragbare-krankheiten/

https://aids.at/information/positivarbeiten/

https://queer-hiv-info.at/test-beratung-in-deiner-naehe/

 

 

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