Goodbye Gorbi - und Danke!

01. September 2022

Michail Gorbatschow ist tot. Jüngeren LeserInnen wird er, wenn überhaupt, nur als alter Mann mit auffälligem Muttermal bekannt sein. Aber Ostblock-Millenials kennen ihn als jemanden, der ihnen und ihren Eltern Freiheit in Osteuropa gebracht hat. Ein Nachruf.

Mir war Gorbi - wie er verniedlichen in deutschen Medien genannt wurde - als Kind nur als Mann aus dem Fernsehen bekannt. Tatsächlich war er der letzte Vorsitzende des mächtigen Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) und später Präsident der Sowjetunion. Im Ostblock war er mit diesem Posten immens einflussreich, und musste als Popstar verehrt werden.

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Fortepan / Szalay Zoltán

Im Gegensatz zu der verstaubten und verknöcherten “alten Garde” früher Sowjetpolitiker galt er damals als “junger Mann” - und das mit 54 Jahren. Seine Auftritte wurden in den Nachrichtensendungen des Ostblocks simultan gedolmetscht und mit seiner Brille und dem markanten Muttermal auf seinem Kopf war er ein Fixpunkt in den Abendnachrichten.

Gorbatschow hat das verkrustete und starre System des real existierenden, aber  dahinsiechenden Sozialismus aufgebrochen - er wurde als Vorsitzender gewählt, um mit einer Politik der Offenheit (Glasnost) den Umbau (Perestroika) des Systems und den Bestand der mächtigen Sowjetunion zu sichern und fortzuführen. Dank seiner Politik konnte die, bis dahin unterdrückte, öffentliche Debatte über den Zustand des Landes einsetzen. Schnell wurde klar, dass die Sowjetunion nahe am Abgrund stand.

Das alte Herrschaftssystem, dass seit 1945 in Osteuropa und Asien bestand hatte, geriet immer stärker ins Wanken. Auch in Ungarn. Meine Erinnerungen sind von der Farbe Grau dominiert - die Fassaden der Hauptstadt waren dank der Luftverschmutzung grau, die Bekleidung der Menschen aufgrund der schlechten Produktionskapazitäten grau. 

Budapest 1980
Fortepan / Bojár Sándor

Bereits vor der Wahl von Gorbatschow fand auf politischer Ebene “das große Sterben” statt - innerhalb von wenigen Jahren mussten altgediente Apparatschiks an der Spitze der KPdSU wie Leonid Breschnew, Juri Andropow und Konstantin Tschernenko in aufwendigen Staatsbegräbnissen zur Ruhe gelegt werden.

Diese alten Männer waren mit den Herausforderungen einer modernen Welt überfordert und verwalteten den Verfall des Riesenreichens. Gorbatschow hat dringend notwendige Reformen mit der Losung “Beschleunigung” (Uskorenije) eingeleitet. Aber rasch wurde klar, dass auch Gorbatschow auch keine Wunder vollbringen kann. Zwar wurde er im Westen als jemand gesehen, mit dem man endlich verhandeln kann - sein Mindset war nicht in den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs verhaftet.  

Soldat in Afgahnistan
RIA Novosti archive, image #21225 / A. Solomonov / CC-BY-SA 3.0

Doch die Atomkatastrophe in Tschernobyl 1986, das spektakuläre Scheitern der Roten Armee in Afghanistan und die allgemein katastrophale wirtschaftliche Lage waren der letzte Sargnagel für die große Sowjetunion. Und als in der DDR und Ungarn die Bürger auf die Straße gingen, um Mitbeteiligung und Demokratie zu fordern, ließ er nicht die Panzer rollen, sondern hat das Volk gewähren lassen. 

Chernobyl
Photo by Mads Eneqvist on Unsplash

Gorbatschow war sicherlich kein Heiliger - er hat Militäreinsätze in den Baltischen Staaten zumindest toleriert und war Anfangs gegen ihre Souveränität. Ewiggestrige hassen ihn, weil er maßgeblich an der Auflösung der Supermacht Sowjetunion beteiligt war. Diese Herrschaften vergessen aber immer, dass der Staat selbst am Ende war, und Gorbatschow lediglich für einen mehr oder weniger friedlichen Systemwechsel gesorgt hatte. Der Krieg in der Ukraine, der Bergkarabach-Konflikt, die Lage in Tschetschenien - das alles sind leider Nachwirkungen des Zusammenbruchs der Sowjetunion und werden uns weit in die Zukunft beschäftigen.

 

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