Ein Sieg der „Austro-Europäer“?

24. Mai 2016

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EU
Foto: Simone Egarter

Es war ein knapper Sieg für den pro-europäischen Präsidentschaftskandidaten Alexander Van der Bellen. Für viele Kommentatoren und Medien hat diese Wahl das Land jedoch gespalten. Die Gräben verlaufen allerdings nicht nur zwischen einem traditionellen und einem autoritäreren Amtsverständnis, rechtem und linken Lager oder in der Flüchtlings- und Migrationsfrage. Es steht EU-Skepsis gegen EU-Vision.

Auxit noch kein Thema

Die Fahne der zwölf goldenen Sterne vor blauem Hintergrund weht in Österreich bildlich gesprochen schon lange auf Halbmast. Vor den Wahlen betonte Norbert Hofer immer wieder, dass er der EU heute nicht mehr beitreten wolle. Andererseits wolle er auch nicht, dass Österreich zu diesem Zeitpunkt austritt. Das ist ein sprachlicher Kompromiss Hofers um zum einen den Unmut über europäische Politiken zu kanalisieren und andererseits keine all zu großen Ängste, die mit einem EU-Austritt Österreichs einhergingen, herauf zu beschwören. Bei der FPÖ wird nationale Politik gegenüber europäischer „Wurschtlei“ gerne überhöht. Schlagworte wie Bürgernähe und Nationalstolz fallen hier gerne in der Diskussion und finden offene Ohren. Nationale Eigeninteressen sind per se auch keine anti-europäischen Belange und müssen auf EU-Ebene auch berücksichtigt werden. Doch der technokratische Aufbau der EU-Institutionen, welcher auch oft den Vorwurf von Intransparenz nach sich zieht, verunsichert viele EU-BürgerInnen, nicht nur in Österreich. Die FPÖ fordert daher schon länger weniger Kompetenzen der EU zu Gunsten nationaler. Ein Zurückrudern in Fragen der Freizügigkeit und europäischen Verträge würde jedoch zu unabsehbaren Konsequenzen für die Zukunft des Friedens- und Wirtschaftsprojekts Europa führen. 

EU-Skepsis weit verbreitet

Das Streben nach einem kontemplativen Leben fernab von Globalisierungsauswüchsen und der internationalen Politik scheint in Österreich schließlich besonders stark ausgeprägt.  Kaum in einem anderen Mitgliedsstaat der EU nehmen EU-Skepsis und Unzufriedenheit mit Brüssel derart überhand wie in Österreich. Die zuvor angesprochenen europäischen Grundfreiheiten, wie freier Personen- Dienstleistungs- und Warenverkehr, werden in der gesamten EU durchaus positiv bewertet. Doch selbst hier ist Österreich am zögerlichsten. 28% aller Befragte in Österreich lehnen „die Freizügigkeit der EU-Bürger, die überall in der EU leben, arbeiten, studieren und Geschäfte machen können“ ab.  Im EU-Durschnitt sind es lediglich 16% die sich dagegen aussprechen und Österreich ist damit das Land mit der zweitgrößten Ablehnung nach Großbritannien gegenüber der europäischen Freizügigkeit, laut letztem Standard-Eurobarometer Herbst 2015. Nur 36% aller Österreicher fühlen sich demnach als EU-BürgerInnen. 32% sind gegen den Euro als gemeinsame Währung der Wirtschafts- und Währungsunion, allerdings befindet sich Österreich hier über dem EU-Durschnitt mit 37% Ablehnung. Über die Hälfte, nämlich 54% der ÖsterreichInnen, befürchtet, dass die schlimmsten Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf den Arbeitsmarkt noch bevorstünden und auch die nationale wirtschaftliche Lage bewerten 48% als schlecht. Wobei nur 30% aller ÖsterreicherInnen Arbeitslosigkeit derzeit als größte nationale Herausforderung sieht. Für die Mehrheit von 56% ist Einwanderung das wichtigste Problem, das unser Land zurzeit lösen muss. In Bezug auf die EU-Ebene geben sogar 66% der ÖsterreicherInnen an, dass Migration das größte Problem sei. Als besonders pessimitisch gegenüber einer positiven Entwicklung der EU äußern sich 56% der österreichischen Befragten, nur 40% sehen die Zukunft der EU optimistisch.

Nach dieser letzten repräsentativen Statistik des Standard-Eurobarometer im Herbst 2015 lässt sich der Zuspruch zu EU-skeptischen Parteien in Österreich relativ leicht erklären. Wenige ÖsterreicherInnen fühlen sich als Europäer, sie sind durch die Finanzkrise und Flucht-und Migrationsbewegungen verunsichert und stehen daher einer zukunfts- und handlungsfähigen Vision der EU pessimistisch gegenüber. Die Präsidentschaftswahl hat keine Gräben durch das Land gezogen. Diese Wahl legte nicht nur die Unzufriedenheit mit der großen Koalition und einem empfundenen Stillstand in der Regierungsarbeit offen, sondern führte auch die getrübten Haltungen gegenüber europäischem Krisenmanagement ans Licht. Der neue österreichische Präsident muss daher auch hier vermitteln und der Union zu mehr Rückhalt in der österreichischen Gesellschaft verhelfen. 

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