Meine zauberhafte Ur-oma

17. Januar 2022
Sie konnte Blitze herbei schnippen und Fieber mit Zaubertränken heilen. Eine kurze Geschichte über meine Ur-Oma. 

Am 6. Januar 2000 weist baba Nada (dt.: Oma Nada) mit dem Zeigefinger aus dem Fenster hoch zum Nachthimmel und sagt: „Sinko (dt.: Söhnchen), heute ist eine besondere Nacht. Wenn wir heute ganz fest beten und zu den Wolken hinauf schauen, zeigt sich vielleicht "deda bog" (dt.: Großväterchen Gott)!" Und siehe da, nachdem sie das sagt, blitzt und donnert es gewaltig am Himmel. Ich bin erstaunt. Das muss Zauberei sein. “Sie kennt deda Bog wohl persönlich.“, denke ich, während ich baba Nada vor dem Fenster beobachte. Meiner kindlichen Fantasie scheinen keine Grenzen gesetzt. Ich stelle mir Gott als einen faltigen, alten weisen Mann mit weißem Bart, vor. Er sorgt sich um Menschen. Er sagt Ihnen aber auch nett, wo es lang geht. Dies ist nur eine, der vielen Erinnerungen an meine Uroma.

Sie war Romnja und hatte den Ruf einer Vračarica (dt.: Hexe, Wahrsagerin). In Serbien kamen damals viele Menschen aus Požarevac, in die Vorstadt um sich in die Karten, aber auch in den Kaffeesatz von ihr blicken und ihre Zukunft vorhersagen zu lassen. Um ihr Häuschen herum lag ein riesiger Garten, in welchem Wildkräuter wie Brennnessel wuchsen. Aus diesen kochte sie köstliche Suppen, aber auch mehr oder weniger effektive Zaubertränke. Zum Beispiel wenn ich krank wurde und fieberte, machte mir Uroma spezielle Umschläge. Meine Socken tunkte baba Nada in Rakija (dt.: Schnaps) und füllte sie mit Kartoffel und Kräutern, wie den oben erwähnten Brennnesseln. Über Nacht musste ich die Socken tragen und das Fieber auszuschwitzen. Uroma fuhr harte Geschütze auf. Und siehe da, am nächsten Tag war das Fieber weg. 

Auch wenn mir heute bewusst ist, dass solche Bräuche, nüchtern betrachtet, keine wirkliche Hexerei sind, komme ich nicht drumherum, mir in die Haare zu greifen, sobald ich einen toten Vogel sehe. Ich lasse erst los, wenn ich einen lebenden erblicke. Ihr kennt euch gerade nicht aus? 
Die Erklärung: Es soll ein Schutz gegen böse Energien sein, wie mir meine baba beibrachte. Wenn ich vor einer Kreuzung stehe, begehe ich diese nie quer. Vor allem in meiner Heimatstadt Požarevac. Ich gehe schön brav von einer Ampel zur nächsten. Denn laut meiner Oma, schmeißen „Vračarice“ (dt.: Hexen) ihre verfluchten Gegenstände in die Mitte einer Kreuzung. Diese ist eine Art Portal, das schlechte Energie gefangen hält. Doch, sobald jemand auf diese Gegenstände voller bad vibes drauftritt, nimmt er die bösen Geister auf. So die Theorie. 

Wie du vielleicht schon am Fall Djoković merkst, ist das Mystische am Balkan lebendig. Der Tennis-Superstar umgibt sich gerne mit esoterischen Gurus und Nazi schwurblern.
Vor allem im serbisch-rumänischen Grenzgebiet, in dem Požarevac liegt, werden die Gruselstorys von Generation zu Generation weitergegeben. Hier leben noch immer Vampire, Werwölfe, Geister und Hexen. Ich bestätige mit diesem Beitrag das Klischee des abergläubischen Jugos und warne euch zum Abschluss: Je näher wir dem Boden einer Rakija Flasche kommen, desto gruseliger werden auch die Geistergeschichten.

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