Ich war früher ein Pick-Me Ausländer

06. April 2023

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Biber Stipendiatin Helin Kara

„Wenn ich groß bin, möchte ich mich taufen lassen.“ Der Blick meiner Eltern nach dieser Aussage meines Kindheits-Ichs: unbezahlbar. Man könnte meinen, dass mein kurdischer Vater schon eine böse Vorahnung hatte, als meine Mutter ihm euphorisch vorschlug, mich auf eine Schule zu schicken, an der Nonnen auf dem Campus leben und Priester Religionsunterricht halten. Dass die Christen mich aber so schnell um den Finger wickeln würden, hätte er wohl nicht gedacht.

Spaß beiseite, mit dem christlichen Glauben haben meine Eltern natürlich kein Problem – sonst hätten sie mich gar nicht erst auf eine Schule geschickt, die St. Ursula heißt und deren Highlight am Campus eine sanierungsbedürftige Kapelle ist. Verwundert über meine Aussage waren sie dennoch. Warum will unsere elfjährige Tochter, die nicht einmal religiös aufgewachsen ist, konvertieren? Rückblickend stell ich mir die gleiche Frage, da ich nicht gläubig bin oder jemals war. 

Versuchen wir mal das Ganze zu analysieren: Mit zehn Jahren wurde ich auf eine Schule geschickt, an der jeden Morgen ein kleines Gebet gebetet wurde. Ethik war hier höchstens ein Begriff aus der Philosophie, aber ganz sicher keine Alternative zum Religionsunterricht. Außerdem habe ich diese kleine leckere Oblate, auch Hostie genannt, nie bekommen, weil ich nicht getauft war. Der Fall ist somit gelöst: ich hatte einfach nur Hunger während des Gottesdienstes. 

Natürlich steckte hinter meinem Tauf-Wunsch mehr als nur der Appetit. An meiner alten Schule gab es genau eine nicht-christliche Kurdin und die war ich. Meine Freunde waren größtenteils weiße, christliche Personen, auch wenn nicht alle von ihnen gläubig waren. Als Kind habe ich nur die Gemeinschaft unter ihnen gesehen und mich nach Zugehörigkeit gesehnt. Ich wollte nicht immer diejenige sein, die gefragt wurde, ob sie überhaupt mit in die Kapelle kommen darf, oder komische Blicke für das Mitbeten beim Vaterunser erntet. Es ging also nicht um den Glauben an sich, sondern eher um die Community, die damit verbunden ist. Mit der kurdischen Community konnte ich damals nichts anfangen. Aufgezogen haben mich meine Eltern nämlich sehr „deutsch“, da es ihnen wichtig war, dass ich keine Probleme in der Schule habe. Anhaltspunkte zu den Traditionen in meinem Kulturkreis wurden mir aber somit verwehrt. Funktioniert hat es auf eine gewisse Art und Weise schon: Von meinen Cousins und Cousinen wurde ich immer als der „Alman“ bezeichnet, da mein Verhalten ihrer Meinung nach sehr deutsch war. 

Internalisierter Rassismus

Unter meinen weißen Freund:innen war ich aber dennoch die „kleine Ausländerin“, was ich ihnen aber nie übelgenommen habe. Als meine Lehrer:innen mich im Unterricht aber bei Themen rund um die Türkei und Kurdistan immer als Beispiel genommen hatten, merkte ich erst, wie unangenehm mir meine Nationalität ist. Zuhause haben meine Eltern mich bilingual erzogen. Türkisch zu sprechen war aber trotzdem eine große Überwindung, schließlich wird so erkennbar, dass ich keine „echte“ Deutsche bin. Migrant:innen, die sich kaum an die deutsche Kultur „angepasst“ hatten, waren mir unangenehm und damals war es mein Ziel, für eine möglichst große Distanz zwischen ihnen und mir zu sorgen. Unangebrachte Witze über „Prototyp-Ausländer:innen“ inklusive. Mein Leben habe ich ganz nach dem Motto: „Ich bin nicht so wie die anderen Ausländer:innen“, also ganz „Pick-Me“-like, gelebt. Mit dem Begriff „Pick Me“ ist übrigens gemeint, dass ich für die Bestätigung von meinem Umfeld alles getan habe.

Erst rückblickend habe ich einen Begriff für mein Verhalten gefunden: Internalisierter Rassismus. Mit zwölf war es mir unangenehm Kurdin zu sein und Nicht-Akademiker-Eltern zu haben. Bei uns zuhause wurde über andere Themen geredet, andere Sorgen geteilt und andere Denkweisen an den Tag gelegt. Das wollte ich nicht. Anhaltspunkte zu meiner eigenen Kultur hatte ich ebenso kaum, und versuchte diese Leere mit der Anpassung zu einer mir bekannteren Kultur zu kompensieren. Schlussendlich führte mein Verhalten nicht nur zu Selbsthass, sondern auch zu einer Distanzierung zu meinen Wurzeln und meiner Herkunft.

Je älter ich wurde, desto mehr verstehe ich meine Eltern und ihre Verbundenheit zu unserer Kultur. Mein Vater hat viel durchmachen müssen, um an der Stelle zu stehen, wo er jetzt ist. Darauf bin ich verdammt stolz! Auch die Geschichte meiner Vorfahren aus dem kurdischen Dorf Dersim und der Kampf gegen die Ungerechtigkeiten, welche sie zu der Zeit erlitten haben, ist für mich heute bewundernswert. Diese Entwicklung war jedoch ein Prozess, vielleicht sogar einer der noch nicht ganz vorbei ist. Nach meiner Einschätzung wird dieser Prozess für viele Migrant:innen, besonders der zweiten oder dritten Generation, ein Leben lang nicht enden. Dennoch kann ich mit gutem Gewissen sagen, dass ich meine Kultur und meine Nationalität lieben gelernt habe. Auch wenn es „nur“ Liebe auf den zweiten Blick war. 

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