Rational statt radikal

20. Oktober 2022

Klimaschutz und Nachhaltigkeit sind Dinge, die uns alle etwas angehen sollten – das versteht sich von selbst. Warum ein schlechtes Gewissen dabei keinen Platz haben sollte.

Von Nada El-Azar-Chekh, Collage: Zoe Opratko

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©Zoe Opratko

 

AktivistInnen auf Social Media helfen vielen – vor allem jungen – Menschen, sich mehr Gedanken um die Umwelt zu machen. Doch wie in allen Debatten findet man gewisse Extreme. Die Wiener Tiktokerin Raffaela, auch bekannt als „die militante Veganerin“, konfrontiert in ihren Videos regelmäßig PassantInnen mit „lebe vegan statt brutal“ und scheut nicht davor zurück, selbst Kindern zu erklären, dass ihre Eltern ihnen Leichen auf dem Teller servieren. Laut Global2000 liegt Österreich in der EU auf Platz 3 beim Fleischkonsum. Durchschnittlich konsumiert jede:r Österreicher:in also 5,9 Tonnen Fleisch im Leben, was auf satte 1.287 Tiere pro Kopf kommt. Aufklärungsbedarf herrscht angesichts dieser Zahlen alle Mal. Funktioniert eine „Schocktherapie“ jedoch besser als ein vernünftiges Gespräch über Nachhaltigkeit?

 

„Wer geht mit mir Döner essen?“

 

Selma interessiert sich für Aktivismus und hat in ihrer Freizeit schon viele Workshops über Klimaschutz und Nachhaltigkeit besucht. Sie leistet ihren Beitrag, wo sie nur kann: Sie hat keinen Führerschein und nutzt Fahrrad und Öffis, um in der Stadt von A nach B zu kommen. Neue Kleidung kauft sie nur zu besonderen Anlässen oder Second-Hand. Auch in ihrem Freundeskreis versucht sie über Nachhaltigkeit zu sprechen. Selma hat sich in der Wiener Innenstadt von einer Tierschutzorganisation ansprechen lassen, die verstörende Videos aus Massentierhaltungen für die Öffentlichkeit gezeigt hat. „Die Aufnahmen aus den Schlachthöfen konnte ich mir nicht ansehen, dazu bin ich zu empfindlich. Aber an der einen oder anderen Aktion habe ich dann auch teilgenommen, da ich die Mission und die Message interessant fand“, erinnert sie sich. „Eine Freundin von mir ist Veganerin und sie meinte, dass das Umfeld teilweise schon sehr radikal sein kann. Sie ist 34 und lebt schon lange vegan, jedoch macht sie ab und zu eine Ausnahme und nascht etwa Gummibärchen mit Gelatine. Ihre Kindheitsfreundin, die ebenfalls vegan lebt, würde ihr die Freundschaft kündigen, wenn sie das erfahren würde“, erzählt Selma*. Für die Studentin führt ein radikaler Ansatz, wie er bei der „militanten Veganerin“ zu beobachten ist, aber nur zu mehr Spaltung. „Ich würde niemals jemanden verurteilen, der mal bei einer Grillfeier ein Kotelett isst, oder bei einer Fast-Fashion-Kette einkauft.“ Ein Trotzeffekt ist kontraproduktiv und lässt viele Menschen die Tiktokerin die Kommentarspalten mit Sticheleien wie „Wer geht mit mir Döner essen?“ fluten.

 

Gute Balance statt schlechtes Gewissen

 

Noch in ihrer Schulzeit stieg Selma auf eine vegetarische Ernährung um – es war ein erster Schritt in die richtige Richtung, wie sie findet. Anfangs bekam sie Unterstützung in ihrem syrischen Elternhaus, indem ihre Mutter vegetarische Gerichte für die Familie zubereitete. „In Damaskus gibt es viele Gerichte, die von Haus aus fleischlos sind – Tabouleh, Salate, gefülltes Gemüse und Aufstriche, nur drei bis vier Mal im Monat gab es bei uns Fleisch. So lebten wir ohnehin um einiges fleischärmer, als es in vielen anderen migrantischen Haushalten üblich ist.“ Doch Selmas erste Schritte als Vegetarierin währten nicht lange. „Ich hatte schon immer Probleme mit Eisen und hab nach einem halben Jahr meine vegetarische Ernährung wieder aufgeben müssen. Ich hatte weder das Geld noch die Zeit, mich wirklich mit all den pflanzlichen Alternativen auseinanderzusetzen und sie für mich selber zu kochen, um meinen Eisenhaushalt zu retten“, so die gebürtige Damaszenerin.

 

Nachdem sich Selmas Gesundheitszustand durch ihre Ernährung zu verschlechtern schien, war es also auch gleich wieder vorbei mit der fleischlosen Ernährung. „Meine Mutter hat aus Sorge plötzlich begonnen, meine Leibgerichte mit Fleisch zu kochen, um mir zu helfen.“ Dass sie nicht komplett auf Fleisch verzichten konnte, bereitete ihr ein schlechtes Gewissen. Doch sie kam zum Entschluss, dass diese Erfahrung ihr doch etwas Wertvolles lehrte: „Eine serbischstämmige Freundin von mir hat ihren Fleischkonsum stark reduziert, als ich Vegetarierin wurde. Bei ihr zuhause war es sonst stark fleischlastig. Am Ende war ich doch zufrieden, denn mir ist das Gleichgewicht am allerwichtigsten und vor allem war auch mein Konsumzwang reduziert. Ich habe mein Ziel also erfüllt“, sagt sie heute stolz.

 

 

 

INTERVIEW: 

Aktiv werden für das Klima – aber wie?

 

Konstantin Riermeier ist Aktions- und Aktivist:innenkoordinator bei Global2000. 

BIBER: Klimaschutz geht uns alle etwas an. Warum engagieren sich viele Menschen immer noch nicht?
Konstantin Riermeier: Ich denke, dass vielen Menschen, die sich nicht aktiv engagieren, der Bezug zur Klimakrise fehlt. Damit meine ich, dass viele nicht wahrnehmen und wahrhaben wollen, dass man selbst von einer Klimaänderung betroffen und selbst dafür verantwortlich wäre. Wenn es 36 Grad im Sommer hat, gilt das als Badewetter und nicht als bedrohliches Szenario. Welche Probleme das für überhitzte Krankenhäuser, ältere aber auch junge Menschen mit Herz-Kreislauferkrankungen oder Menschen, die auf Baustellen oder in der Landwirtschaft arbeiten, verursacht, wird ausgeblendet. Andererseits wirkt das Problem auch so groß, dass individuelles Handeln wenig auszurichten scheint. Von den alten weißen Männern, die in den Parlamenten oder Konzernen an den großen Hebeln sitzen, können sie nicht mehr viel erwarten – die hätten schon lange etwas unternommen, wenn es ihnen ernst wäre. Diese enorme Ungerechtigkeit kommt aber selten bei den Einzelnen an. Es gibt ein großes Unwissen darüber, wie man Veränderungen erzielen kann. Wir haben teilweise gute Konzepte für z. B. Energie und Wohnen, doch es fehlt vielerorts auch an Best-Practice-Beispielen und an finanzieller Unterstützung – vor allem in solch unsicheren Zeiten.

Als „Normalsterblicher“ fühlt man sich also machtlos – wie kann man das Bewusstsein für die Klimakrise stärken?
Viele Menschen fühlen sich machtlos, sobald sie Nein zu den aktuellen Zuständen sagen, aber keine konkreten Lösungen anbieten können. Als Einzelperson sollte man aber keine Lösungen für diese Probleme parat haben müssen. Es gibt jedoch genug Leute, die die Kompetenz und die Macht haben, sinnvolle Lösungen zu erarbeiten. Und auf diese sollte man Druck ausüben, damit sich endlich etwas ändert.

Welches Angebot gibt es bei Global2000 für aktivistisch Interessierte?
Die Umweltkommunikation ist eine von drei Freiwilligenprogrammen bei Global2000. Wir bieten Workshops und Ausbildungen zu Themen wie Fleischkonsum, Klima, Fast-Fashion und Ernährung an und wir gehen mit den Kommunikator:innen an Schulen in Wien und österreichweit, um junge Menschen an Aktivismus heranzuführen. Mir ist wichtig, ihnen zu sagen, dass ihre Sorgen ernst genommen werden. Man findet bei uns eine Gruppe von Gleichgesinnten, die sich gegenseitig Mut zuspricht, aktiv zu werden. Die erlernte Handlungsunfähigkeit muss in eine wirksame Kraft umgewandelt werden. Wir wollen das Ziel einer flächendeckenden Veränderung nicht nur aussprechen, sondern auch erreichen.

Wie begeistert man Menschen für das Thema, die zuhause keinen Kontakt dazu haben?
Von außen ist Klimaaktivismus immer mit einem hohen Maß an Know-how verbunden, dass man sich besonders gut mit Dingen wie globalen Produktions- und Transportketten oder der Energiewirtschaft auskennen muss. Man muss die Menschen aber dort abholen, wo sie gerade sind, unabhängig von ihrer individuellen Expertise. Es reicht aber auch, wenn man auf einer Demo gute Fotos machen kann, die dann verbreitet werden, oder auch ein einfühlsames Gedicht schreiben kann, das zum Nachdenken anregt. Eine an Gerechtigkeit und echten Lösungen orientierte Einstellung bringt uns alle auf jeden Fall weiter. 

 

 

 

Frisch verdreht: Vegane Maklouba

 

Maklouba ist ein Gericht, das einem den Kopf verdreht – und den Kochtopf. Aus dem Arabischen übersetzt bedeutet Maklouba nämlich so viel wie „verkehrt herum“. So könnt ihr diesen vielseitigen Klassiker ganz einfach und fleischlos nachkochen.  

Von Nada El-Azar-Chekh, Fotos: Zoe Opratko

 

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Zutaten für 4 Personen:

  • 250g Basmati Reis

  • 1 Dose gegarte Kichererbsen (400g)

  • 1–2 große Melanzani 

  • 3–4 große Tomaten

  • Veganes griechisches Joghurt oder Naturjoghurt

  • 1 große Zwiebel

  • Nach Belieben Petersilie oder Koriander

  • Neutrales Öl zum Frittieren



    Gewürze:

  • 2 Würfel Gemüsebrühe

  • 1 großer Esslöffel Kurkuma

  • 1 Teelöffel Currypulver

  • Salz und Pfeffer, Chili nach Belieben

 

 

         Die Melanzani in 5mm dicke Scheiben schneiden, beidseitig mit Salz bestreuen und 30 Minuten ausschwitzen lassen.

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         In einer Bratpfanne Raps- oder Sonnenblumenöl erhitzen. Die Melanzanischeiben trocken tupfen und goldbraun ausbacken.

 

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         Die Zwiebel in Scheiben schneiden und kurz anbraten. Mit einer Fingerspitze Kurkuma werden sie besonders schön golden! 

 

 

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         Den Topf mit Öl einschmieren, dann Tomatenscheiben auf den Boden auslegen.

 

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         Schicht für Schicht: Die Melanzanischeiben gleichmäßig auf den Tomaten und den Wänden des Topfes arrangieren. Dann die Zwiebelstücke drauf. Die Kichererbsen ausspülen und dazugeben.

 

         Basmatireis kurz waschen und in den Topf geben. Die doppelte Menge Wasser mit Gemüsebrühe, Kurkuma und Curry und ein wenig Salz und Pfeffer mischen, dann vorsichtig mit Wasser aufgießen, ohne die Schichten durcheinander zu bringen.

 

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         Das Wasser sollte ca. 1 Fingerkuppe breit über dem Reis stehen. Den Herd auf hohe Stufe drehen. Wenn das Wasser kocht, den Deckel fest auf den Topf geben, damit kein Dampf entweichen kann und den Reis auf niedrigster Stufe durchgaren. 

 

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         Den Topf mit einem Servierteller bedecken und vorsichtig (!) umdrehen. Einige Minuten warten und klopfen (für das Glück), bevor man ihn lüftet. 

 

         Für die Sauce veganes Joghurt mit Knoblauch, Petersilie, Zitrone, Salz und Pfeffer mischen. Mit gehackter Petersilie garnieren.

 

         Voilà  fertig ist die vegane Maklouba.

 

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