Der australische Social Media-Star Essena O’Neill verabschiedet sich aus den sozialen Netzwerken. Warum ihr Entschluss wichtig für unsere Gesellschaft ist:

Sie hatte alles, was sich ein Mädchen laut unseren gesellschaftlichen Standards geprägt durch Social Media erträumen konnte.  Ein wunderschönes Gesicht, Traummaße, einen Vertrag bei der größten Modelagentur des Landes, über eine halbe Million Follower und ein abwechslungsreiches, abenteuerliches Leben. Essena hat sich über Jahre eine Community aufgebaut und konnte ganz gut davon leben.

Auf all das verzichtet die 19-jährige Essena jetzt. Ende Oktober löschte die Bloggerin etwa 2000 Fotos auf ihrem Instagram-Profil, „die keinen anderen Nutzen hatten als Selbstpromotion“, unter den verbleibenden postet sie Kritik oder Szenarien, die sich in Wirklichkeit abgespielt haben. Wie sie stundenlang an diesem Foto gearbeitet oder extra ihre Brüste gepusht hat, damit sie größer aussehen. Sie verabschiedet sich von Youtube, Tumblr und Snapchat. Stattdessen erstellt sie die Website „Let’s be game changers“ und erklärt, warum sie keinen Bock mehr auf diese ganze Maskerade hat.

Auf ihrer Homepage veröffentlicht Essena seit ein paar Tagen Videos, in denen sie ihren Entschluss erklärt. Ihr Hauptgrund: Sie tut es ihrem 12-jährigen-Ich zuliebe. Jahrelang hat sie sich mit ihrem äußerlichen Erscheinungsbild beschäftigt, war süchtig nach Bestätigung, Likes und Followern. Jetzt spricht die 19-Jährige darüber, wie man mit einem einzigen Instagram-Foto tausende von Dollar verdienen kann. In einem anderen weint sie vor Dankbarkeit in die Kamera, weil ihr Schritt auf so viel positives Feedback stößt.

Die österreichische Bloggerin dariadaria reagiert mit einem Selbstversuch auf die Entscheidung des australischen Insta-Stars. Die 26-jährige Madeleine Alizadeh wird eine Woche lang völlig realistische und nicht in Szene-gesetzte Bilder posten, „einfach um mal um ein bisschen mehr Authentizität reinzubringen.“, wie sie auf Facebook schreibt.

Eine meiner Kolleginnen ist skeptisch: „Glaubst du echt, dass bei Essena nicht mehr dahintersteckt? Vielleicht will sie einfach noch mehr Fame?“ Keine unberechtigte Frage. Klar könnte es sein, dass sie einfach noch bekannter werden will. Vielleicht will sie einen anderen Zugang finden oder ihren USP ändern. Vielleicht will sie anders sein als alle anderen Social Media-Stars und versucht es auf diesem Weg. Natürlich könnte ein ganz anderer Grund dahinterstecken.

Aber ganz ehrlich? Was macht es denn für einen Unterschied? Viele von uns sind so geblendet von dieser Scheinwelt - von all diesen überbelichteten Fotos mit MacBooks, Starbucks-Bechern und der neuesten Vogue-Ausgabe. All diese Bilder sind fake. All diese „Stars“ haben Pickel wie jeder andere und viele von ihnen verdienen sich ihr Geld damit, wie die Wilden irgendwelche Produkte zu promoten, die sie eigentlich gar nicht so super finden. Wir „Normalos“ sind ohnehin schon konfrontiert mit irrsinnig vielen Lügen. Selbst wenn sie also eine Show abziehen sollte, was ich ehrlich gesagt nicht glaube, so führt es zumindest zu etwas Besserem als zum Einkauf eines „Detox Teas“. Essena spricht die Wahrheit an.

Vergessen wir mal unsere misstrauischen Gedanken gegenüber Menschen, die Videos posten, in denen sie heulen: Die Australierin Essena verdeutlicht eine Problematik, die viele nicht sehen wollen oder können. Wie fake dieses ganze Trara auf Tumblr, Instagram und Snapchat nämlich ist.

Also angenommen dieser Entschluss ist eine Masche, um „auf eine andere Art und Weise berühmt zu werden“ - wenn sich so viele Blogger tausende von Dollar mit einem unspektakulären Bild verdienen können, auf dem irgendein Kleid irgendeiner Marke drauf ist: Was ist so verkehrt daran, wenn sie mit einer wichtigen Message noch mehr Reichweite gewinnt und vielleicht auch davon leben kann? In einem ihrer neuen Videos bittet sie um Unterstützung, da sie mit dem Ausstieg dieser Scheinwelt auch ihre Karriere an den Nagel gehängt hat. Ich überlege ernsthaft, auf den Support-Button zu klicken. Denn Essena dient vielen Mädchen als Inspiration. Wenn diese jungen Frauen dank ihr verstehen, wie viel auf sozialen Netzwerken inszeniert oder gar gelogen ist, dann muss Essenas Schritt unterstützt werden.