Djokovic, meine Familie und Ich

12. Januar 2022

Die Debatte um Novak Djokovićs Einreise nach Australien hat auch meine Familie erreicht. Ist er ein verschwurberlter Tennis-Millionär oder ein Volksheld, der vom Westen gefangen gehalten wird, wie mein Lieblingsonkel behauptet


 

„Baby, lass uns heute besser nicht über Djoković quatschen. Mein Onkel ist großer Fan, ich hab echt keinen Bock viel rum zu diskutieren. Lass einfach Weihnachten genießen!“ 

 

Wir sind im 21. Bezirk, im kalten und nassen Floridsdorf. Eigentlich müsste man ein Bolt bestellen, um nicht einzufrieren. Aber wir haben kein Geld für so einen Luxus. Dafür gibt es beim heutigen Familientreffen hitzige Debatten zum Nulltarif. 

 

Bevor wir nach Luft schnappen können, tischt meine Oma schon ihre “čorba” (dt.: Gemüsesuppe) auf. So macht sie das immer am serbisch-orthodoxen Heiligabend. Nach der Suppe folgen Fisch und Bohnen. Wir fasten zu Heiligabend, daher verzichten wir auf fettige Speisen und Fleisch. Zudem erledigt meine Baba (dt.: Großmutter) als gottgefällige Frau die Hausarbeiten, immer einen Tag vor Weihnachten. Der serbische Aberglaube besagt, dass Arbeiten an den Weihnachtstagen Unglück bringen würden. Für den männlichen Teil meiner Familie gilt das wohl mehr oder weniger für das ganze Jahr. Das ist aber eine andere Geschichte. 

 

 

Was haben SIE gegen UNS?

 

Wir schlürfen an der Suppe und genießen Großmutters selbstgebackenes Brot (serb.: pogača), da beklagt mein Lieblingsonkel sein Leid über die Welt: „Kinder, habt ihr gesehen, was SIE uns schon wieder antun?"

 

Ich lache und frage: „Wer sind SIE Onkel?“ 

 

Er entgegnet: „Na, der Westen Bobane! Jetzt sperren sie unseren Nole in ein „Flüchtlingshotel“ ein, weil SIE es hassen, dass ein Kosovo-Serbe der beste Tennisspieler aller Zeiten werden wird und nicht der Liebling der Tenniswelt, dieser Schweizer Roger Federer. Novak braucht nur noch einen Grand Slam und du wirst sehen, SIE werden alles tun, um es ihm so schwer wie möglich zu machen.“, sagt mein Onkel ohne einmal Luft zu holen. Man merkt, diese Sache mit seinem “Nole” kostet ihn einige graue Haare. 

 

 

Nole ist kein Heiliger

 

Vom weihnachtlichen Geist ergriffen will ich ihm zustimmen und Brücken bauen. Beim Versuch, sage ich: „Der Tennissport war ja immer schon ein Sport der Söhne und Töchter reicher Eltern. Ein Novak, der sich 2018 noch für eine Art Spieler-Gewerkschaft einsetzte und allgemein höhere Preisgelder und besser Verteilung forderte, kommt da nicht so gut an.“ 

 

Da hört mein Freundin auf ihre Suppe zu schlürfen und grätscht dazwischen: „Naja, Djoković als Sozialisten darzustellen finde ich bisschen too much, Baby. Ich mein, er zahlt seine Steuern in fucking Monaco! So ein großer Robin Hood scheint er nicht zu sein, sonst würde er die Steuern in Serbien zahlen. Und sowieso scheint es ist er dem Nationalismus nicht abgeneigt, denn er chillt öffentlich, in der R.Srpska, mit nationalischen Schwurblern à la Jovan Deretic."

 

Tatsächlich hat sie nicht ganz unrecht: Novak Djoković ist nicht nur auf dem Weg der beste Spieler aller Zeiten zu werden, er ist ein serbischer Volksheld, der auch in den anderen Ex-Yu-Staaten große Sympathien genießt. Er fällt mit lustigen jokes während der Tennis-Matches auf (zb: hier könnt ihr sehen, wie Djoković Mitspieler humorvoll imitiert), setzt sich für höhere Gehälter schlechter platzierter Spieler ein und gilt als Botschafter Serbiens in der ganzen Welt. Die andere Seite der Medaille zeigt aber Nole als esoterischen Impfverweigerer, der den Kontakt zu Nationalisten nicht scheut. 

 

Mittlerweile wusste ich wie mein “Ujka” (Kurzform.: Onkel) tickt. Er liebt die jugoslawische Einigkeit, Brüderlichkeit und die Ideen des Sozialismus. Er war Titos Pionier und darauf ist er stolz. Sein Leben ist das eines Arbeiters.  Er konnte seine Ideale jedoch nie wirklich ausleben und 30 Jahre Baustelle in Österreich, haben ihre Spuren hinterlassen. Der Sozialismus zuhause in Jugoslawien zerbrach, Tito war längst tot. Nole ist der Silberstreif am Horizont, auf den viele Serben sehnsüchtig gewartet haben. So wie mein Onkel. 

 

Daraufhin versuche ich “Ujka” meinen Standpunkt zu vermitteln: „Was da in Australien passiert, hat nichts mit uns zu tun. Es ist ein Innenpolitisches Spiel, welches überall vor den Wahlen betrieben wird. Und Australien befindet sich derzeit im Wahlkampf für die Parlamentswahlen 2022. Man sollte meinen, serbische, als auch australische Politiker hätten besseres zu tun als sich im Tennis einzumischen.  Sowas wie die Djokovic Affäre kommt der Politik immer gut gelegen wenn sie von echten Problemen ablenken, für welche sie keine Lösung haben. Sportler zu einem Politikum machen ist nichts neues- Mohamed Ali hat seine Box-Karriere und sogar eine Gefängnisstrafe riskiert weil er kein Spielball der mächtigen werden wollte. Wurde es letztendlich aber doch.“ 

 

Mein Onkel nickt, hält kurz inne und fragt mich nicht ganz ernst: “Wird unser Nole der neue serbische Muhammed Ali?”

 

Wieso nicht, Jesus ist er ja bereits.

 

 

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