Kinderkunst auf der Flucht: Eine Gallerie

28. Dezember 2015

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Kunsttherapie 1
Philipp Grüll

Im Rahmen der uns bekannten physikalischen Gesetze existiert keine größere Energiequelle als ein unterbeschäftigtes Kind.

In unserem Asylwerberheim wohnen etwa 50 Minderjährige, ausgestattet mit all der Neugierde und Abenteuerlust, die Kindern weltweit zu eigen ist.  Die Jungs und Mädchen springen auf Sofas, klettern auf Tische, laufen durch den Spielraum und halten Eltern wie Betreuer auf Trab.

Doch es gibt zwei magische Gegenstände, die diesen motivierten Sack Flöhe zur Ruhe bringen: Stift und Papier. Sobald jemand mit Zeichenutensilien den Raum betritt, weiten sich die Augen. Kleine Hände greifen gierig, man erklimmt Sessel und macht sich konzentriert ans Werk. Die Betreuer entspannen sich, das erschöpfte Lächeln öffnet sich zum Durchatmen. 

Hinter diesem Schaffenstrieb steckt manchmal mehr als schierer Spaß an der Freud. "Ein Kind drückt sich unter anderem über das Zeichnen aus", sagt Kunsttherapeutin Edita Lintl. Im Verein Hemayat arbeitet sie mit geflohenen Kindern. Sie betont jedoch, dass man keine Zeichnungen bewerten kann, ohne den Schaffensprozess der Kleinen zu begleiten. Nur so könne man Annahmen über den momentanen Zustand des Kindes treffen. Alles andere wäre fahrlässig. Trotzdem war ich gespannt auf Lintls Meinung zu den Werken unserer Kleinkünstler.

Mit ein paar Zeichnungen unterm Arm besuchte ich die Therapeutin eines Abends in ihrem Kreativraum. Über einer Tasse Tee gingen wir die Zeichnungen durch, und Lintl sprach ihre freien Assoziationen frei heraus.

Kunsttherapie 1
Unbekannte/r Künstler/in

"Ich sehe eine zentrale Figur, die über allem strahlt, zwischen zwei Bergen oder Personen. Es könnte mit Geborgenheit zu tun haben, oder mit einem starken Fundament. Wäre das Kind bei mir in Therapie, würde ich fragen: Ich sehe da eine Sonne. Für wen steht sie? Ich nehme das daneben als Berge wahr. Wie siehst du das? Was machen oder brauchen diese Berge? Was möchte die Sonne jetzt sagen?"

Kunsttherapie 2
Unbekannte/r Künstler/in

"Ich sehe zwei Vasen, eine, in der Blumen scheinbar viel Platz haben, eine, die sehr verschlossen ist. Die Blume sitzt fast eingequetscht in dieser Vase. Gleiches Thema, konträr gezeichnet. Eine große, eine kleine Vase, die irgendwie Kontakt aufnehmen. Die Blumen neigen sich zueinander. Die Blumen könnten für Personen stehen, vielleicht ist das Kind selbst die Blume in der verschlossenen Vase. Eine Kontaktaufnahme? Könnte sein."

Kunsttherapie 5
Unbekannte/r Künstler/in

"Ich sag' mal: Ein Mädchen hat das gemalt. Auch da könnten die Blumen wieder für jemanden stehen. Sie wachsen auf brauner Erde, interessant. Da stellt sich die Frage, woher das Kind kommt. Kinder aus Afghanistan malen oft braune oder gelbe Erde, so sind sie aufgewachsen. Wir in Europa kennen oft sattes, grünes Gras. Den Blumen fehlt der Halt, sie schweben."

Kunsttherapie 3
Unbekannte/r Künstler/in

"Ich nehm' mal an, das ist eine Selbstdarstellung, oder er/sie stellt jemanden anderen dar. Wirkt etwas traurig, grumpy... Ich nehme an, das Kind ist noch sehr klein. Die Augen sind groß, der Körper fehlt. Im Gegensatz zu den Augen ist der Rest sehr filigran. Zerbrechlich wirkt das."

Kunsttherapie 4
Unbekannte/r Künstler/in

 

"Ein großes Haus mit Dach - es fehlen aber Fenster und Türen... Da ist irgendein Fremdobjekt, vielleicht soll das ein Fenster sein? Der- oder diejenige hatte jedenfalls eine klare Botschaft. Ein Haus ist of Schutz, Sicherheit. Die Frage ist, ob bewusst Fenster und Türen weggelassen wurden. Das tun Kinder oft, wenn sie niemanden hinein- oder hinauslassen wollen, wenn sie nicht gesehen werden wollen. Ihr sicherer Ort ist das."

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