Die Feinde waren nicht nur die Taliban

29. Januar 2015

Sie war das Nachrichtengesicht im afghanischen Staatsfernsehen. Jetzt ist die Journalistin Tanya Kayhan Stipendiatin der Biber-Akademie. Sie erzählt, mit welchen Angriffen auf die Meinungsfreiheit sie in ihrer Heimat tagtäglich konfrontiert war. 

VON TANYA KAYHAN  

Kurz nach den Attentaten in Paris zeigte sich die Welt vereint. Das hat mich an die Mediensituation in meinem Land erinnert – an Afghanistan. Ich war dort Journalistin, ein bekanntes Gesicht im nationalen Fernsehen und eine der wenigen Frauen, die sich für diesen Beruf entschieden hat. In meinem Land werden jährlich Journalisten ermordet. Dagegen gibt es keine Einheit. Das Attentat auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ war ein Anschlag auf die Meinungsfreiheit. Mehrere Millionen Menschen gingen auf die Straße, westliche mit östlichen Politikern. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, der israelische Minister-Präsident Benjamin Netanyahu, Königin Rania von Jordanien, Ibrahim Boubacar, der Präsident von Mali und Palästinenserpräsident Mahmud Abbas gingen Arm in Arm mit der französischen Spitze. Sie gedachten nicht nur der Opfer, sondern setzten ein politisches Zeichen gegen den Terror. In Afghanistan wurden im letzten Jahr 8 Journalisten umgebracht und 58 Angriffe auf Journalisten verzeichnet. Aber niemand erhob seine Stimme. Nie werde ich vergessen, wie der afghanische Reporter Ajmal Naqshbandi von der Taliban im Jahr 2007 in der Helmand Provinz enthauptet wurde, nachdem es der Regierung nicht gelang, ihn erfolgreich zu befreien. Das ist der Unterschied zwischen einer echten und einer Scheindemokratie. Die westlichen Journalisten werden von dem System ihres Landes unterstützt. Aber in einem scheindemokratischen System wie in Afghanistan können Journalisten nicht viel erwarten.

Journalistin nur mit Pseudonym

Ich erinnere mich noch an einen meiner ersten Jobs im „killid“-Radio. Es war vor meiner Zeit als TV-Journalistin bei „Voice of America“ und „1TV“, damals war ich noch nicht bekannt. Die Hörer des Senders kannten mich nur als „Tamana Tabisch“ – einem Pseudonym, das ich aus Sicherheitsgründen erhielt. Es war das Jahr 2008. Sechs Jahre nach dem Fall der Taliban. Trotzdem war die Gesellschaft nicht bereit für eine Frau als Journalistin. In dieser Zeit erhielten viele Frauen Pseudonyme bei den Radio-Sendern. Journalismus in Afghanistan zu machen ist sehr gefährlich, speziell für Frauen. Journalistinnen haben mit Frauenfeindlichkeit, Belästigung auf der Straße und der Unmöglichkeit alleine reisen zu können zu tun. Und nicht zuletzt bezahlen sie ihren Beruf auch mit ihrem Leben. Im September letzten Jahres wurde die Journalistin Palwasha Tokhi in ihrer Wohnung getötet.

Nicht nur die Taliban waren die Feinde

Als ich 2005 mein Studium in der Journalismus-Fakultät der Universität von Kabul begann, war mir nicht bewusst, welch schwierige Zukunft ich einmal haben werde. Erst nachdem ich beim nationalen Fernsehen zu einem bekannten Gesicht als Nachrichtenjournalistin geworden war, verstand ich, wie hart es für eine Frau in Afghanistan ist diesen Beruf auszuüben. Ich konnte weder frei auf der Straße gehen, alleine mit dem Taxi fahren, noch mit dem Bus in abgelegene Gebiete reisen. Ich konnte nicht einmal mehr Parks oder öffentliche Plätze besuchen, nachdem ich bekannt war. Die Belästigungen auf der Straße hinderten mich daran in die Öffentlichkeit zu gehen und die Angst vor Geiselnahmen von der Taliban ließ mich nicht zu abgelegenen Gebieten reisen. Die Taliban nehmen Journalisten gern als Geiseln, um sie gegen ihre Kämpfer einzutauschen. Meine fünf Jahre als Journalistin in Afghanistan waren für mich ein Kampf gegen die Feinde der Meinungsfreiheit. Und die Feinde waren nicht nur die Taliban. Sondern auch ihre Kultur, die sie in unserer Gesellschaft hinterlassen haben. Afghanistan steht laut der Organisation SAFMA (South Asian Free Media Association) in Punkto Gewalt gegen Journalisten 2014 an dritter Stelle. Es sind nicht allein die Taliban, die das Leben von Journalisten gefährden. Auch das politische System scheute nicht selten davor jeden in Gewahrsam zu nehmen, dessen Recherchen zu „unangenehm“ wurden. Die Journalisten wurden vom Regierungspersonal verhaftet oder geschlagen, damit sie Fakten nicht aufdecken. Im letzten Jahr gab es 125 Gewaltfälle auf Journalisten: 8 wurden getötet, 9 verletzt, 20 verhaftet, 38 geschlagen und 50 Journalisten wurde gedroht. Zu 80% gingen diese Angriffe auf die Regierung zurück, zu 11% auf die Taliban und zu 5% auf die NATO.

Medien nach Ideologie

Doch nicht nur die permanente Lebensbedrohung macht den Beruf des Journalisten in Afghanistan so schwer. Es gibt noch ein anderes Problem: Viele Journalisten sind arbeitslos, obwohl es genügend Medien im Land gibt. Wir haben 150 Radio-Kanäle, 50 Fernsehsender und mehr als 100 Printmedien. Ich erinnere mich an einen meiner Kollegen bei 1TV, der von unserem Nachrichtenchef entlassen wurde. Er hatte den persischen Führer Ahmad-Shah Masood der Mujahidin- Regierung, welcher 2001 durch ein Terrorattentat umkam, bloß als militärischen Kommandanten bezeichnet und nicht als „Volkshelden“. Da mein 1TV-Nachrichtenleiter ein Anhänger von Masood’s Ideologie war, erwartete den Kollegen im Handumdrehen seine Kündigung. Dies zeigt auch ein anderes Problem der Mediensituation in Afghanistan: die sprachliche und ethnische Trennung der Medien. Viele Journalisten werden nach ihrem ethnischen oder ideologischem Background ausgewählt – oder eben entlassen. Verschiedene Länder finanzieren die afghanischen Medien, um die Zwietracht zwischen den Afghanen zu provozieren. So wird der Fernsehsender „Noor“ vom Iran (den Unterstützern der Perser im Land) und der Sender „Shamshad“ von Pakistan (den Unterstützern der Pashtunen) finanziert. Ob in meinem Land oder in einem Land wie Frankreich, die Meinungsfreiheit steht unter Beschuss des Terrors. Aber das Glück, das die Medien in westlichen Ländern haben, ist ihr demokratisches System. Dieses System schützt die Meinungsfreiheit mehr als in meinem Land und ermutigt den Journalisten den Stift weiter in der Hand zu halten. Diese Unterstützung seitens der Regierung und der Bevölkerung in Europa ermutigt mich den Stift in meine Hand zu nehmen und noch einmal in die Journalismus-Welt einzutreten. Hier, in Österreich.

Bereich: 

Das könnte dich auch interessieren

Collage: Zoe Opratko
   Keine Bevölkerungsgruppe wird in...

Anmelden & Mitreden

1 + 0 =
Bitte löse die Rechnung