Ein Ägypter im Blumenland

21. März 2013

 

Vom Lagerarbeiter zum Blumenhändler: Mohamed ist im Jahr 2000 nach Wien gekommen. Als er mir seine Geschichte erzählte, wurden auch in mir Erinnerungen an daheim wieder wach. Und als er mich ansah, wusste er sofort: Auch sie stammt aus Ägypten! 


Der Blumenflüsterer
Wenn man in ein Wiener Blumengeschäft geht, erwartet man eigentlich eine zierliche alte Dame, die hinter der Budel steht und rote Rosen verkauft. Im „Blumenland“, in der Mariahilfer Straße im 15. Bezirk, trifft man aber auf einen jungen Mann. Mohamed ist 41 und lebt schon seit dreizehn Jahren in Wien.  Im fremden Land angekommen, sprach er kein Wort Deutsch, aber die Sprache der Blumen beherrschte er schon immer. In einem Lager, in dem Sträuße gebunden wurden, hat er seine Mitarbeiter immer zum Staunen gebracht: Seine Arrangements waren immer die Schönsten. Auch sämtliche Buketts im „Blumenland“ sind von ihm gemacht. Das ist keine Sache, die man ihm beibrachte. „Das ist Gefühl“, sagt Mohamed.

Ich habe mir gewünscht, dass das Flugzeug abstürzt…

Als Mohamed im Flugzeug Richtung Wien saß, wünschte er, dass das Flugzeug abstürzen möge. Ihn plagten Versagensängste. Dass er in Ägypten nicht wirklich was auf die Beine gestellt hatte, war nicht so schlimm, weil das in seinem Alter dort fast keiner kann, das ist keine Schande. Aber in Europa, da ist das Ganze zu 100 Prozent seine Verantwortung, dachte er. „Ich wollte niemanden enttäuschen. Mir war der Tod lieber.“ Im Flugzeug befanden sich zwei andere Ägypter, der eine wollte nach New York, der andere nach London. Beide hatten Verwandte dort, Mohamed war alleine. Er fühlte sich im Vergleich zu ihnen vollkommen hilflos und war sich sicher, dass er es zu nichts bringen würde. Heute sieht er das ganz anders .Nach einem Jahr flog er wieder nach Hause, und da hatte er eher Angst, dass ihm etwas passiert! Er wollte um jeden Preis gesund und munter zu seinen Eltern und Geschwistern, damit sie sehen, was er erreicht hat. Finanziell stand er schon auf eigenen Beinen.

In Wien bekommst du vor allem Hoffnung

Wien ist für den Blumenhändler keine Stadt, in der man aufgeben kann. Sie gibt dir Hoffnung, wenn du keine mehr hast. Wenn man arbeiten will, findet man auch eine Lösung, und man hat die Möglichkeiten, sich immer wieder zu beweisen. „Ich wollte hier meine Zukunft aufbauen.“ Heute, nach dreizehn Jahren, hat Mohamed schon einiges von dem erreicht, weswegen er hergekommen war, aber längst noch nicht alles. Das, was er verwirklicht hat, ist, dass er gut lebt und gut für seine Familie sorgen kann.

Meine Ehefrau ist mit meiner Exfrau befreundet

Mohamed war zirka fünf Jahre mit einer Österreicherin verheiratet. Seine kleine Familie und seine heutige Exfrau sind befreundet. Sie sind in Kontakt, haben aber keine gemeinsamen Kinder. Später hat er wieder geheiratet. Seine Ehefrau ist Ägypterin, sie haben zwei Söhne, neun und sieben Jahre alt. Der Kontakt zwischen seiner Ehefrau und seiner Exfrau ist sehr gut, sie sind befreundet. Von der Österreicherin hat er sich getrennt, weil die Unterschiede zwischen den Kulturen dann doch zu groß waren. „Wenn ich eines Tages eine Tochter habe, die mit achtzehn mit einem Freund daherkommt, muss ich das akzeptieren, ob ich will oder nicht!“  Er könnte so etwas nicht ertragen. Um eine Familie zu gründen war es ihm wichtig, dass er mit einer Frau verheiratet ist, die dieselbe Kultur hat, damit die Kinder nicht verwirrt sind, was ihre Herkunft und Religion betrifft. Aber trotzdem sind sie im Guten auseinander gegangen.

Daheim bleibt Daheim

Mohamed erzählt seinen Kindern, dass Ägypten das schönste Land auf der ganzen Welt ist. Er liebt seine Heimat, und momentan tut ihm weh, was unten geschieht. Es ist, als hätte man eine Krankheit mit sichtbaren Symptomen. Aber dort sind all seine Erinnerungen, seine Familie und seine Jugend. Und wenn er ein Buch liest von „Yusif Zidan“ zum Beispiel, dann macht es ihn stolz, Ägypter zu sein. „Eines Tages, und da bin  ich mir sicher, wird in Ägypten wieder alles gut. Ich weiß nicht wann, aber ich weiß, dass der Tag kommen wird.“

Sagt’s und stellt einen wunderschönen Blumenstrauß in die Auslage. 

 

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