Heimatg'fühl statt Reiseziel

23. November 2015

„Wer sich nicht integrieren will“, für den hat Heinz Christian Strache spätestens seit seinem Rap-Debüt vor sieben Jahren „ein Reiseziel“. Integrationsminister Kurz legte nun einen konstruktiveren Plan vor, der, in fünfzig Punkte gegliedert, Integration gelingen lassen soll. Werteschulungen und  Kürzungen der Mindestsicherung bei nicht ausreichendem Erwerb der deutschen Sprache werden derzeit heftig diskutiert.

Österreichische Werte in acht Stunden

Die Werteschulungen für Flüchtlinge sollen nach derzeitigem Stand in achtstündigen Vorträgen gestaltet werden. Von welchen österreichischen Werten hier die Rede ist, entzieht sich jedoch noch dem Kenntnisstand. Werte beziehen sich eigentlich auf  moralische Eigenschaften und Qualitäten. Dies wirft auch die grundsätzliche Frage auf, ob sich die Moralvorstellungen von Flüchtlingen überhaupt so grundlegend von den österreichischen unterscheiden? In der Wertefibel des Integrationsministeriums werden die Grundprinzipien Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Gewaltentrennung, Demokratie und Föderalismus genannt, auf welchen die österreichischen Werte basieren würden. Mit ein wenig Sarkasmus könnte man auch behaupten, dass Föderalismuskritiker in Österreich bereits ein Wertemanko aufweisen.

Zudem kursieren im Moment Vorstellungen über Flüchtlinge und Migranten, die nicht unbedingt der Realität entsprechen. Es wäre anmaßend anzunehmen, dass man den Flüchtlingen vom Toilettengang bis zum Essen mit Messer und Gabel alles erst beibringen müsse. Irreführend sind auch die Diskussionen über gesellschaftliche Normen und Umgangsformen, die kaum in die Wertediskussion fallen.

Wenn ein muslimischer Mann nicht daran gewöhnt ist, Frauen die Hände zu schütteln, dürfte man dahinter nicht sofort eine misogyne Einstellung vermuten. Dass mitunter sehr wohl auch patriarchale Strukturen und archaische Rollenverständnisse vorherrschen, die eine Abwertung von Weiblichkeit produzieren, ist nicht abzustreiten. Um sich ein Urteil über die männliche Dominanz in den Familienstrukturen von Flüchtlingen und muslimischen Migranten - von denen speziell in diesem Zusammenhang immer wieder die Rede ist - zu erlauben, müsste man wahrscheinlich einen Blick hinter die Wohnungstüren wagen. Übernehmen vielleicht auch viele Frauen die Hosenrollen? Einer pauschalisierenden Aussage darüber darf man daher auch kritisch gegenüber stehen.

Ehrenmorde und Zwangsehen

An dieser Stelle muss auch gesagt werden, dass auftretende Probleme und Konflikte bei der Integration auch nicht unter den Teppich der Realitätsverweigerer gekehrt werden dürfen. Gerade im Bürgerkriegsland Syrien gibt es jährlich 200 Fälle von Ehrenmorden, schätzt BBC. Durch die vielen Vergewaltigungsvorfälle im kriegsgebeutelten Land nimmt man an, dass auch die Zahl der Ehrenmorde an den Vergewaltigungsopfern steigt. Aus diesem Land kommt derzeit auch die größte Gruppe der Flüchtlinge.

Natürlich gibt es keinen Anlass zu glauben, dass alle syrischen Männer diese frauenverachtende Praktik gutheißen. Die Einzelfälle von solchen Verbrechen in Europa müssen jedoch ernst genommen werden. Die Fälle von Kinderehen, Zwangsehen, Ehrenmorden bis zur Genitalverstümmelung bei Mädchen und jungen Frauen stehen ohne Frage im Konflikt mit unseren Wertvorstellungen, aber vor allem mit unserer Rechtsordnung.

Moderne Staaten beruhen auf Gesetzen, nicht auf individuellen Wertevorstellungen. Dennoch braucht es verstärkte Präventionsmaßnahmen, dass diese kulturell motivierten Verbrechen nicht erst begangen werden. Vorstellbar wäre daher sehr wohl auch eine gewisse Vermittlung der österreichischen Rechtsgrundlagen, sollten diese noch nicht bekannt sein.

Grundsätzlich werden Wertekurse kaum schaden, ob dadurch allein eine gelungenere Integration gefördert wird und Konflikte vermieden werden, ist höchst zweifelhaft.

Deutsch ist ein Muss

Das beste Mittel zur Integration ist berufliche Perspektive. Der Deutscherwerb ist daher unumgänglich. Selbst mit sehr guten Englischkenntnissen und einer guten, im Ausland erworbenen Ausbildung wird man in einem Land wie Österreich, im Vergleich zu anderen europäischen Staaten, schlechte Karten haben. Zum einen dauert die Anerkennung von Abschlüssen bis heute viel zu lang. Dieses Verfahren soll jedoch nun beschleunigt werden.

Zum anderen hinkt das Deutschkursangebot der großen Nachfrage stark hinterher. Auch hier muss unbedingt Abhilfe geschaffen werden. Sollten die Bedingungen für das Erlernen der deutschen Sprache und die Betreuung eines „individuellen Integrationsplans“ durch das Arbeitsmarktservice, so wie es im Papier des Integrationsministeriums vorgesehen ist, geschaffen werden, kann man sicherlich auch über die eventuellen Kürzungen der Mindestsicherung bei „mangelnder Integrationsbemühung“ diskutieren. Wahrscheinlich wird es niemand darauf ankommen lassen.

Eine Bringschuld des Migranten oder Flüchtlings darf es jedoch nicht geben, denn Integration ist, wie so oft und gerne zitiert, keine „Einbahnstraße“. Zusammenfassend lässt sich sagen: Deutschkenntnisse müssen erworben werden und für eine gesellschaftliche Integration müssen die besten Rahmenbedingungen geschaffen werden. Das umfasst auch eine gesellschaftliche Sensibilisierung gegenüber antimuslimischem Rassismus und Fremdenhass. Flüchtlinge und Migranten brauchen kein „Reiseziel“, sie brauchen ein „Heimatg’fühl“.  Nur wer sich willkommen, verstanden und akzeptiert fühlt, wird auch einen angemessenen Beitrag zur eigenen Integration leisten.

 

 

 

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