Frauen, an die Mischpulte!

24. Februar 2022

Gracia beim auflegen
© Ina Aydogan

 

Wenn weibliche DJs Platz einnehmen, wird nicht nur die Musikbranche vielfältiger, sondern auch das Nachtleben sicherer. Wie weiblicher Zusammenhalt für nachhaltige Veränderung sorgt, erklärt Gracia Ndona aka DJ Zola.

 

Von Gracia Ndona, Fotos: Ina Aydogan

 

Ihr Frauen habt immer so viele Dinge in euren Taschen mit. Die Hälfte davon braucht ihr ja gar nicht! “ Diesen stereotypischen Kommentar durfte ich mir eines Abends von einem DJ-Kollegen anhören. Nämlich als ich vor einem Gig meinen MacBook, den Laptop-Stand und meinen USB-Hub aus meiner Tasche holte. Der Barbesitzer hatte mich für diesen Abend als Headliner und ihn als Warm-Up-DJ gebucht. Es mag jetzt vielleicht unfeministisch klingen, doch ich stimme der Aussage meines DJ-Kollegen teilweise zu. Denn die Top fünf Gegenstände, die ich meistens dabeihabe, sind eine 1-TB externe Festplatte, ein Cinch- oder XLR-Kabel, mein DJ-Controller und mein Laptop. Doch den Speicher und die Stromkabel habe ich bisher nur selten benutzt. Ich verwende also zum Auflegen tatsächlich weniger als die Hälfte meines Tascheninhalts. Einerseits, weil die Clubs und Bars, in denen ich bis jetzt aufgelegt habe, das ganze Equipment, das ich brauchte, bereits hatten. Außerdem habe ich all meine Songs doppelt abgespeichert, also auch auf meinem Laptop. So, wie es sich für eine DJ eben gehört.

Ja, ich bin DJ. Keine DJane oder She-DJ. Viele Menschen denken bei der Bezeichnung zuerst wahrscheinlich an einen Mann, der lässig vor dem Controller steht und dabei nur einen Over-Ear-Kopfhörer auf dem Ohr hat, mit seiner linken Hand heizt er die Menge an und mit der rechten dreht er die komplexen Knöpfe auf dem Mixer. Doch „DJ“ ist ein genderneutrales Wort und dieser englische Begriff die Abkürzung für „disc jockey“. Er beschreibt jede Person, die gespeicherte Musik individuell und mit eigenen Spins auf einem Mischpult wiedergibt. Und genau das ist es, was ich mittlerweile seit fast zwei Jahren mache. So wie viele andere Frauen lange vor mir.

 

 

Foto: Ina Aydogan
Foto: Ina Aydogan

Wir verändern die „Weltmusik“

Begonnen hatte ich, weil ich einer anderen DJ beim Auflegen zugesehen hatte – sie inspirierte mich. Schon in meiner Jugend war es mein Traum, mein Talent für das Mixen und die unterschiedlichen musikalischen Einflüsse, die ich aus meiner Kindheit kannte, mit der Welt zu teilen. Allen voran jene, die in den 2000er Jahren in Wiener Plattenläden unter dem Genre „Weltmusik“ zusammengefasst wurden. Musik von Künstler:innen, die westlichen Musikfans nicht geläufig war, konnte dort entdeckt werden. Egal, ob indischer Raga oder karibischer Zouk.

Bereits die vierfache Grammy-Gewinnerin aus Benin, Angelique Kidjo, erklärte in einem Interview: „Miriam Makeba, die südafrikanische Sängerin und Aktivistin, fragte mich einmal, wer den Begriff ‚Weltmusik‘ erfunden hatte. Jemand muss das Genre ‚Dritte Welt – Musik‘ genannt und das Wort ‚Dritte‘ nachträglich entfernt haben, um politisch korrekt zu sein. Ich denke, dass Makeba Recht hatte. Deswegen mag ich die Bezeichnung ‚Weltmusik‘ nicht.“ Auch ich schloss mich der Meinung beider Musikerinnen an und wollte dieses Stigma auflösen, indem ich in gewisser Hinsicht mitbestimme, welche Musik in österreichischen Clubs und Bars gespielt wird.

Als ich dann mit meinen Freund: innen, die teilweise selbst auflegten, über meinen Wunsch sprach, unterstützen mich alle – selbst die männlichen DJs! Für Partys meiner Schwestern hatte ich nämlich schon, als ich 16 war, mithilfe von gratis Softwares auf dem Familien-PC Afrobeat und Zouk Mixes zusammengestellt. Ich brannte damals auch R&B und Hip-Hop Songs als MP3s auf CDs und erstellte so meine eigenen kleinen Mixtapes mit Songs von Brandy, Beyoncé und vielen mehr. Klassiker. Und ohne zu wissen, dass es dafür eine Bezeichnung gibt, probierte ich mich damals auf mehreren Events als Music-Selector.

 

„Hol den Controller und mach einfach!“

Tmnit Ghide ist Musikkuratorin und selbst DJ. Als Mitglied mehrerer all-female DJ-Kollektive, wie dem Afrodiaspora2.0 in München und der Wiener Gruppe Bad&Boujee, empfindet sie den Zusammenschluss talentierter Musikerinnen als Vorteil. Sie erklärte mir, dass ein Kollektiv den Frauen in der männerdominierten Musikszene Sichtbarkeit verschaffte. „Als Frauen waren wir vielleicht die Exoten“, beschrieb sie mir, „doch das hat sich heute geändert.“ Immer wieder treffe man auf Frauen, die Musik feiern und meinen, DJ werden zu wollen. Auch als ich sie traf, motivierte sie mich: „Hol den Controller und mach einfach!“

Natürlich bleiben wir Frauen auch in der Musikszene, zu der auch die DJs gehören, von den üblichen „-ismen“ nicht verschont. Besonders Schwarze Musikerinnen sind von doppelter Diskriminierung in Form von Sexismus und Rassismus betroffen, wobei es in der Musikbranche meist zu einer Exotisierung und verstärkten Sexualisierung Schwarzer Frauenkörper kommt. Doch durch die weibliche Präsenz in vermeintlich männerdominierten Spaces können wir die Welt mitgestalten und so auch die Musikszene verändern.

Das Kollektiv Bad&Boujee veranstaltete bereits online Events im so genannten „Boiler Room“, eine bekannte Online-Plattform zur Übertragung von DJ-Sets und Livemusik mit Publikum. Die Veranstalterinnen achteten darauf, dass bei ihren Partys immer so genannte „Awareness-Teams“ anwesend waren. Das sind Personen, an die man sich als Feiernde wenden kann, sollte man in bedrängende Situationen kommen. Solche Anlaufstellen sind bei queeren Partys Standard. Selbstverständlich spricht es nicht für unsere Gesellschaft, dass wir solche Teams überhaupt brauchen. Weibliche DJs haben bestimmt vor mehreren Jahren schon auf diesen Aspekt aufmerksam gemacht. Trotzdem finden auch heute noch von Männern organisierte Partys meist ohne „Awareness-Teams“ statt. Durch die Herangehensweise und den Einfluss der weiblichen DJs kann aber auf solche Situationen besser geachtet und reagiert werden.

 

Foto: Ina Aydogan
Foto: Ina Aydogan

 

„Didn’t Come To Play“

Ganz ehrlich: Frauen und Mädchen, traut euch! Dinge, die wir uns selbst zutrauen, sollten wir einfach machen. Denn wir wissen nicht, was wir damit bewirken können. Technisches Talent und Wissen hätte ich mir Anfang 2020 auch nicht zugetraut und der Unterschied zwischen einem Cinch- und XLR-Kabel hätte mich wahrscheinlich auch wenig interessiert. Heute kann ich mit den männlichen DJ-Kollegen mitreden und der Anblick ihrer verwunderten Gesichter ist befriedigend.

Tatsächlich gab es einige männliche DJs, die nach meinen Sets zu mir kamen und mir sagten, dass sie zu Beginn des Abends nicht erwartet hätten, dass es gut werden würde. „I laugh in the faces of all these people dismissing me“, meint die südafrikanische Rapperin Dope Saint Jude in ihrem Track „Didn’t Come to Play“. Sie lacht all jenen ins Gesicht, die auf sie und ihr Können herabsehen. Ich empfinde sie und die Angelique Kidjos dieser Welt als Vorbilder. Auch Tmnit sagte mir etwas Ähnliches: „Man sollte sich nicht von Leuten unterkriegen lassen, die das belächeln, was wir tun, denn wir haben was drauf.“ Und der Tisch ist groß genug für jede von uns und hat Platz für all unsere Turntables. ●

Foto: Ina Aydogan
Foto: Ina Aydogan

 

 

 

 
Gracia Ndona ist 27 Jahre alt und journalistische Quereinsteigerin mit kongolesischen Wurzeln. Sie setzt sich für ihre Community ein, indem sie mit ihrem Verein ADOE (Afrikanische Diaspora Österreich) einen Safen Space bietet.

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