Gastkommentar: Gerichtsurteile bringen keinen Frieden

25. März 2016

Gestern wurde das lang erwartete Urteil gegen Radovan Karadzic verkündet. Viele Serben sehen darin einen Beweis mehr, dass das Haager Tribunal „antiserbisch“ sei, da mal wieder einer „ihrer“ Anführer zu einer hohen Haftstrafte verurteilt wurde, aber keiner von der anderen Seite.

Von Nedeljko Savić

Ich persönlich finde es gut und richtig, dass Kriegsverbrechen gerichtlich aufgearbeitet werden, die Täter zur Rechenschaft gezogen werden und den Opfern damit ein gewisser Grad an Genugtuung verschafft wird. Wir sollten jedoch nicht dem Trugschluss aufliegen, dass Gerichte, u.a. auch der ICTY, die ultimative Wahrheit ans Licht bringen können. Gerichte können nur auf Grundlage von Fakten und Beweisen entscheiden. Vielleicht bin ich naiv, aber ich glaube und hoffe, dass der ICTY in seiner Rechtsprechung nicht einseitig war. Allerdings verstehe ich, dass viele Serben diesen Eindruck haben. Obwohl in den 1990ern in Kroatien und Bosnien tausende serbische Zivilisten im Bürgerkrieg umkamen und hunderttausende Serben aus ihren Häusern vertrieben wurden, gibt es kaum nennenswerte Verurteilungen in diesem Zusammenhang. Das hinterlässt natürlich einen fahlen Beigeschmack.

Karadzic, verurteilt, Den Haag, Kriegstribunal
ROBIN VAN LONKHUIJSEN / AFP / picturedesk.com


Mehr Mitgefühl auf beiden Seiten

Wir sollten einem weiteren Trugschluss nicht aufliegen, nämlich dass Gerichtsurteile viel zur Versöhnung beitragen können. Dies galt für Deutschland, Österreich, Japan, Jugoslawien nach dem 2.Weltkrieg und gilt nun auch für Bosnien, Kroatien und Serbien. Es bedarf vielmehr eines offenen gesellschaftlichen Diskurses, um eine Änderung in Richtung wahrer Versöhnung herbeizuführen. Meine bescheidene Meinung zu Bosnien (sorry, dass ich die Kroaten hier außen vor lasse): Von den Serben würde ich mir wünschen, mehr Mitgefühl gegenüber den bosniakischen Opfern zu zeigen. Tatsache ist, dass die Bosniaken die meisten Opfer zu verzeichnen hatten im letzten Krieg. Von den 1,9 Millionen Bosniaken waren über eine Million Flüchtlinge, dazu sind ca. 70 000 Todesopfer, davon laut ICTY mehr als 25 000 Zivilisten, und weiters zehntausende zum Teil Schwerverletzte zu beklagen. Dies sollte man weder relativieren noch verharmlosen. Auch sollten wir, Serben, jegliche Vorurteile gegenüber Bosniaken bekämpfen.


Der antibosniakische Chauvinismus beruft sich darauf, dass die Bosniaken mit dem Übertritt zum Islam den „christlichen Glauben der Großväter“ verraten haben oder dass sie immer auf der Seite der Besatzer (Osmanen, Österreich-Ungarn, Nazi-Deutschland) gekämpft haben. Erstens stimmen diese verkürzten Darstellungen nicht und zweitens kann man Menschen nicht für die Verbrechen früherer Generationen verantwortlich machen. Das gilt für alle, inklusive Bosniaken und Serben.

Von den Bosniaken würde ich mir wünschen, dass sie die Serben nicht nur als „völkermordende Aggressoren“ betrachten (gestern allzu oft in Postings zum Karadzic-Urteil gelesen), sondern ebenfalls ein bisschen Mitgefühl zeigen für die Opfer, die die Serben im Laufe der Geschichte zu beklagen hatten. Während der osmanischen Besatzung waren die Serben, da Christen, oft Menschen zweiter Klasse, im 1. Weltkrieg verloren die Serben 1,3 Millionen Menschen, also ca. ein Drittel der Gesamtbevölkerung, im 2. Weltkrieg wurden laut USHMM ca. 320 000 Serben Opfer eines Völkermordes, der auf dem Territorium des heutigen Kroatiens und Bosniens stattfand.

Viel ähnlicher, als ihnen lieb ist

Ein weiterer Punkt, den ich gerne erwähnen möchte, für den man nicht Verständnis haben muss, den man aber zumindest kennen sollte: Wenn ich nach Bosnien fahre, frage ich immer wieder meine männlichen Verwandten und Bekannten, warum sie in den Krieg gezogen sind. Dabei wiederholen sich zwei Antworten: Erstens: „Wir wollten in Jugoslawien bleiben“, und zweitens: „Wir wollten verhindern, dass sich die Geschichte wiederholt“ (bezogen auf Völkermord, Anm.). Ich bin überzeugt, dass der Großteil der serbischen Soldaten, die keine Kriegsverbrechen begangen haben, von diesen zwei Argumenten zutiefst überzeugt war und es deswegen leicht war, sie zum Krieg zu mobilisieren. Dies rechtfertigt natürlich in keiner Weise Tomasica, Keraterm, Zvornik, Foca, Sarajevo oder Srebrenica.


Mögen die Bosniaken und Serben noch so unterschiedliche Auffassungen von der Vergangenheit haben, einer Tatsache können sie nicht entkommen, nämlich, dass sie auch in Zukunft weiterhin tief miteinander sowohl kulturell und sozial, als auch wirtschaftlich verbunden bleiben werden. Vielleicht könnte das Bewusstsein darüber den Versöhnungsprozess etwas beschleunigen.


ICTY: Abkürzung für International Criminal Tribunal for the former Yugoslawia

USHMM: United States Holocaust Memorial Museum

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Nedeljko Savić (34) ist Jurist, Absolvent der Diplomatischen Akademie Wien und SPÖ-Mitglied

 

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