Erinnerungen an das Lager in Traiskirchen

01. Oktober 2017

Der Song ‚Nothing compares to you‘ von Sinéad O’Connor prägte das Jahr 1990. Das Jahr, in welchem ich mit meiner Familie nach Österreich kam.

Dieses Lied verbinde ich eng mit meiner Ankunft in dieses Land, mit meinen ersten Wochen und Monaten hier. Vor allem aber mit den Eindrücken, welche sich in meinem kleinen Kopf mit all den wundervollen, kindlichen Vorstellungen eines neuen Territoriums und dessen tollen Möglichkeiten gefestigt, und seitdem immer wieder bewiesen haben.

Märchenland

Mein Vater, der mit genau 100 $ in der Hosentasche vor uns her kam, um die Lage abzuklären, wartete am Bahnhof auf uns. Die Hälfte seines Geldes hatte er bereits für Telefonate nach Rumänien ausgegeben. Meine Mutter und ich lernten im Zug von Budapest nach Wien eine junge, ungarische Familie kennen, und ich bekam von ihrem circa gleichaltrigen Sohn einen Apfelsaft geschenkt. Im TETRAPACK! Ich wusste anfänglich nicht, was ich mit diesem kleinen ‚Kästchen‘ anfangen soll und war umso faszinierter, als mir der Junge zeigte, dass sich darin Saft verbirgt – dazu gab es einen coolen Strohhalm. Das alles kannte ich nicht.

Es holten uns Freunde ab, die in Österreich bereits Fuß gefasst hatten und seit dieser Stunde wusste ich bereits als Kind, dass es mir in diesem Land nie schlecht gehen würde, denn ich durfte zum ersten Mal Milka-Schokolade essen. Diese war damals noch in Alufolie verpackt und schmeckte für mich wie der Himmel auf Erden. Ich kann mich noch daran erinnern, als ob es gestern gewesen wäre. (Der Geschmack hat sich seitdem stark verändert und ist nicht mehr derselbe.)

Lager Traiskirchen

Im Lager in Traiskirchen, wo wir anfänglich untergebracht wurden, versuchten meine Eltern mich oftmals abzulenken, von den Geschehnissen, die dort Alltag waren. Dies wurde mir erst später, im Erwachsenenalter bewusst. Männer und Frauen, Familien – viel zu viele Menschen, alle auf engstem Raum, kreuz und quer durchgemischtes Chaos. Es funktionierte irgendwie.

Übergriffe auf weibliche Personen und laute Konfrontationen zwischen frustrierten, männlichen Flüchtlingen, bekam ich immer wieder nur am Rande mit. Meine Eltern waren stets darum bemüht, mir Dinge kindgerecht zu erklären, oder eben, mich schnell woanders hinzubringen.

Gerüche, Geschmäcker und Spielsachen

Ich kann mich an den Geruch von frisch aufgebackenen Semmeln und schwarzem Tee aus der Kantine erinnern. Und an Nutella (die noch immer so schmeckt wie vor 27 Jahren). Der Duft aus einigen Bäckereien heutzutage, erinnert mich noch heute an die Lager-Zeit von damals.

In der Kantine schenkte mir mein Vater auch mein erstes Stofftier in Österreich, das ich noch immer besitze. Ein kleiner, grauer Plüschigel. Es war ab diesem Zeitpunkt das Kostbarste, was ich besaß.

An was ich mich auch sehr gut erinnern kann, war die kleine Kammer, die vollgestopft war mit gespendeten Sachen - vor allem: Spielsachen. Zu diesem Zimmer hatte jedes Kind, eigentlich jede Person, Zutritt, und kam glücklich wieder heraus. Mein Vater holte sich dort Schuhe ab, da die Sohlen seiner eigenen schon komplett durchlöchert waren. Ich verstand, dass es sich in diesem Raum voller Schätze um freiwillig hergegebene Dinge von Österreichern handelte, begriff aber nicht, wieso sie all das nicht mehr haben wollten.

Ich liebte es draußen auf dem Lager-Spielplatz mit den Kindern zu spielen, die ganz anders waren als ich. Das riesige Klettergerüst war unser Hot-Spot. Wir sprachen alle eine andere Sprache aber verstanden uns prächtig. Und die meisten hatten wunderschöne, faszinierende Hautfarben, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Zwischen uns Kindern gab es nie Streitereien.

Deutsch und Arbeit

Männer und Frauen stellten sich nach dem Frühstück draußen, entlang der Mauer / des Zaunes auf dem Straßenrand auf und warteten drauf, dass österreichische Autos anhielten und ihnen Arbeit anbieten würden. Männer wurden meist für handwerkliche oder körperlich anstrengende Arbeiten mitgenommen, Frauen im besten Fall für Hausarbeiten.

Ich wartete immer mit meinen Eltern, da ich nicht alleine im Lager zurück bleiben durfte. So kam es, dass mich eine österreichische, ältere Dame aus dem Haus gegenüber sah, und mir zur Osterzeit einfach ein paar Schokoeier brachte. Ich war vollkommen aus dem Häuschen. So etwas hatte ich noch nie zuvor gesehen, geschweige denn gegessen.

An einem Tag schenkte mir sogar ein kleines Mädchen aus einem vorbeifahrenden Auto einen 100-Schilling-Schein. Einfach so. Was für eine Welt.

Mich nahm meine Mutter immer zu ihren Arbeiten mit. Während sie sauber machte, spielte ich oftmals mit den Kindern der Familie und lernte ein wenig die Sprache.

Damals ließ man mich noch nicht mitten im Schuljahr einsteigen. Öfter probierte mein Vater mit der Direktion zu sprechen und bat darum, mich Siebenjährige doch in irgendeine Klasse zu setzen, damit ich schneller die Sprache lernen würde. Immer wieder wurden wir weggeschickt und auf den Schulanfang verwiesen, der erst im September war.

Nach dem Mittagessen ging die ‚Arbeitssuche‘ der Flüchtlinge weiter.

Da mein Vater mitbekommen hatte, dass er als kleiner, nicht kräftig genug aussehender Mann weniger Arbeit angeboten bekam, verzichtete er meist auf das Essen und blieb draußen, während alle anderen in der Kantine waren, damit man ihn auch zum Fliesenlegen oder Umgraben von Gärten mitnahm. Dinge, die er zuvor noch nie gemacht hatte, aber immer, wenn man ihn fragte, ob er das kann, sagte er: „Klar!“.

Der Sprung

Eines Tages hielt ein Auto an, das uns alle drei mitnahm. Es war ein älteres, österreichisches Ehepaar, das selbst keine Nachkommen und in uns ihre Ersatzfamilie gefunden hatte.

Bei ihnen aß ich das erste Mal Frittatensuppe aus dem traditionellen Gmundner Geschirr und konnte nicht fassen, wie gut die Mentadent-Zahnpasta schmeckte (die Sorte, die es mittlerweile nicht mehr gibt).

Dieses Ehepaar sah meine Schwester und mich als Enkelkinder und uns wurden nahezu alle Wünsche erfüllt. Ich bekam eine Barbie und so viele Süßigkeiten, wie ich nur wollte, als wir eines Tages beim Billa einkaufen waren. Von meinen neuen ‚Cousinen‘ erhielt ich das schönste Gewand, das ich mir nur vorstellen konnte, weil sie keinen Gebrauch mehr dafür hatten.

Es passte alles. Und es ging bergauf mit uns in diesem neuen Land. Bald darauf fand mein Vater eine Anstellung und meine Mutter besuchte ihren ersten Deutschkurs.

Aus dem damals kommunistischen Rumänien kommend, war Österreich für mich ein Schlaraffenland, das ich nie wieder verlassen wollte. Dies gilt nach wie vor. Ich habe seitdem viele Länder dieser Erde besucht. But ‚Nothing compares to you‘ …

Danke.

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