#PRAYATHOME

27. Mai 2020
Live-Streams aus der Moschee, Watch-Partys auf Facebook und Spendenaufrufe über WhatsApp – die Corona-Krise hat muslimische Gemeinschaften gezwungen, kreative Lösungen für den Wegfall ihrer Besucher und Einnahmen zu suchen – sogar über einen Moscheebeitrag wird diskutiert. biber hat sich umgehört in der Community.

Von Muhamed Beganović, Fotos: Zoe Opratko


Moscheen
Foto: Zoe Opratko

Vor der Krise war ich jeden Tag in der Moschee“, erzählt Tarik Deniz*, ein junger Medizinstudent aus Innsbruck. Mit Freunden betete er die Morgen- und Nachtgebete in einem der Gotteshäuser in der Stadt. „Die Moschee war somit auch ein Ort der Verbundenheit und Gemeinschaft“, erklärt er. Doch dann kam das Corona-Virus. Die Pandemie breitete sich rasend schnell aus, ähnlich wie der Schatten nach dem Sonnenuntergang, weshalb teils drastische Maßnahmen notwendig waren, um sie einzudämmen. Dazu zählte auch die komplette Schließung der Moscheen, die von März bis Mitte Mai andauerte. Das zwang Muslime, ihre gewohnten Routinen von heute auf morgen aufzugeben. Für Deniz bedeutete es, dass es keine täglichen Treffen mehr geben konnte. „Die habe ich gebraucht, um in diesen Zeiten des ständigen Wandels eine innere Stabilität zu etablieren“, sagt Deniz, der den Gebetsstätten nachtrauert. Ähnliche Klagen hört man von praktizierenden Musliminnen und Muslimen, die besonders im islamischen Monat Ramadan, der heuer umgerechnet am 24. April begann und am 23. Mai endete, hart von den Schließungen getroffen wurden. Denn der Besuch der Moschee ist mehr als eine physische Tätigkeit. Er geht mit einer seelischen Komponente einher. „Dort finde ich mich selbst und vergesse alles andere, alle Ablenkungen, alle Probleme und Herausforderungen des Alltags“, sagt Nermin Ismail, eine 23-jährige Journalistin aus Wien. „Keine Moschee besuchen zu können ist für mich eine noch nie dagewesene Realität, die mich beunruhigt“, fügt sie hinzu. Den Muslimen, mit denen biber gesprochen hat, ist jedoch zugleich auch klar, welch eine wichtige Rolle die Schließungen für das Allgemeinwohl haben. „Anfangs war ich etwas genervt, aber dann habe ich verstanden, dass das die beste Entscheidung ist, um die Gesundheit von allen zu schützen. Daher stört es mich auch gar nicht mehr”, sagt Gehad Samy, eine 22-jährige Psychologie-Studentin aus Wien, die vor Corona mehrmals in der Woche Moscheen aufgesucht hat. Doch Not macht bekanntlich erfinderisch und so haben jüngere Muslime wie Samy und Deniz entdeckt, dass sie ihre Spiritualität auch digital ausleben können. „Um den Kontakt zu meinen Freunden aufrechtzuerhalten, haben wir beschlossen, tägliche Onlinetreffen abzuhalten, in denen wir uns islamisches Wissen aneignen. Das ist unser Versuch, das Beste aus dieser Situation zu machen”, erzählt Deniz. 

 

FACEBOOK WATCH-PARTYS UND ZOOMKONFERENZEN

Doch nicht nur Gläubige, sondern auch die Gemeinden sind gezwungen, ihre Herangehensweisen zu überdenken. Das hat zu teilweise kreativen Lösungen geführt. In einem Video, das die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) Mitte April auf Youtube veröffentlichte, fordert Präsident Ümit Vural die Muslime auf, ihre Wohnungen zu Moscheen umzugestalten. Er will damit jenen Mut machen, die sich nach den Gebetshäusern sehnen, und ihnen das social distancing ein wenig erleichtern. Zugleich hat die IGGiÖ begonnen, OnlineInhalte wie Webinare anzubieten. Auch einige Moscheen nutzen soziale Medien, um mit ihren Mitgliedern in Kontakt zu bleiben. Zu den Pionieren gehört das Islamische Zentrum Wien (IZW). Bereits am Anfang der Krise hat das Zentrum begonnen, jene Einheiten wie ArabischSprachkurse, Koran-Unterricht oder Wochenendprogramme für Kinder, die normalerweise in den Räumlichkeiten der Moschee angeboten wurden, über die VideokonferenzPlattform Zoom abzuhalten. „Das hat in der Gemeinde großen Anklang gefunden. Es macht sich bemerkbar, dass es der jüngeren Generation viel leichter fällt, diese OnlineAngebote zu nutzen, als vielen der älteren Generation, die mit dieser Art der Mediennutzung weniger vertraut sind“, berichtet Salim Mujkanović, einer der drei Imame des IZW. Zudem bot das Zentrum Livestreams auf Facebook von den nächtlichen Gebeten im Ramadan an. Hier sah man allerdings nur den Imam, da sonst keine Besucher zugelassen waren. Die Bosniakische Kultusgemeinde Mitte, die knapp ein Dutzend Moscheen umfasst, nutzt Facebook Watch-Partys, um mit ihren Mitgliedern zu interagieren. Das Angebot würde gut genutzt, heißt es dazu. Auch Indira Polimac-Hasanović berichtet nur positiv über solche virtuellen Zusammenkünfte. Sie ist Teil einer Frauengruppe, bestehend aus Mitgliedern verschiedener oberösterreichischer Moscheen, die mehrmals in der Woche Vorträge über Zoom veranstaltet. „Etwa 50 Frauen im Alter zwischen 25 und 60 nehmen jedes Mal teil“, sagt Polimac-Hasanović. 

#prayathome Moscheen
Foto: Zoe Opratko
RETTUNGSSCHIRM FÜR MOSCHEEN
 
Diese virtuellen Angebote sind natürlich kein Ersatz für das Gemeinschaftsgefühl und die soziale Komponente einer Moschee. „Mir fehlt der persönliche Kontakt mit Freund*innen und Glaubensgeschwistern“, sagt Medina Velić, eine 32-jährige Grazerin, die während der Krise die vielen OnlineAngebote des Islamischen Zentrums Graz nutzt. Solange die Maßnahmen der Regierung aber nicht gelockert werden und die Krise nicht vorbei ist, werden die Moscheen ihren vollen Betrieb nicht aufnehmen können. Aktuell darf ein Besucher pro zehn Quadratmeter Fläche die Moschee betreten. Das macht Gemeinschaftsgebete großteils unmöglich. Wie lange das so weitergehen wird, ist noch offen. Für viele der Gläubigen läuft eine Art Countdown, bis sie Moscheen wieder normal betreten können. Doch was, wenn das nicht eintrifft? 
Bereits 
im April wurde bekannt, dass ein Drittel der 350 Moscheen in Österreich finanziell besonders hart von der Corona-Krise betroffen ist. Es drohe manchen sogar die permanente Schließung. Vor allem kleinere Moscheen seien anfällig, da sie oft zu wenige Mitglieder haben, die fixe (monatliche oder jährliche) Beiträge entrichten und so für eine finanzielle Basis sorgen. „Einige davon sind bereits direkt an uns herangetreten“, sagt Ümit Vural im Interview mit biber. Die IGGiÖ hat deshalb eine Crowdfunding-Kampagne auf der Plattform Leetchi zur Rettung der Moscheen gestartet und über 50.000 Euro gesammelt. „Diese Spendengelder werden dann gerecht auf alle Moscheen aufgeteilt, die einen vollständigen Antrag bei uns eingereicht haben. Je mehr Spenden eingehen, desto mehr Moscheen können wir unter die Arme greifen“, sagt Vural. Eine von der Krise betroffene Moschee ist die Islamische Vereinigung in Österreich, die man besser unter dem Namen Al-Hidaya kennt. Weil ihr die Besucher entgehen, fallen auch die Spenden, die durch diese lukriert werden, weg. Das sind durchaus mehrere hundert Euro pro Woche und es macht sich spürbar. Al-Hidaya musste sich bereits von Mitarbeitern trennen und konzentriere sich jetzt darauf, die Fixkosten wie Miete oder Strom zu decken, erzählt Khaled Mohamed, Generalsekretär der Al-Hidaya Moschee. „Als Allererstes haben wir als Vorstand in unsere eigenen Taschen gegriffen und das Budgetloch der Moschee gestopft“, sagt er. Auch Salem Hassan, Gründer der islamisch-schiitischen Glaubensgemeinschaft in Österreich sowie Vorstandsmitglied der Ahl-ul-Bayt Moschee in Hernals, erzählt, dass bestehende Mitglieder verstärkt Solidarität in der Krise gezeigt und durch erhöhte Spenden die Finanzierung, zumindest für eine Weile gesichert haben. Doch das sei nicht genug und auch keine langfristige Lösung. Je länger die Krise andauert und je mehr Menschen in die Kurzarbeit gehen oder gar den Job verlieren, desto drastischer werden die Folgen für die Moscheen. „Wir haben keinen Krisenfonds“, beklagt Mohamed. Eine Gruppe von arabischen Moscheen hat sich darum zusammengeschlossen und einen eigenen Spendenaufruf gestartet, den sie über soziale Medien und Instant-Messaging-Dienste wie WhatsApp verbreiten. Auch Al-Hidaya nimmt daran teil und zeigt sich zufrieden. „Die Kampagne hat sehr gut funktioniert. Menschen haben Empathie und Solidarität gezeigt. Man muss sie nicht lange davon überzeugen zu spenden. Es reicht, sie auf das Problem aufmerksam zu machen“, sagt Mohamed. „Moscheen haben eine wichtige soziale Rolle für Menschen. Darum sind viele bereit, sie zu unterstützen“, fügt er hinzu. 
#prayathome Moscheen
Foto: Zoe Opratko
 
EINE „KIRCHENSTEUER“ FÜR MUSLIME
 
Damit Moscheen in Zukunft Krisen besser standhalten können, setzt sich IGGÖ-Präsident Ümit Vural seit etlichen Monaten für einen Moscheebeitrag ein, das muslimische Pendant einer Kirchensteuer. Damit sollen die Strukturen gestärkt werden. „Es geht um die Sicherung der Qualität unserer Arbeit und den professionellen Ausbau unserer Dienstleistungen für die muslimische Gemeinschaft“, erklärt Vural. „Am attraktivsten würde sich wohl das sogenannte italienische Steuermodell erweisen, bei dem ein bestimmter Prozentsatz der ohnehin eingehobenen staatlichen Steuereinnahmen auf alle Religionen abhängig von ihrer Mitgliederanzahl verteilt wird“, fügt er hinzu, doch dies sei unrealistisch. Daher müsse die IGGiÖ eine interne Lösung finden. Khaled Mohamed gehört zu den Unterstützern der Initiative. „Der Moscheebeitrag ist wichtig. In Krisenzeiten wie diesen ist jede Moschee auf sich alleine gestellt und muss selbst Wege finden zu überleben”, beklagt er – wohl auch, weil er aus erster Hand gesehen hat, wie schwer dieser Kampf sein kann. Die Diskussion um den Moscheebeitrag ist jedoch hitzig. Eine Zwangsbesteuerung könnte auch Austritte bewirken, sagen kritische Stimmen.  Muhaned Miftaroski, ein 30-jähriger Jus-Student aus Wien, findet, dass man zwar alles Mögliche tun sollte, um permanenten Schließungen vorzubeugen, von einem Moscheebeitrag hält er aber nichts, da es diejenigen, die ohnehin selten oder nie in die Moschee gehen, abschrecken würde. „Großangelegte Spendenaktionen, die auch die aktuelle Lage genauer erklären und Bewusstsein schaffen, würden meiner Meinung nach viel mehr Abhilfe schaffen“, sagt er. Andere Muslime sehen es pragmatischer. „Ich wäre offen für jeden Vorschlag, der die Zukunft der österreichischen Moscheen zu sichern versucht”, sagt Deniz. Für ihn ist die Krise aber vor allem eine Chance, weshalb er mit einer moderaten Menge Optimismus auf sie blickt. „Obwohl manche uns gewohnte und geliebte Sachen weggefallen sind, haben sich uns durch die Krise viele neue Möglichkeiten erst eröffnet“, sagt er. Er glaubt nicht, dass Gebete über Facebook oder Islam-Unterricht über Zoom davor möglich gewesen wären. „Die Zeit der Quarantäne war sehr nützlich”, sagt Deniz. 

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