Wiener Linien - Das Schwarze Auge

11. Januar 2016

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WL Kameras
(c) Wiener Linien

In den Waggons der Wiener Linien gibt es scheinbar viel zu sehen. Aus den Decken der öffentlichen Verkehrsmittel ragen immer mehr schwarze Halbkugeln. Auch in den Stationen erblicken laufend neue mechanische Augen das Licht der Unterwelt.

Das städtische Transportunternehmen baut seine Videoüberwachung konstant aus, erklärt Mag. Answer Lang, Kommunikationsleiter der Wiener Linien. „In der Nacht ist die U-Bahn und die U-Bahn-Station der sicherste Ort, an dem Sie sein können“, und das liege nicht zuletzt an der Videoüberwachung, und an ihrer präventiven Funktion: Wer sich beobachtet fühlt, der begeht kein Verbrechen, so die Überlegung. Lang hält die Wiener Öffis für sicherer als ihre Äquivalente in anderen Großstädten. „In New York überlegte man sich vor einiger Zeit noch, ob man nachts in die Metro steigt.“

Mag. Georg Markus Kainz sieht da keinen Zusammenhang. „Kameras haben überhaupt keine hemmende Wirkung“, meint er und sagt, die Wiener Stationen sind sicher, „weil Wien sicher ist.“ Der Datenschützer ist bei quintessenz, dem „Verein zur Wiederherstellung der Bürgerrechte im Informationszeitalter“. Allein im MQ laufen 80 Kameras, ins Büro von quintessenz wurde trotzdem eingebrochen. Viermal.

Lang pocht darauf: „Wer eine kriminelle Tat plant, wird die nicht dort begehen, wo er beobachtet wird“. Laut Kainz gibt es aber einen kleinen Prozentsatz aller Menschen, er nennt sie „Berufskriminelle“, die sich einen feuchten Dreck um Beobachtung und Konsequenz scheren. Er hat ein Beispiel parat: In Bankfilialen sprießen die Kameras wie Pilze, trotzdem wurden in den letzten 2 bis 3 Jahren eine Rekordzahl an Banküberfällen verübt, sagt Kainz.

WL Kameras
(c) Wiener Linien

Doch die Videoüberwachung soll nicht nur verhindern, sondern auch schnelle Hilfe ermöglichen. Etwa die Hälfte der Stationskameras überträgt Live, die Bilder flimmern in Echtzeit über die Bildschirme, die man in vielen Stationen in den verglasten Büros der Stationsaufsicht sehen kann. Sowohl Lang als auch Kainz räumen ein, dass die Stationswarte unmöglich konstant alle Bildschirme überblicken können. Viel wichtiger sei jedoch die Übertragung zur Zentrale, so Lang. An den Stationswänden prangen rote Notvorrichtungen. Sobald die jemand betätigt, verwandeln sich die dortigen Kameras in die Augen des Erdbergs. Dort kann man munter analysieren und reagieren, Polizei oder Rettung einweisen.

Laut Kainz könnte das zu Hemmungen bei Helfern führen, denn sobald sie den Hebel ziehen, würden sie ja selbst gefilmt. Lang sieht generell die Aufzeichnung von Helfern und Schaulustigen positiv. Die Aussicht auf das Urteil „unterlassene Hilfeleistung“ könne der Zivilcourage auf die Sprünge helfen.

Videokameras dienen nebst Prävention und Reaktion noch der Aufklärung. Das gesamte Filmmaterial der Wiener Linien wird 48 Stunden lang gespeichert und anschließend überschrieben. So will es die österreichische Datenschutzkommission, die der Videoüberwachung der Wiener Linien ihren Segen ereilte. Die Aufnahmen fristen ihr kurzes Leben auf Festplatten in Erdberg, die vom EDV-Netz der Wiener Linien getrennt sind. Somit können nur drei autorisierte Personen mit spezieller Software zugreifen, es sei denn, die Polizei bekundet innerhalb der 48 Stunden ihr Interesse an einer Aufzeichnung. Dann wandert das Material in die Hände der Exekutive. Das kam letztes Jahr etwa 5000 mal vor, so Lang. Aus informellen Gesprächen und Zeitungsberichten wisse er, dass diese Anfragen oft mit einer Festnahme enden. Kainz gibt zu bedenken: "Ein Video erzählt nicht unbedingt die Wahrheit“, sondern stets nur einen Teil der Geschichte.

WL Kameras
(c) Wiener Linien

Der Datenschützer stört sich am steten Abbau der Privatsphäre, „das geht Scheibchen für Scheibchen, sodass wir es nicht spüren“. Videoüberwachung sei eins dieser Scheibchen, denn prinzipiell habe man als Bürger das Recht, sich unbeobachtet im öffentlichen Raum zu bewegen. Im Falle der Wiener Linien könne man all die Kameras durch Personal ersetzen, Schaffner wieder einstellen, die für Ordnung sorgen, so Kainz. „Wenn du ein Wimmerl am Knie hast, kannst du dir das Bein amputieren, dann ist das Wimmerl weg. Aber gibt’s auch weniger starke Eingriffe?“. Den „massiven Eingriff in die Privatsphäre“ durch Videoüberwachung im öffentlichen Raum sieht Kainz als „dem Zweck nicht entsprechend“.

Lang kenne die Bedenken, er betont, dass die Wiener Linien „nicht ins Blaue hinein agieren“, sondern stets mit Genehmigung der Datenschutzkommission. Kainz möchte den Wiener Linien auch keine bösen Absichten unterstellen, gibt aber zu bedenken: Sobald Daten entstehen, will sie jemand haben. In Zeiten, in denen Daten mehr wert sind als je zuvor, fragt sich der Datenschützer, welche Scheibchen noch fallen könnten.

 

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