„Angriffe auf Geflüchtete sind Angriffe auf die Arbeiterklasse.“

14. April 2023

 Die Organisation Asyl in Not saß seit ihrer Gründung Mitte der 80er-Jahre im Wiener WUK. Nun musste sie der Generalsanierung des Hauses weichen – ohne Aussicht auf ein Ersatzquartier oder eine Rückkehr ins WUK. Im letzten Interview aus der Basis erzählt Vorsitzende Kübra Atasoy, wie in der Politik Österreichs Grenzen längst überschritten wurden.

Von Nada El-Azar-Chekh, Foto: Christoph Liebentritt

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Kübra Atasoy ist langjährige politi- sche Aktivistin und Linguistin. Seit 2013 ist sie bei Asyl in Not, übernahm 2018 die Geschäftsfüh- rung und löste 2021 Michael Genner als Vorsitzenden ab. ©Christoph Liebentritt

BIBER: Wie kam es zur Räumung des Büros von Asyl in Not, das seit jeher im WUK war?

Kübra Atasoy: Der Verein WUK, der ursprünglich eine Hausbesetzung war, hat einen Mietvertrag mit der Stadt Wien unterzeichnet, um dringende Sanierungsarbeiten durchführen zu können. Deshalb müssen alle Institutionen das Haus für eine gewisse Zeit verlassen. Dagegen spricht in erster Linie gar nichts. Allerdings haben alle anderen Institutionen vom WUK ein Ersatzquartier zugewiesen bekommen – so war es anfangs auch mit Asyl in Not geplant. Ende Jänner wurden wir jedoch informiert, dass wir doch kein Ersatzquartier bekommen, und, dass wir unsere „Arbeit pausieren mögen“.

Wie sollte eine Organisation wie Asyl in Not pausieren?

Genau, Asyl in Not kann die Arbeit nicht pausieren – wir vertreten Menschen vor Gericht und vor Behörden, die politisch verfolgt werden, oder denen als Geflüchtete Menschenrechte verwehrt bleiben. Es laufen aktuell Hunderte aktive Verfahren mit dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, dem Bundesverwaltungsgericht oder dem Landesverwaltungsgericht. Wenn ich meine Arbeit pausieren muss, dann müssten die betreffenden Behörden und Gerichte ebenfalls ihre Arbeit niederlegen. Wir haben innerhalb von drei Wochen Tausende Gerichtsakten digitalisiert, was wir jahrelang aufgeschoben hatten – sollte auch nur einer von ihnen beim Auszug verloren gehen, kann ich für immer zusperren.

Warum sollte sich die Mehrheitsgesellschaft für die Rechte von Geflüchteten interessieren?

Am Status der Geflüchteten zeigt sich der Zustand des strukturellen Rassismus in Österreich deutlich. Wir haben es mit Menschen zu tun, denen grundlegende Menschenrechte verwehrt werden, wie etwa das Recht auf Arbeit oder das Recht auf ein menschenwürdiges Zuhause. Gleichzeitig ist dieser Zustand ein guter Spielball für die Politik: Themen rund um Asyl und Flucht werden nur plakativ verwendet, um allgemeine Grundrechte abzubauen. Wer wie Bundeskanzler Nehammer davon spricht, Asylberechtigten Sozialleistungen zu kürzen, spricht davon, österreichischen StaatsbürgerInnen Sozialleistungen zu kürzen – jedoch durch die Hintertür.

Welche Mythen gibt es rund um AsylwerberInnen und Geflüchtete in Österreich, die endlich geklärt werden sollten?

Ich sage es so: Unsere KlientInnen sind ganz normale Angehörige der österreichischen Arbeiterklasse. Es gibt de facto keine Flüchtlinge hierzulande, die es sich leisten könnten, nicht zu arbeiten. Sie sind verantwortungsbewusste Menschen, die Familien zu versorgen haben und versuchen, sich hier etwas aufzubauen. Schon aus purem Überlebensinteresse wollen viele erst gar nicht in die Kriminalität rutschen. Ich möchte gerne darüber diskutieren, warum unter dem Begriff der ArbeiterInnenschicht in Österreich nicht nur der weiße, mittelalte Metallarbeiter verstanden werden sollte, sondern auch alle Menschen, die in der Pflege arbeiten – dokumentiert oder undokumentiert – oder auch junge Menschen, die bei Lieferdiensten arbeiten. Angriffe auf Geflüchtete sind somit Angriffe auf die ArbeiterInnenklasse. Diese Diskussion wird weder von links, noch von rechts geführt.

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"Wir haben innerhalb von drei Wochen Tau- sende Gerichtsakten digitalisiert." - Kübra Atasoy ©Christoph Liebentritt

Wie bewertest du die jüngsten politischen Entwicklungen in Österreich auf persönlicher Ebene?

Wenn in Österreich ein Bundeskanzler öffentlich sagen kann, dass er die GastarbeiterInnen bereut, dann ist eindeutig ein Damm gebrochen. Dasselbe gilt für seine Parteikollegen, die mitten in der Stadt unverschämt gegen MigrantInnen hetzen und sich auf Social Media profilieren wollen. Auch meine Großeltern sind mit dem zweiten Zug 1964 nach Österreich gekommen und haben sich ihre Körper kaputtgeschuftet – davon profitiert Österreich bis heute. Mittlerweile berühren mich solche Aussagen aber kaum mehr, denn ich kann mir ohnehin die Namen der jeweiligen Parteichefs nicht mehr merken. Sie entfalten keinerlei politische Kraft mit dieser Stimmungsmache – für mich hat das Ganze mehr von einem Todesringen um Relevanz.

Wie viele Menschen sind bei Asyl in Not tätig, und wie finanziert ihr euch?

Wir sind als politische Organisation ein Rechtsberatungsbetrieb mit sechs Angestellten und einigen ehrenamtlichen JuristInnen. Außerdem bilden wir Menschen kostenlos in Sachen Asylrechtsberatung aus. Wir werden zu 95 Prozent aus Spenden finanziert, vereinzelt bekommen wir projektbasierte Förderungen. 

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Am 14. April 2023 wurden alle Schlösser im WUK endgültig getauscht. ©Christoph Liebentritt

Asyl in Not ist eine unabhängige Menschenrechts-NGO, die Geflüchteten in Österreich Rechtsberatung und Vertretung in Asylverfahren bietet. Mehr Infos findet ihr unter: asyl-in-not.org

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