Ich wär' gern Deutscher

15. Februar 2021

Verkehrte Welt: Der bayerische Ministerpräsident Söder attackiert Platter, Kurz & Co wegen der laschen Tirol-Lösung. Die türkise Spitze reagiert angesäuert. Und ich wär' gern Deutscher.


Als gut integrierter Tschusch in Österreich hätte ich mir diesen Augenblick nicht einmal in meinen schlimmsten Alpträumen vorstellen können. Ich schaue in die Nachrichten, sehe wie die beiden Länder Corona und Krise behandeln und denke mir: „Ich wär gern Deutscher". Doch wie konnte es so weit kommen?

Tschusch – Ösi – Piefke

Danke, ÖVP. Danke, Herr Platter. Sie haben tatsächlich einen Piefke aus mir gemacht. Naja, zumindest einen Wannabe-Piefke. Ein perfekt integrierter Migrant, seit 1993 im Land, seit zwölf Jahren Journalist, anständig auch noch. Und nun wünsche ich mir nichts sehnlicher als in Deutschland zu leben. Dort, wo PolitikerInnen noch Fehler zugeben. Dort, wo der Lockdown zwar länger dauert, die Menschen jedoch zumindest das Gefühl haben, die weiteren Öffnungsschritte würden nicht zwischen Hotellerie, Wirtschaftskammer und Bundeskanzleramt ausgeschnapst. Dort, wo ich nicht in jeder Selbstbeweihräucherungs-Pressekonferenz erfahre, dass wir ja eh „besser durch die Krise kommen als andere Länder“. Dort, wo es Konsequenzen für den Finanzminister gibt, wenn die Korruptionsstaatsanwaltschaft an die Tür klopft. Dort, wo nicht der von staatlichen Geldern aufgeblasene Boulevard die moralische Marschrichtung angibt. Dort, wo du die deutsche Staatsbürgerschaft erhältst, wenn du in Deutschland geboren wirst. Genau dort. 

Ich weiß schon. Deutschland ist nicht das Schlaraffenland und die Trauben schmecken dort nicht süßer als bei uns. Auch Deutschland hat ein Ausländerproblem, ein Problem mit der AFD, ein Problem mit dem oft trägen Föderalismus. Aber gut wär‘s schon, einmal zu den verschmähten Nachbarn zu gucken und sich etwas für das eigene politische Tun abzuschauen. Fehler eingestehen, Transparenz fördern, auch heiße Eisen anpacken, ohne sofort die beleidigte Leberwurst zu spielen. Und natürlich mit den postfaktischen Interviews aufhören, die in der wichtigsten Nachrichtensendung des Landes mit einer Selbstverständlichkeit gegeben werden, als wäre man Jesus Christus himself. Nicht wahr, Herr Walser?

Als gut Integrierter Tschusch habe ich gelernt: „Die Deutschen sind arrogant. Die Deutschen sind überpünktlich. Die Deutschen schlüpfen mit den weißen Tennissocken in ihre Sandalen. Aber wir brauchen sie ja, die Deutschen. Wir brauchen ihr Geld.“ So hieß es, als ich mehr über die deutsch-österreichische Beziehung wissen wollte. Spätestens seit der aktuellen Posse um Grenzöffnungen für Pendler in Bayern, schlägt mein Integrationskompass Richtung Bundesdeutsche Republik. Ja, sogar der konservative Söder erscheint mir wie ein mitte-links Politiker in Österreich. Apropos, Herr Söder, bin zwar nicht in Deutschland geboren aber: Geht da was mit dem deutschen Pass?

 

 

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