"Ich kann nicht mehr!"

09. Dezember 2015

Schule, Nachhilfe, Gitarre und Sprachwettbewerbe – der Zeitplan von Jugendlichen fordert ihnen einiges ab. Aber sie müssen mithalten - um jeden Preis.



Von Melisa Erkurt, Mitarbeit: Karolina Lexova


„Wenn ich ehrlich bin, würde ich die Schule am liebsten abbrechen.“ Karolina ist 15 Jahre alt und besucht eine Privatschule in Wien. Ihre Eltern zahlen monatlich fast 1000 Euro, damit ihre Tochter die beste Bildung genießen kann. Doch die Rechnung geht nicht auf. Karolina liebt es zwar Neues zu lernen, aber dem Druck, der dabei auf ihr lastet, kann sie nicht mehr standhalten.

Leistungsdruck, Stress, Schule, Schüler, Druck, Test, Hausaufgaben
Illustrationen by Kerstin Brüller/Tin.Eller

    Schneller, schlauer, besser
    Jeden Tag habe ich ein volles Programm. Nur mittwochs kann ich mir eine kleine Lernpause gönnen“, erzählt die Schülerin. „Ausgezeichnete Noten, Sprachwettbewerbe, Sport und weitere außerschulische Aktivitäten sind das Minimum. Denn es gibt immer bessere, schnellere, schlauere Schüler, die dir Konkurrenz machen“, so Karo.

    Leistungsdruck – das ist nicht nur ein Problem von Eliteschülern. Die Statistiken sprechen für sich: Jeder fünfte österreichische Schüler leidet unter Schulangst. Jeder vierte nimmt Nachhilfe, um mithalten zu können. Jeder dritte Schüler leidet massiv unter Stress. Burn-Out ist schon längst keine Manager-Krankheit mehr, immer häufiger leiden Kinder und Jugendliche unter den Symptomen des Ausgebranntseins. 

    Leistungsdruck, Stress, Schule, Schüler, Druck, Test, Hausaufgaben

    Vanessa besucht die fünfte Klasse eines öffentlichen Gymnasiums in Wien. Ihre Noten sind gut, sie stört nie im Unterricht, macht immer die freiwilligen Hausübungen, nimmt seit Jahren Gitarre-Unterricht und geht zur Mathe-Nachhilfe, obwohl ihre schlechteste Schularbeitsnote eine Drei ist. Doch der Schein der perfekten Schülerin trügt: „Ich hasse die Schule“, sagt die 14-Jährige. „Wenn ich morgens zur Schule gehe ist es noch dunkel. Wenn ich heimkomme, ist es wieder dunkel. Bis ich mit Hausaufgaben und Lernen fertig bin, ist es Zeit zum Schlafen. Ich kann einfach nicht mehr.“ Doch nicht mal nachts kann Vanessa abschalten, Albträume plagen das Mädchen: Ein Fünfer auf die Mathe-Schularbeit. Sie wacht immer öfter auf oder kann kaum einschlafen, weil sie sich fragt, ob sie wirklich alle Vokabeln für den morgigen Test kann. Vanessa macht die Nachttischlampe an und holt das Vokabel-Heft raus. Nur noch einmal alles durchgehen.


    Aufstiegschancen
    Der Preis des ständigen Lernens: Die Jugendlichen haben immer weniger Zeit für Familie oder Freunde. Sogar ihre Freizeitgestaltung ist nach dem Nutzen für die Karriere ausgelegt. In ihrer Freizeit besucht Karo einen Rhetorikkurs, die biber-Schülerredaktion und den Klavier-Unterricht. „Ich will mich aber nicht bemitleiden. Ich weiß, dass ich dadurch bessere Aufstiegschancen habe, dass ich mich glücklich schätzen muss für diese Möglichkeiten“, sagt die Schülerin.

    Leistungsdruck, Stress, Schule, Schüler, Druck, Test, Hausaufgaben
    Illustrationen by Kerstin Brüller/Tin.Eller


    Keine Freizeit
    Der 18-jährige Aleksander hat seinen besten Freund vor Monaten das letzte Mal gesehen. Die beiden schaffen es einfach nicht Zeit für einander zu finden. Immer muss einer von beiden etwas für die Schule machen. „In einer Woche habe ich eine Schularbeit, Wiederholungen und muss eine Präsentation halten. Viele Lehrer geben die Termine einfach vor, ohne sie mit uns abzusprechen.“ Manchmal hat Aleksander so viel zu tun, dass er durcheinander kommt und nicht mehr weiß, welche Präsentation er in welchem Fach halten muss. Den ganzen Tag über ist Aleks müde, aber nachts kann er einfach nicht einschlafen, zu viele Gedanken geistern durch seinen Kopf: Hat er eine Hausübung vergessen? Wie wird wohl der morgige Test aufgebaut sein? Möchte er sich mit seiner Lieblingsserie von den Gedanken ablenken, plagt ihn das schlechte Gewissen: „In der Zeit sollte ich lieber noch einmal den Teststoff durchgehen.“

    Leistungsdruck, Stress, Schule, Schüler, Druck, Test, Hausaufgaben

    Schlafstörungen
    Schlafstörungen – ein typisches Symptom für Erschöpfung. Die Jugendlichen stehen ständig unter Lernstress und Leistungsdruck. Sie vergleichen sich mit anderen in ihrem Alter. Aber auch die Erwachsenen sind keine Hilfe. „Im Berufsleben wird es noch stressiger“, antworten sie den Jugendlichen, wenn diese sich über ihren straffen Zeitplan beschweren. „In dieser Schulstufe werden sehr viele von euch durchfliegen“, prophezeit Aleksanders Lehrer zu Beginn des Schuljahres. „Bleib locker, die Schulzeit ist die schönste Zeit im Leben“, sagen ihre Eltern, wenn Vanessa über Lernstress klagt.

    Auch Anastasia wurde mit ähnlichen Worten abgefertigt und landete mit 16 Jahren im Krankenhaus: Psychischer Stress war die Diagnose, ausgelöst vom Leistungsdruck. Nach zwei Wochen Krankenhausaufenthalt ging es zurück in die Schule und der Stress ging von vorne los. Aber nicht nur negative Reaktionen von Erwachsenen setzen die Teenager unter Druck. Erbringen die Kids gute Leistungen in der Schule, werden sie von Lehrern und Eltern gelobt. Dieses Lob fühlt sich natürlich gut an, die Schüler wollen mehr davon. Es wird zur Sucht gute Leistungen zu erbringen, die Erwartungen steigen.

    Ideal-Ich
    Karolina kennt die Ideal-Vorstellung eines Erwachsenen von einem Teenager. Er soll die besten Noten schreiben, fünf Instrumente spielen und eine Sportart ausüben. „Wie soll ein Jugendlicher, der wahrscheinlich nicht einmal mit sich selbst klarkommt, bei solch einem Leistungsdruck nicht wahnsinnig werden?“, fragt sich die junge Frau.
    Gleichzeitig haben die Jugendlichen die Vorstellungen der Erwachsenen übernommen. „Faulheit wird mir keine Arbeitsstelle bringen. Egal, ob ich seit drei Stunden an einem Referat sitze, Mathe wieder einmal nicht verstehe oder kurz vor dem Nervenzusammenbruch bin und einfach nicht mehr weiter kann. Ich muss weiterlernen, wiederholen, verstehen“, sagt die 15-Jährige ernst.

    Leistungsdruck, Stress, Schule, Schüler, Druck, Test, Hausaufgaben

    Erfolg
    Auch Aleksander klingt sehr reif, wenn er über seine Zukunftsvorstellungen spricht: „Ich möchte unbedingt ein Auslandsjahr machen, das kommt gut im Lebenslauf.“ Aleks weiß, dass er nach der Schule etwas studieren will, mit dem er erfolgreich werden kann, Jus beispielsweise.  

    „Ich habe mir mein Interesse an Jus und Medizin nur eingebildet, um in das typische Bild des intelligenten Schülers reinzupassen“, erzählt Karo. Doch in den letzten Monaten begannen ihre Zukunftsvorstellungen zu bröckeln. Denn eigentlich möchte die Schülerin Köchin werden. „Aber ich weiß jetzt schon, dass dies nur eine Phantasie bleiben wird, dass ich höchstwahrscheinlich niemals die Chance haben werde, in meinem Leben genau das zu machen, was mich im Inneren freut, was ich jeden Tag stundenlang machen könnte“, so die 15-Jährige.

    Leistungsdruck, Stress, Schule, Schüler, Druck, Test, Hausaufgaben
    Illustrationen by Kerstin Brüller/Tin.Eller


    Eltern
    Die Schuld daran gibt Karo aber auf keinen Fall ihren Eltern. „Der Druck entsteht meinerseits. Ich denke mir, da ich aus einem guten Umfeld komme, muss ich mindestens genau so erfolgreich sein. Der Gedanke des Scheiterns löst in mir Angst aus.“ Aleksander findet auch nicht, dass seine Eltern Druck auf ihn ausüben. Aber wenn die Freunde seiner Eltern mit den Leistungen ihrer Kinder angeben, möchte er auch, dass Mama und Papa da mitreden können.

    Es ist also ein indirekter Druck, der hier auf die Jugendlichen seitens der Familie entsteht. Es ist zwar nicht mehr wie früher, dass Eltern ihre Kinder zu Erfolg drängen und ihre Berufswahl vordiktieren. Aber die Jugendlichen nehmen sehr wohl wahr, was in ihrem Umfeld als angesehen gilt.

    Rückgabe
    Einerseits ist es also der Druck, den die Schüler sich zwar selbst machen, der aber sehr wohl durch das Umfeld entsteht, andererseits geht es auch um eine Art der Rückgabe. „Meine Eltern arbeiten stundenlang, kommen gestresst nach Hause, nur damit ich eine gute Bildung genießen darf. Ich will ihnen irgendwann das geben können, was sie mir ohne Widerspruch seit Beginn meines Lebens garantieren: Eine bessere Zukunft“, sagt Karo. Und so werden sie weiterlernen, zum Klavierunterricht hetzen und die Zusatzhausübung machen – weil sie von den Erwachsenen gelernt haben, wie das Leben funktioniert: Wer nichts leistet, verliert.

    ---

    Birgit Satke, Teamleiterin von „Rat auf Draht“, erklärt wie man Burnout bei Schülern erkennt und was man dagegen tun kann:

    Woran erkennt man, dass der Schüler/die Schülerin Burnout-gefährdet ist?
    - Antriebslosigkeit
    - Schlafstörungen
    - Mit Leistungen unzufrieden
    - Schuldgefühle
    - Fehlendes Selbstvertrauen
    - Verminderte Konzentrationsfähigkeit
    - Gereiztheit
    - Es gibt kaum Phasen der Entspannung für das Kind
    - Das Zusammensein mit Gleichaltrigen wirkt stressig
    - Verlust von Interessen
    - In Gedanken versunken, abwesend
    - Stimmungsschwankungen, pessimistische Grundstimmung, Verzweiflung, Traurigkeit und Depressivität
    - Kopf-, Bauch-, Nacken- oder Rückenschmerzen
    - Essstörungen
    - Selbstverletzendes Verhalten

    Was kann man als Elternteil / Lehrer tun?
    - Zeit nehmen und mit dem Kind reden
    - Für ein ausgewogenes Maß von Arbeiten und Erholen sorgen
    - Gemeinsame Familienaktivitäten einplanen
    - Warnsignale ernst nehmen
    - Abklärung durch einen Arzt
    - Hilfsangebote in Anspruch nehmen

    Wie kann man das als Schüler/-in selbst verhindern?
    - Auszeiten nehmen, in denen man etwas Entspannendes unternimmt
    - Einen Lernplan erstellen
    - Realistische Ziele setzen - Zu hohe Selbstanforderungen und zu starker Perfektionismus können schnell zu Überforderung führen
    - Sich klarmachen, dass man nur für sich selbst lernt und sich von den Erwartungen anderer befreien
    - Sich nicht mit anderen vergleichen
    - Sich vor Augen führen, dass von einem Fünfer die Welt nicht untergeht
    - Sich Eltern bzw. erwachsenen Bezugspersonen anvertrauen
    - Falls erforderlich die Hilfe einer Beratungseinrichtung wie "147 Rat auf Draht" bzw. psychologische Beratung in Anspruch nehmen

     

    Bereich: 

    Kommentare

     

    ich bin zwar kein Schüler mehr aber studiere neben der Arbeit am Abend, von der Liste kann ich ca. 12 Punkte ankreuzen. Ich weiß bald ist um aber kenne das Gefühl.

    Haltet durch, später wird es besser und ihr habt dafür eure Ruhe außerdem versagt auch mal. Nicht die Schule hinschmeissen, aber dann habts halt eine Hausübung nicht. Die Welt geht nicht unter und Noten interessieren später kaum wenn. Hilft nicht viel ich weiß aber wie gesagt besser jetzt als dann mit 35 :D

    Das könnte dich auch interessieren

    .
    Herbst heißt für viele Studienbeginn...
    .
    Du interessierst dich für Gesundheit...
    .
    Klassiker der georgischen Küche wie...

    Anmelden & Mitreden

    11 + 4 =
    Bitte löse die Rechnung