Was man als Student im Einzelhandel-Dschungel erlebt

02. Februar 2017

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Einzelhandel Meme
Foto: https://www.instagram.com/

Über verrückte Kunden, die bei Kleinigkeiten wahnsinnig ausrasten, die enorme Respektlosigkeit gegenüber Verkäufern, Schmerzen am ganzen Körper, Fake-Freundlichkeit, interessante Leute aus aller Welt, Teamwork und mehr Wertschätzung für harte Arbeit.

 

Wenn sich studierende Arbeiterkinder als Verkäufer versuchen

Wie viele andere Studenten hatten meine Freundinnen und ich bisher alle unterschiedliche Nebenjobs. Irgendwann kamen wir dann auf die Idee, uns einen Mini-Job im Einzelhandel zu suchen. Neben der Uni, ein bisschen mit Leuten quatschen, ein paar Hosen oder Kosmetik-Artikel irgendwohin schlichten und dafür regelmäßig Money bekommen? Klang doch leiwand. „Yes, let's do this shit“, dachten wir uns.

Wir haben die Angelegenheit ziemlich unterschätzt, und das, obwohl wir alle Arbeiterkinder sind. Kopfschmerzen, Knieschmerzen, Rückenschmerzen und ständige Müdigkeit sind die Beschwerden, die wir von unseren Eltern kannten. Besonders meine Eltern, die ebenfalls schon sehr lange im Einzelhandel tätig waren/sind, waren von meiner Idee alles andere als begeistert. But yeah, zero fucks given. Meine Hauptmotivation war nämlich: „Der geplante Spanien-Trip mit meinen Freundinnen im Sommer zahlt sich ja nicht von selbst.“

Ich habe den Job zwar nicht lange gemacht (was für eine Überraschung :P), aber in der Zeit trotzdem einiges über Menschen und das Leben gelernt. Es sind überraschend positive, aber auch negative Erfahrungen. 

 

Kundin zur Verkäuferin: „Warum haben Sie dann so hässliche Schuhe an?“

Das Schlimmste an der Arbeit im Einzelhandel sind zweifelsohne die unverschämten Kunden. Von dieser Sorte gibt es leider wirklich mehr, als man vermutet. Respekt ist hier ein Fremdwort. Meine Mutter hat mich vorgewarnt: Eine ihrer Kolleginnen wurde von einem wütenden Kunden angespuckt, weil er Ware reklamieren wollte und dies nicht mehr möglich war.

Bei meinen Freundinnen und mir ist es zum Glück nicht so derart übel gelaufen. Trotzdem wurde meine beste Freundin, zum Beispiel, von einer Kundin wegen ihrer warmen Winterschuhe bloßgestellt. Die versnobte alte Frau kam ins Geschäft hinein, starrte direkt auf ihre Füße und wollte wissen, ob sie dort arbeiten würde. Meine Freundin antwortete mit „Ja“. Die Frau sagte darauf: „Warum haben Sie dann so hässliche Schuhe an? Da vergeht einem doch die Lust, hier einzukaufen“. Die Antwort, die sie von meiner Freundin bekam: „Ist halt Geschmackssache“. Mehr darf man zu Kunden leider nicht sagen, da man sonst sehr wahrscheinlich gekündigt wird. Die Frau fing an zu lachen, kaufte natürlich nichts und verließ das Geschäft.

 

Ein einfaches „Hallo“ sorgt für mehr Probleme, als man denkt

Eine andere Freundin von mir erzählte, dass eine Kundin bei ihr an der Kassa vollkommen ausgerastet ist, weil sie sie mit einem „Hallo“ begrüßte. Zur Erklärung: Die Dame wollte mit „Guten Tag“ begrüßt werden. Ihre Begründung lautete: „Wir sind hier nicht in einem Fitnesscenter!!“ Nein, aber in einem Supermarkt, wo alle Kunden selbst mit „Hallo“ grüßen. Sie war über die Situation so dermaßen verärgert, dass sie sogar einen Brief an die Zentrale schrieb. Meine Freundin musste sich, kurze Zeit später, für ihr einfaches „Hallo“ rechtfertigen gehen.

 

Luft für die Kunden

Wirklich seltsam, dass es im Einzelhandel schon bei der Begrüßung zu Komplikationen kommen kann. In meinem Fall ignorierten (again) vor allem die älteren Damen jeglichen Kontaktversuch. Man muss sich das so vorstellen: „Hallo, wie kann ich Ihnen helfen?“. Es folgte ein tiefer Blick in die Augen und dann .... NICHTS. Sie gingen einfach weiter. Wieder und wieder und wieder. Na zum Glück habe ich das noch mit Humor nehmen können und mich selbst innerlich ein wenig ausgelacht. Junge Leute waren da eindeutig freundlicher und wollten tatsächlich beraten werden.

 

Der faule Hintern sehnt sich nach dem alten schwarzen Schreibtischsessel

Man wird von einem Tag auf den anderen 8 bis 10 Stunden auf den Beinen stehen müssen. Wer eher unsportlich ist, wird die ersten paar Wochen nur schwer aushalten. Man muss dabei nämlich bedenken, dass man nicht nur stundenlang auf einem Fleck steht, sondern in alle Richtungen hetzen und manchmal sogar riesige Kisten schleppen muss. Nach der Arbeit fällt man meistens müde ins Bett und der Tag ist gelaufen. Freitags arbeiten und abends fortgehen ist echt nur was für die Harten unter uns. Somit leidet das Social-Life auch ein wenig darunter. Konzentriert lernen kann man nach 10 Stunden schuften eigentlich ebenfalls vergessen, außer man ist wirklich ein #fitgurl/#fitboy

 

Falsche Freundlichkeit erwünscht

Du musst mehr lächeln!“, ist der Satz, der mich persönlich am meisten aufregte. Ich bin eigentlich von Natur aus ziemlich gut gelaunt und nehme wahnsinnig viele Dinge mit Humor. Lachen und Lächeln kommt daher häufig bei mir vor. Ein falsches Dauergrinsen ist jedoch, meiner Meinung nach, wahnsinnig offensichtlich und sieht einfach nur bescheuert aus. Man kann Kunden auch ohne Fake-Grinsen im Gesicht helfen. Zu falscher Freundlichkeit gehören auch Lügen wie „Jaja, die Hose steht Ihnen super!“. Wenn eine Person in einem Kleidungsstück scheiße aussieht, sollte man das auch vermitteln können, aber das ist natürlich schlecht für den Umsatz. Mein Tipp: Glaubt niemals den Worten eines übertrieben freundlichen Verkäufers mit Dauergrinsen. Es hat mich selbst überrascht, wie viele Leute es nämlich doch tun.

Kommen wir nun zu den positiven Aspekten:

 

Communication skills und Teamwork, on fleek 

Wie schon erwähnt, mögen es viele Kunden nicht von Verkäufern angesprochen zu werden. Mit den wenigen Leuten, die doch (ehrlich!) beraten werden wollen, führt man meistens längere Gespräche und verbessert seine Smalltalk-Fähigkeiten. So lernt man von Tag zu Tag verschiedene und vor allem interessante Menschen aus aller Welt kennen. Ich habe, zum Beispiel, zum ersten Mal mit Personen aus Schweden, Spanien und Brasilien gesprochen und sie ein bisschen über ihre Länder ausgefragt. Wer sich davor fürchtet fremde Leute anzusprechen, wird diese Angst in den ersten paar Stunden verlieren.

Wer Glück hat, wird sich vielleicht auch prima mit den Arbeitskollegen verstehen und wieder spüren, was es heißt, in einem richtigen Team zu arbeiten. Wenn wenig los ist, entwickelt man eigene Insider, redet über Gott und die Welt und hat tatsächlich Spaß in der Arbeit. Das macht das Aufstehen, die Rückenschmerzen und den „Kampf“ mit unhöflichen Kunden sicherlich um einiges leichter.

 

Mehr Wertschätzung für Geld und Verkäufer

Wer hart für sein Geld arbeitet, wird nachher jeden einzelnen Euro schätzen. Die Arbeit im Einzelhandel ist wirklich kein Zuckerschlecken und sicher noch schlimmer, wenn man Vollzeit beschäftigt ist. Es hat meine Freundinnen und mich wirklich überrascht, wie übermäßig respektlos viele Kunden mit Verkäufern umgehen. Es ist nicht fair, die eigene schlechte Laune oder die Wut über Regelungen des Unternehmens an den Verkäufern auszulassen.

Ich werde in Zukunft außerdem darauf verzichten, kurz vor Ladenschluss in Geschäfte hineinzuspazieren. Im Verkauf heißt von „10-20 Uhr arbeiten“ nicht, dass man um 20 Uhr nach Hause gehen darf, egal wie erschöpft man ist. Erst wenn der letzte Kunde das Geschäft verlassen hat, beginnt nämlich die Kassenabrechnung, welche noch weitere 20 Minuten in Anspruch nehmen kann. Nach 10 Stunden auf den Beinen fühlen sich diese 20 Minuten wie eine Ewigkeit an. Wer Fehler macht, muss noch länger bleiben. 

 

Mein Fazit: Es war definitiv nicht mein Traumjob, aber natürlich gibt es schlimmere Jobs. Würde ich es wieder tun? Bereue ich es? Fragt mich dann nochmal in Spanien. *flamenco dance*

 

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