Ich bin keine Sklavin meiner Angst

19. Februar 2016

Türkei

Die Grünen-Nationalratsabgeordnete Berivan Aslan spricht mit biber über Hasspostings, den Kurdenkonflikt und über die Integration der Türken in Österreich.

Von Onur Kas und Doina Boev (Fotos)

biber: Berivan, du wirst im Internet oft wegen deiner politischen Haltung angefeindet. Was steht in diesen Drohmails drinnen?

Berivan Aslan: Sehr viele Beschimpfungen und Diskriminierungen. Das Schlimmste ist, dass diese Drohmails zu einer Routine in meinem Alltag geworden sind. Einmal habe ich eine E-Mail von einem Pressemitarbeiter der AKP bekommen, in der er die völlige Vernichtung der Kurden ankündigte. Zum Sivas-Massaker von 1993, wo Aleviten eine Kulturveranstaltung feierten und daraufhin von türkischen Islamisten ermordet wurden, habe ich vor einem Jahr eine Gedenkschrift gepostet. Da entgegnete mir ein User, dass diese „ehrlosen Menschen“ es verdient hätten, zu verbrennen und dass der Tag kommen wird, an dem ich auch so enden werde. 

Was geht dann in dir vor?

Ich habe keine Angst um mich, sondern vielmehr um meine Familienangehörigen. Derjenige, der mich wegen des Sivas-Massakers angeschrieben hat, lebte in unmittelbarer Nähe. Den habe ich dann tatsächlich gefunden und ihn angezeigt. Das Gericht verurteilte ihn dann wegen Verhetzung. Wenn man sich vorstellt, dass solche Leute Begriffe benutzen, die an die NS-Zeit erinnern, dann fühlt man sich sehr unwohl.

Fürchtest du dich nicht vor persönlichen Übergriffen?

Ich rechne jederzeit damit, angegriffen zu werden. Da wird man als Frau natürlich vorsichtiger. Aber ich werde sicher nicht zur Sklavin meiner Angst. Passiert das, verliere ich meine Identität und meine politischen Überzeugungen.

Welche Auswirkungen haben diese Drohungen auf deinen Tagesablauf?

Wenn ich merke, dass die Stimmung gegen mich aufgeheizt ist, achte ich drauf, dass ich nicht jeden Tag denselben Heimweg nehme. Aufgrund von IS-Drohungen stand der Verfassungsschutz 7 Monate vor meiner Haustür. Da schränkt sich meine Freiheit massiv ein. Unter solchen Umständen kann ich nicht einfach mal abends einen Kaffee trinken gehen, wenn ich Lust drauf habe.  Meine Freunde wissen das auch. Sie haben Angst davor, dass ihnen auch was zustoßen könnte, wenn sie mit mir ausgehen, und schlagen einen sichereren Treffpunkt vor.

Du warst oft in den Kurdengebieten. Droht ein Bürgerkrieg in der Türkei?

Diese Bedrohung besteht schon seit zwei Jahren, da sich die Politik in der Türkei immer mehr radikalisiert und islamisiert hat. Ich glaube, Recep Tayyip Erdoğan hat das Chaos rund um den syrischen Bürgerkrieg genutzt, um die Lage in Wahlkampfzeiten eskalieren zu lassen. Denn Diktaturen profitieren vor allem von Chaos. So, wie es gerade aussieht, ist der Weg zurück zum Friedensprozess versperrt. Die EU wäre die einzige Akteurin, die das wieder herbeiführen könnte. Aber sie schaut bewusst weg, um Erdoğan nicht zu verärgern, damit er die Flüchtlinge in Schach halten kann.

Welche Auswirkungen hätte eine Politik des Wegschauens?

Die EU vergisst hier offenbar, eine effektivere Friedenspolitik in der Türkei zu betreiben. Sie vergisst, dass durch einen weiteren Bürgerkrieg im Südosten der Türkei nicht nur zwei Millionen, sondern zehn Millionen Flüchtlinge vor den Toren Europas stehen könnten.

Aber es gibt keine Patentlösung für die vielen Probleme in der Region.

Nein, aber man macht es sich unnötig kompliziert. Was die Kurden wollen, ist ein autonom-kantonales System. Das kann man mit dem Status von Südtirol vergleichen. Die kurdische Bewegung hat sich dazu entschlossen, ihre Anliegen auf politischer Ebene zu vertreten und gründete daraufhin die HDP. Das war ein wichtiger Schritt, um den Waffenstillstand ein für alle Mal einzuleiten. Davon würde nicht nur die türkische Gesellschaft, sondern auch die EU profitieren. Aber Erdogan hat seine wichtigsten Verhandlungspartner als Terroristen deklariert und den Verhandlungstisch verlassen.

Recep Tayyip Erdoğan hat vor zwei Jahren noch eine friedliche Lösung der Kurdenfrage versprochen und sogar mit Abdullah Öcalan verhandelt. Heute schickt er Panzer in die Kurdengebiete. Warum diese 180-Grad-Wende?

Erdoğan ist nicht an einem selbstständigen Verwaltungsapparat in seinem Land interessiert, weil er dazu die Verfassung ändern und ein jährliches Budget für die Kurdengebiete zur Verfügung stellen müsste. Das widerspräche seiner zentralistischen Weltanschauung, in der die ganze Macht bei ihm liegt. Ein weiterer Grund ist eine zunehmende Wirtschaftskrise in der Türkei, die niemandem auffällt. Es gibt so vieles, was der Präsident zu verbergen hat. Damit das alles nicht ans Tageslicht kommt, wird die Pressefreiheit eingeschränkt, Menschenrechte missachtet und ein Krieg gegen die PKK angezettelt, um die Bevölkerung von den wahren Problemen abzulenken.

Die türkische Regierung beteuert immer wieder, dass sie in Cizre gegen Terroristen vorgeht und nicht gegen Zivilisten. Was hältst du von der Darstellung?

Ich war selber in Cizre mit einer deutsch-holländischen Delegation, kurz nach der Ausgangssperre vor 4 Monaten. Die Menschen sind in ihren eigenen vier Wänden eingesperrt. Es sind vor allem Zivilisten, die unter diesem Krieg leiden. Die Streitkräfte haben die gesamten Wasserbehälter auf den Dächern der Wohnhäuser zerschossen, sodass die Leute nichts Sauberes zum Trinken haben. Jegliche Elektrogeneratoren wurden beschädigt. Jede Person, die es wagt, die Ausgangssperre zu missachten, wird von Scharfschützen niedergeschossen. Es wurden viele Kinder getötet, die in AKP-nahen Medien als „Terroristen“ bezeichnet wurden. Der CO-Bürgermeister von Mardin, Ahmet Türk, hat mich in Wien besucht und mir erzählt, dass die Lage vor Ort noch schlimmer ist als beim Konflikt in den 1990er Jahren. Damals durften sie die Leichen von den Straßen nehmen und beerdigen. Heute werden sie geschändet. Das sind doch IS-Methoden.

Die USA betrachten die syrischen YPG im Kampf gegen den IS als Verbündeten. Für die Türkei gelten sie aber als Terrorgruppe, weil sie eine Schwesterorganisation der PKK sind. Ist das nicht kontraproduktiv?

Die kurdischen Einheiten waren die einzigen, die den IS erfolgreich zurückgedrängt und Kobane sowie die Sindschar-Gebirge zurückerobert haben. Ob es der türkischen Regierung gefällt oder nicht: Die Kurden haben es geschafft, ein Sicherheitsproblem der USA und vor allem der EU zu lösen. Man muss sich der Tatsache stellen, dass es ohne die YPG und ohne die Kurden keinen Friedensprozess in Syrien geben wird. Es wird auch kein Weg daran vorbeiführen, dass Erdoğan mit der PKK wieder verhandeln muss, damit es zum Frieden in den Kurdenregionen kommt. Er sagt immer, er wird erst wieder verhandeln, wenn die PKK besiegt ist. Mit wem will er denn verhandeln, wenn er dort alle töten lässt? Das beweist nur, dass Erdoğan an einer friedlichen Lösung gar nicht interessiert ist.

Vor allem Frauen kämpfen auf kurdischer Seite im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat. Was bewegt diese Frauen, zur Waffe zu greifen?

Sie sind im patriarchalischen System des Nahen Ostens einer Mehrfachdiskriminierung ausgesetzt. Umso größer ist ihr Wille zum Widerstand. Wir reden hier nicht nur von jungen und ledigen Frauen, sondern auch von Müttern. Sie wissen, dass sie in Kriegen immer die größten Verliererinnen sind, aufgrund von Massenvergewaltigungen, Unterdrückung und systematischer Diskriminierung. Die kurdischen Frauen wollen dagegen beweisen, dass demokratische und frauenfreundliche Strukturen im Nahen Osten möglich sind. 

Welche Auswirkungen hat der Konflikt auf die hier lebenden Kurden und Türken?

Er hat die in Österreich lebenden Türken politisch beeinflusst. Vor 15 Jahren beispielsweise lief kein zehnjähriges Mädchen in Österreich mit einem Kopftuch durch die Straßen. Viele ehemalige MitschülerInnen und Mitstudierende von mir waren nach Erdogans Machtantritt gespalten. Entweder war man ein Freund oder ein Feind von Erdoğan. In meiner Heimatstadt Telfs wurde es mehr als deutlich. Früher haben da Kurden und Türken gemeinsam in der Moschee gebetet. Seit Erdoğan in der Türkei regiert, sind diese Gruppen verfeindet. Die nationalistischen Tendenzen unter den Türken haben massiv zugenommen. Erdoğan hat mit seinem Vorgehen unsere ganze Integrationsarbeit zerstört.

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Kommentare

 

Was ich von vornherein ausschließen will ist, ich bin kein Befürworter der AKP-Regierung und dessen politischen Entscheidungen.

Was mir hier bei der Reportage fehlt ist eine Tatsache und zwar folgender:

"Aber Erdogan hat seine wichtigsten Verhandlungspartner als Terroristen deklariert und den Verhandlungstisch verlassen."

Ich weiß nicht wer den Verhandlungstisch verlassen hat. Was wir heute wissen ist, dass die PKK während dieses Waffenstillstandes Waffen und Munition in den Städten deponiert, Straßenspeeren errichtet und fernzündende Bomben in den neuen Straßenbelag asphaltiert hat. Die PKK hat Jugendliche in Städten und Dörfern militarisiert und radikalisiert. Dieser Konflikt fand Jahrzehnte lag in den Bergen statt. Wieso ist der Konflikt jetzt in die Städte und Dörfer geraten wo Zivilisten zwischen der Türkischen Armee und der PKK leiden?
Ich kritisiere genau wie Sie scharf die AKP-Regierung aber ich muss dabei die PKK und deren Jugendorganisation kritisieren und kann diese Tatsachen nicht außer Acht lassen. Ich lese in letzter Zeit immer wieder in den Artikel wie Böse die Türkische Regierung ist aber die PKK wird als unschuldige Organisation dargestellt.

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