"Gott verzeiht alles"

02. Februar 2016

Spätestens seit dem Charlie-Hebdo-Anschlag rätselt die Öffentlichkeit – Sind unsere Gefängnisse Brutstätten des radikalen islamistischen Gedankenguts? Noch nicht, besänftigt der islamische Seelsorger Ramazan Demir, der im biber-Interview über Reue der Inhaftierten, den Einfluss des „IS“ und fehlende Vaterfiguren spricht.

Von Amar Rajković und Christoph Liebentritt (Fotos)

„Des is net so wie du des aus dem Fernsehen kennst.“ Der junge Justizwachbeamte hat recht. Ich habe mir ein Gefängnis anders vorgestellt. Auf den ersten Blick könnte es auch ein etwas in Jahre gekommenes Spital sein. Elendslange Gänge, Gefangenen-Zeichnungen an den Wänden, ja sogar einen trostlosen Aufenthaltsraum mit Gymnastikmatte, Hometrainer und einem Tischtennis-Tisch gibt es hier. Die Aussicht auf den Hof mit dem Fußballplatz wird durch die Gitterstäbe gestört. Einzig die nach oben gerichteten Klinken der Zelltüren deuten darauf hin, dass wir uns in der größten Haftanstalt Österreichs befinden. In der Justizanstalt Josefstadt leben 1200 Häftlinge. Bei unserer Tour durch die Trakte bekommen wir einen Justizwachbeamten als Begleitung zur Seite gestellt. Wir lernen fünf Jungs kennen. Sie sind im Trakt für Jugendliche untergebracht und sind zw. 14 und 18 Jahre alt und besuchen gerade den Deutschkurs. Google-Translator ist eine praktische Aushilfe für den Lehrer, der vom Stadtschulrat abgestellt wird. Fotos von den eingesperrten Bankdrückern seien nur von hinten erlaubt,  wurde unserem Fotografen gesagt. Nachdem wir die Moschee im Keller der Anstalt besucht haben, setzen wir uns an einem Tisch am Gang davor. Die Beamten schauen beim Vorbeigehen etwas verdutzt, doch Ramazan Demir lässt sich nicht beirren, die rheinische Frohnatur, die als islamischer Gefängnisseelsorger jedes Freitaggebet verrichtet und einzelne Beratungsstunden anbietet ist für rund 300 Muslime in der Justizanstalt Josefstadt zuständig.

Biber: Die Attentäter der Charlie-Hebdo-Anschläge haben sich angeblich im Gefängnis radikalisiert. Gibt es die Gefahr, dass dies auch in Österreichs Haftanstalten passiert?

Ramazan Demir: Die Radikalisierung in Gefängnissen hierzulande ist, Gott sei Dank, noch ein Randphänomen.

Wird es bald großes Thema sein?

Es ist ein ernstzunehmendes Thema. Wir haben hier in der Justizanstalt Josefstadt fast 1200 Häftlinge, davon sind ca. 300 Muslime. Die meisten von ihnen wünschen sich religiöse Betreuung, weil die Bedeutung von Religion im Gefängnis stark zunimmt. Wir brauchen aber da mehr Unterstützung vom Staat.

Sie werden doch vom Justizministerium bezahlt?

Dieses Geld reicht gerade mal die Anfahrtskosten und Ausgaben zu decken. Wir haben in den 27 Justizanstalten 46 Gefängnisseelsorger, die ehrenamtlich ihre Arbeit verrichten. Leider ist die islamische Seelsorge im Vergleich zu vielen anderen Religionsgemeinschaften unterbesetzt. Auf der einen Seite finanziert der Staat 570 islamische Religionslehrer, die gute Arbeit leisten. Auf der anderen Seite keinen einzigen islamischen Gefängnisseelsorger. Das stimmt mich traurig, weil es mit ein paar Stunden Betreuung nicht getan ist.

Um zur Ursprungsfrage zurückzukommen: Wie können Sie Häftlinge deradikalisieren?

Mit Aufklärungsarbeit! Wenn ein Mensch mit radikalem Gedankengut ins Gefängnis kommt, gibt er dieses an seine Zellengenossen weiter. Die Gefahr, dass sich der radikale Gedanke dadurch verbreitet, steigt stark. Meine Aufgabe als Imam betrifft beide Parteien. Einerseits muss ich die die Mehrheit vor diesem Gedankengut warnen und schützen, andererseits ist es meine Pflicht, mich mit den Personen zu unterhalten, die andere Häftlinge mit ihren Theorien anstecken. Bei manchen habe ich zwar wenig Hoffnung, aber ich muss es versuchen!

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Marko Mestrovic

Warum tun Sie sich das an? Sie sind ja hauptberuflich Religionslehrer in Schulen?

Diese Menschen haben Probleme, wollen getröstet werden, einige brauchen jemanden zum zuhören. Es ist wichtig, ihnen zu helfen. Viele der Insassen haben keine Ahnung von ihrer Religion und das kann uns später zum Verhängnis werden. Ein Häftling sagte mal zu mir: „Ich habe Ehrenmord begangen, weil mein Opa das so wollte.“, oder eine weibliche Inhaftierte telefonierte wiederrum mit ihrem Großvater, der sie am Telefon verfluchte und ihr das Schmoren im Höllenfeuer prophezeite. Genau aus diesem Grund ist es wichtig, diese Menschen über den Islam aufzuklären. Diese vorwiegend jungen Menschen müssen wir für uns gewinnen. Es ist gefährlich, wenn Menschen über ihre Religion reden, aber keine Ahnung von ihr haben.

Was haben Sie dem Mädchen erzählt?

Ich habe ihr gesagt, dass Gott alles verzeiht, wenn man mit dem Herzen Reue zeigt und Ihm um Vergebung bittet. Sie war sehr erleichtert.

Verspüren Sie Schuldgefühle, wenn sie sehen, dass ein Häftling trotz wiederholter Seelsorge weiterhin seine radikalen Ansichten vertritt?

Ich verspüre Schuldgefühle, wenn ich nicht hier sein kann. Ich müsste jeden Tag da sein, so viele Häftlinge schreiben die 11er Zettel, schauen sie sich diesen Stapel an. (Anm.: Fachjargon im Gefängnis für das Formular, welches jeder Häftling ausfüllen muss, damit Ramazan Demir ein persönliches Gespräch mit ihm/ihr führt)

Was ist die Frage, die Sie am öftesten gestellt bekommen?

(Denkt nach) – Wird Gott mir verzeihen?

Das heißt, die meisten Insassen bereuen ihre Tat?

Natürlich tun sie das. Viele von ihnen landen aufgrund einer Affekthandlung hinter Gittern. Beispiel: Ein Jugendlicher braucht Geld und überfällt mit einer Waffe eine Trafik. Dafür kommt er für einige Jahre in Haft. Und das für ein paar Hundert Euro  - nur weil er ungeduldig war! Meine Aufgabe ist es, den Jugendlichen Werte wie Geduld beizubringen und ihnen Allahs Barmherzigkeit mitzugeben. Im Quran steht, Gott erlegt keiner Seele das auf, was sie nicht zu tragen vermag. Diese Personen können es schaffen. Sie müssen weiterleben und versuchen Sinn im Leben zu finden.

Weiterleben?

Ich habe vor ca. einem Jahr einen jungen ägyptischen Häftling verloren, der sich sein Leben genommen hat. Er hatte sich mit dem Gurt stranguliert. Es ist so traurig, weil ich ihn hätte vielleicht retten können, wäre ich bei ihm  gewesen. Jedes Jahr nehmen sich rund zehn Personen in österr. Gefängnissen das Leben. Jeder einzelne ist zu viel.

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Sie sind hauptberuflich Religionslehrer auf Schulen. Gibt es Parallelen, die Sie zw. den Schulen und Gefängnissen ziehen würden?

Spannende Frage. In der Schule versuche ich, dass die Schüler nicht im Gefängnis landen. Und in der Haft versuche ich, dass sie nach der Entlassung in die Schule gehen. (lacht)

Und kam es vor, dass Sie die selbe Person hinter der Schulbank und später hinter Gittern getroffen haben?

Ich hatte einen Häftling, der in meiner ehemaligen Schule war, aber nie den Religionsunterricht besucht hat. Er hat mich immer nur am Gang gesehen und begrüßt. Ihn habe ich dann in der Gefängnismoschee während eines Freitagsgebets wiedererkannt. Er hat mich umarmt als er mich sah. Das war sehr bewegend.

Warum landen die Menschen im Gefängnis?

Einigen Insassen fehlt eine gesunde Vaterfigur. Deswegen suchen sie sich einen Vaterersatz. Das ist gefährlich. Ebenso erliegen viele der Spiel- und Wettsucht. Ein paar Mal auf Rapid oder Galatasaray gewettet und schon steckst du tief drinnen. Sie werden süchtig und holen sich Geld, wo es nicht halal, also erlaubt, ist. Mein Ziel ist es, vor allem den jugendlichen Insassen mehr Geduld und Selbstbeherrschung beizubringen. Geduld heißt cool bleiben. Und sie müssen sich ihre Freunde genau aussuchen. Wenn ein guter Freund auf die schiefe Bahn gerät, zieht er oft andere mit hinein.

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Wie viel bekommen die Gefangenen von den Ereignissen draußen mit?

Von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Es gibt Häftlinge, denen Politik sowas von egal ist. Sie konzentrieren sich aufs eigene Schicksal. Die wichtigsten Fragen, die sie sich stellen sind: Wie lange bleibe ich hier? In welche Anstalt komme ich? Was passiert mit mir? Dann gibt es andere, die nur noch an die Familie und Freunde denken. Meine Frau ist alleine und ich kann ihr nicht helfen. Es gibt eine dritte Gruppe, die sehr politisch interessiert ist. Die Gefangenen haben fast alle einen Fernseher und verfolgen, was draußen passiert.

Thematisieren Sie die Ereignisse wie den Anschlag in Paris oder den Skandal von Köln?

Das tue ich bei der Freitagspredigt. Ich gehe auf die Vorfälle ein und informiere die Häftlinge, was der Islam dazu sagt. Das ist sehr wichtig, weil diese Taten uninslamisch sind. Es gibt Häftlinge, die vor anderen behaupten, IS sei islamisch. Dann fordere ich ihn auf, mir Passagen aus dem Quran zu zeigen, die das belegen. Dann kommt nichts mehr. Andere Insassen meinen, der Islamische Staat vertritt den Islam, schließlich steckt ja der Name „Islam“ drinnen. Pegida ruft auch „Wir sind das Volk“ vertritt aber nur einen Bruchteil der Bevölkerung.

Gibt es in den Haftanstalten innerislamische Konflikte zwischen Sunniten und Schiiten?

Gott sei Dank nicht. In Österreich ist diese Unterscheidung nicht geläufig. Wir (Anm.: Die Seelsorger) gehören der Islamischen Glaubensgemeinschaft an und da ist es nicht wichtig, ob man sunnitisch oder schiitisch ist, sondern muslimisch. Österreich ist ein Vorzeigeland diesbezüglich. Die Schiiten-Sunniten-Geschichte ist eine politische Sache und ob der Eine seine Hände beim Gebet über dem Bauch oder auf die Seite legt ist mir egal.

 

Zur Person:

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Ramazan Demir wurde in Ludwigshafen am Rhein als Sohn türkischer Einwanderer geboren. Der frischgebackene Vater ist seit fünf Jahren als Gefängnisseelsorger in der Justizanstalt Josefstadt ehrenamtlich tätig. Demir predigt bei Freitagsgebeten in der Gefängnismoschee und bietet unter der Woche Einzelbetreuung für die Häftlinge an. Islamische Seelsorge wird seit 1996 in Österreichs Justizanstalten angeboten. Während seine katholischen Kollegen vom Staat sechs bezahlte Stellen bekommen, arbeiten die Gefängnis-Imame alle ehrenamtlich. „Der Staat müsse mehr Geld in die Islamische Seelsorge investieren, weil die Seelsorge u.a. Menschen im Gefängnis davor bewahrt, radikalisiert zu werden“, beklagt Demir. Das Justizministerium spielt den Ball an die Islamische Glaubensgemeinschaft zurück, ohne die konkrete Frage nach der Finanzierung zu beantworten. 

"Die Strafvollzugsverwaltung ist dazu verpflichtet, die Religionsausübung zu dulden bzw. zu ermöglichen; die Trägerschaft für die religiöse Betreuung liegt bei der jeweiligen Glaubensgemeinschaft. Die Strafvollzugsverwaltung stellt die Räumlichkeiten zur Verfügung und genehmigt aber auch Subventionen zur teilweisen Deckung des seelsorgerischen Betreuungsaufwandes. Die Anstellung katholischer Seelsorger hat historische Gründe, mit denen anderen anerkannten, in Justizanstalten vertretenen Glaubensgemeinschaften wie etwa der Evangelischen Kirche und eben auch der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGIÖ) bestehen Verträge zur teilweisen Abdeckung ihres seelsorgerischen Gesamtaufwandes. Damit ist die seelsorgerische Betreuung von islamischen Insassen gewährleistet."
 

Von den rund 8900 Inhaftierten Österreichweit sind 1700 davon Muslime. Der 29Jährige hat seine Masterarbeit an der Uni-Wien in Islamischer Religionspädagogik geschrieben. Titel der Arbeit: „Junge muslimische Häftlinge in österreichischen Justizanstalten und die Bedeutung der Islamischen Gefängnisseelsorge“

Hauptberuflich ist Demir Religionslehrer am Brigittenauer Gymnasium, Generalsekretär der isl. Seelsorge in Österreich, Vorstandsmitglied der Initiative Muslimischer ÖsterreicherInnen und führt Schulungen für Justizbeamte durch, in denen u.a. der richtige Umgang mit muslimischen Häftlingen thematisiert wird.

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