Schöner, billiger, Sopron

08. Juli 2022

Billiger zur Maniküre, günstiger Haare schneiden, eine weiße Zahnfüllung um den halben Preis - und das nur eine Stunde von Wien entfernt: Die ungarische Grenzstadt Sopron ist seit eh und je ein beliebtes Ziel für „Dienstleistungstourist:innen“ aus Österreich. Doch in den letzten zwei Jahren ist viel österreichische Kundschaft weggefallen. Ein Lokalaugenschein.


 

Von Aleksandra Tulej, Fotos: Zoe Opratko

 

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Der „Erzsébet Szalon“ ist an diesem Donnerstagmorgen im Mai gut besucht. Im Friseur- und Schönheitssalon in der Erzsébet-Straße 2 in Sopron wird geschnitten, geföhnt und getratscht, was das Zeug hält. Auch auf Deutsch. „Ich stelle mich immer als Elisabeth vor, aber eigentlich bin ich ja die Erzsébet“, lacht eine 85-jährige Dame, die gerade unter der Friseurhaube wartet, bis ihre Dauerwelle fertig wird, dabei gleichzeitig ihre frische Pediküre trocknen lässt und in einem ungarischen Klatsch-Magazin blättert. Die Namensvetterin der Straße und des Salons ist in Sopron geboren, aber nach der Ungarn-Revolte 1956 nach Österreich gekommen. Heute lebt die Pensionistin in Wien-Favoriten, wo sie früher als Schneiderin gearbeitet hat. Ihre Dauerwelle, Maniküre und Pediküre lässt sie aber nur hier in Ungarn machen. Bloß zum Zahnarzt geht sie in Wien. Privat. „Das ist aber auch ein Ungar. Dem vertrau ich.“ Frau Erzsébet hat hier in Sopron seit zwanzig Jahren ein „kleines Häuschen gegen das Heimweh“, in dem sie ein paar Tage im Monat verbringt. Hier sei es ruhiger als in Wien, wie sie uns erklärt. Und günstiger, zumindest die Schönheitsbehandlungen. Außerdem liegt ihr die ungarische Politik mehr als die österreichische: „Ich weiß, ihr mögt‘s den Orban alle ned. Aber der tut zumindest was für seine Leute! Ich kann hier gratis mit den Bussen fahren als Pensionistin, in Österreich kann ich das nicht.“ Nach dem populistischen Politik-Plausch mit Frau Erszebet ziehen wir weiter. Die Stadt ist klein, aber zu entdecken gibt es mehr als genug.

 

„In Österreich zahle ich das Doppelte!“

 

Die ungarische Stadt Sopron, 70 Kilometer von Wien entfernt, zählt etwa 60.000 Einwohner:innen und ist seit eh und je eine beliebte Destination für Österreicher:innen, die günstiger ihre weißen Zahnfüllungen machen, Haare schneiden oder zur Maniküre oder Massage wollen. All diese Dienstleistungen werden hier um einiges billiger als in Österreich angeboten. Die Stadt hat sich längst an die Österreicher:innen angepasst. In Euro kann man hier genauso zahlen wie in Forint. (Anm.: 1 € sind 394,5 Forint) Deutsch ist die inoffizielle zweite Amtssprache. Nicht nur die Straßenschilder sind zweisprachig - auch die Ordinationen werben um ihre österreichischen Patient:innen. Von allen Seiten liest man auf Deutsch: „KRONEN MIT DIGITALER TECHNOLOGIE IN NUR ZWEI STUNDEN“, „ZAHNRÖNTGEN UND FÜLLUNGEN“, „BLEACHING 200 €“. Zahnkliniken und Schönheitssalons gibt es hier wie Sand am Meer. Bevor man einen Supermarkt findet, läuft man an gefühlt zwei Beauty-Salons und drei Zahnarztpraxen vorbei.

 

„Das letzte Mal, als ich hier war, gab es noch Schilling! Aber günstiger war es immer, das war ein Traum“

 

Im Warteraum einer solchen Zahnarztpraxis kommen wir mit einer blond gefärbten Frau um die 60 ins Gespräch. Sie ist hier, da mit ihrem Zahnimplantat etwas nicht stimmt. „Na sicher komm ich hierher. Ich fahr ja ned lange her aus Sankt Pölten. Wer soll sich bei uns sowas leisten können?“, fragt sie kopfschüttelnd. „Da würd ich ja auf über 30 Tausend Euro kommen, bei all meinen Zahn-Gschichten. In Sopron zahl ich nur die Hälfte!“ Ihren Namen will sie uns nicht verraten, eines möchte die Niederösterreicherin allerdings loswerden: „Wenn man ein paar Ausländer aus Österreich, na ja, rausschmeißen würd, dann wäre es bei uns vielleicht billiger. Entschuldigen Sie, dass ich das so sage.“ Was sie genau damit meint? „Na, wenn Österreich sich nicht immer da einmischen würde, was uns nix angeht! Dann hätten wir mehr Geld!“, begründet sie ihren Zahnarzt-Ausflug ins, na ja, Ausland. Geld bleibt ein Thema, auch außerhalb der Zahnklinik.

 

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„Seit der Pandemie ist einiges an Kundschaft aus Österreich weggefallen“

 

„Das letzte Mal, als ich hier war, gab es noch Schilling! Aber günstiger war es immer, das war ein Traum“ erinnert sich Herr Franz, der gemeinsam mit seinen Freunden Peter und Hans mit dem Zug aus Wien angereist ist. Die drei wollen sich „heute einen schönen Tag hier machen, ein bissi schauen, was sich verändert hat.“ Franz erzählt, dass seine Frau in den 90er Jahren in Sopron oft zur Fußpflege und zum Friseur ging, und währenddessen ist er in der Stadt herumspaziert – genau das haben die drei pensionierten Freunde um die 80 heute auch vor. „So anders schaut‘s ja gar nicht aus“, lautet ihr Anfangsfazit. Dennoch spürt Sopron eine Veränderung, vor allem was das Wirtschaftliche anbelangt. In den letzten zwei Jahren war es aus bekannten Gründen schwierig, in andere Länder zu reisen. Das galt auch für jene, die nur für ein paar Stunden aus Österreich nach Ungarn wollten.

Laut der WKO pendeln rund 42.600 Personen regelmäßig wegen der Arbeit aus Ungarn nach Österreich. Die meisten Pendler:innen arbeiten in Niederösterreich, gefolgt von der Steiermark, dem Burgenland, Oberösterreich und Wien. Auch die Pandemie zeigt hier ihre Spuren: „Im März 2020 kamen plötzlich 22.000 Menschen weniger aus den Nachbarstaaten nach Österreich als im Vormonat“, heißt es auf Nachfrage beim Außenwirtschafts-Center Budapest. „Die Inanspruchnahme persönlicher Dienstleistungen (v.a. Gesundheit und Pflege) in Ungarn war 2020 und auch größtenteils 2021 kaum bis gar nicht möglich.“ Erst am 7. März 2022 sind in Ungarn sämtliche COVID-Sonderregelungen gefallen.

 

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„Seit der Pandemie ist einiges an Kundschaft aus Österreich weggefallen. Vor Corona hatte ich viel mehr österreichische Kundinnen. 30 % würde ich sagen, jetzt nur mehr 10 %“, erzählt die 30-jährige Ungarin Kitti, Inhaberin des „Sweet Beauty“ Schönheitssalons. Einige Stammkundinnen sind ihr dennoch erhalten geblieben. Zu den beliebtesten Behandlungen der Österreicher:innen hier zählen Permanent-Makeup und Wimpernverlängerungen. „Aber natürlich haben die Leute jetzt weniger Geld, dann geben sie auch weniger bei uns aus“, resümiert sie. Kitti hat sich vor zweieinhalb Jahren selbständig gemacht, davor hat sie in einem bekannten, großen Beauty-Center in Sopron gearbeitet, das von vorwiegend österreichischer Kundschaft besucht wird. Dort hat sie auch Deutsch gelernt. Für Kitti ist es nicht ungewöhnlich, auf Deutsch angesprochen zu werden. „Wir sind hier alle daran gewöhnt“, lacht sie. Als sie in dem Beauty-Center angestellt war, hat sie um die 600 € im Monat verdient, heute sind es über 2000 €. Davon bleibt ihr aber nach allen Abgaben die Hälfte. Ob es sich für Kitti nicht mehr rentieren würde, ihren Job in Österreich auszuführen? „Viele meiner Freundinnen wohnen in Ungarn und pendeln nach Österreich, aber ich wollte das nicht wegen der Entfernung. Natürlich verdienen die mehr. Aber ich mag meinen kleinen Salon hier, wir kommen schon zurecht“ wirkt sie nicht unzufrieden. Seitens der Wirtschaftskammer Österreich (WKO) heißt es dazu:Die Auslandsbeschäftigung von Ungar:innen, wie auch die zeitweise oder permanente Auswanderung trugen neben weiteren Entwicklungen dazu bei, dass es in Ungarn in den letzten Jahren zu einem erheblichen Arbeitskräftemangel gekommen ist.“

 

Tricks während der Pandemie

 

Dennoch: Das Zahnarzt-Business scheint hier nach wie vor zu boomen. Dr. Péter Csipkay, Zahnarzt bei „FAMILY DENT“ führt seit 30 Jahren seine Klinik, in der auch seine Tochter praktiziert. Eine weiße Füllung kostet bei ihm 40 bis 60 €, um einiges günstiger also, als in Österreich. Das führt Patient:innen aus Salzburg, Wien und Tirol in sein Praxis. „Jetzt kommen weniger aus Österreich, da die Menschen gerade nicht so finanziell planen können, wie früher. Das ist aber nicht tragisch.“ Dr. Csipkay betont, dass er genauso viele Patient:innen aus Österreich und Ungarn hat, und er hier keine Unterschiede macht. Einige Leistungen in der Praxis übernimmt auch die Österreichische Gesundheitskasse – das sei vielen Patient:innen aber anfangs nicht bewusst.

 

„Ich zahle da 12 € für meine Nägel, das ist nix!"

 

Auch Dr. Zsusanna Szekeres, die seit 30 Jahren in ihrer Soproner Zahnarztpraxis tätig ist, hatte vor der Pandemie mehr Patient:innen aus Österreich. Heute sind es zwar weniger, aber dennoch um die zehn pro Woche. Während der Hochphasen der Pandemie wurde es aber chaotisch. „Viele waren sehr verwirrt. Wir haben Anrufe bekommen mit immer denselben Fragen: Darf ich kommen? Muss ich dann in Quarantäne? Viele Informationen waren aber falsch. Mit einem speziellen Bescheid vom Bundeskanzleramt durfte man auch während der Pandemie aus Österreich kommen, das wussten viele aber nicht.“ (Anm.: Es handelt sich hier um die Bestätigung über die unbedingte Notwendigkeit der Inanspruchnahme einer medizinischen Leistung)

 

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Leo-Print und Sowjet-Flair

 

Was allerdings nicht unter eine „unbedingte Notwendigkeit“ fällt, aber dennoch genauso oft ein beliebtes Ziel der Österreicher:innen ist, sind Maniküre und Pediküre. Wer unterschiedliche Angebote vergleichen will, wird an diesem besonderen Ort fündig: Das „Sopron Stadion Center“, ein Kaufhaus, das architektonisch eindeutig in die Sowjet-Ära einzuordnen ist, ist etwas schäbig und heruntergekommen - und mehr als gut besucht. Hier reihen sich Beauty-, Friseur- und Massagesalons in einer Dichte aneinander, die man nicht einmal in den belebtesten Einkaufsstraßen der europäischen Metropolen findet. Zwischen Friseurumhängen im Leopardenmuster, rosa Plüsch-Bezügen für die Pediküresessel und sehr gephotoshoppten Plakaten von sehr weißen Zähnen weiß man nicht, wohin man seinen Blick richten soll. Das Kaufhaus mag äußerlich seine besten Jahre lange hinter sich haben, aber das scheint die Schönheitswütigen hier nicht abzuschrecken. Die Preise sind in all den Salons ähnlich. Eine Pediküre kostet von 12-16€, eine Maniküre 9-13 €, lange Haare färben inkl. Föhnen 13-15€. In Wien bezahlt man für diese Dienstleistungen oft das Doppelte. Michelle aus Oberpullendorf sitzt in einem der Nagelstudios im Sopron Stadion Center gerade bei der Pediküre. Ihre Fußnägel glänzen schwarz. „Ich zahle da 12 € für meine Nägel, das ist nix! Mit dem Auto bin ich schnell hier, natürlich komm ich dann hierher!“, erzählt die sympathische tätowierte Blondine. „Aber während der Pandemie sind die Kosmetikerinnen hier mit der Zeitung dagesessen, da hast du schon gemerkt, dass weniger Kundschaft da war. Aber gut, wer sich nicht impfen wollte, durfte halt nicht rüberfahren“, resümiert[FH1]  sie. Währenddessen will eine Tochter im Teenager-Alter ihre Mutter überreden, dass sie unbedingt eine Glitzer-Maniküre braucht. Sie sprechen mit wienerischem Akzent. „Mama, schau, das ist so viel billiger hier!“ Die Mutter studiert den Aushang mit den Preisen und nickt zustimmend. Eine Tür weiter treffen wir Martina und Sandra, beide um die 40, die heute hier sind, um sich eine Massage zu gönnen. Eine halbe Stunde Massage wird im Stadion Center schon für 15 € angeboten. „Wir haben von Freunden gehört, dass das empfehlenswert sein soll. Wir wollen es mal ausprobieren!“ Die beiden düsen gleich weiter.

 

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Wir kommen nicht umhin, uns zu fragen, ob das alles nicht einen gewissen Ausbeute-Faktor mit sich bringt: In Österreich verdienen, in Ungarn billig Nägel machen lassen. „Warum? Wir profitieren doch davon, das war immer schon so!“, erzählt László, der zwar nicht hier arbeitet, aber die ganze Zeit über, als wir im Stadion Center sind, mit seiner Friseurin plaudert. Er arbeitet seit 30 Jahren in Österreich. „Meine Tochter ist auch Friseurin. Die erzählt auch davon, dass ihr die österreichischen Kunden abgehen, die haben Geld hergebracht.“ Sogar hier, an diesem nostalgischen Ort, an dem die Zeit stehengeblieben zu sein scheint, merkt man die Auswirkungen der Pandemie. „Nur hoffentlich kommen jetzt wieder mehr Österreicher zu uns. Früher war hier alles voll!“

 

Jetzt wollen wir es auch selbst wissen. Nach einem langen Tag voller Erzsébet Erlebnisse, Zahnklinikgeruch, Preisvergleichen, voll Belauschen von Leuten und Sowjet-Shoppingcenter-Eindrücken unterziehen wir uns dem Selbsttest: eine Pediküre im Stadion Center. Glitzern soll es, befiehlt die Fotografin. Die Saloninhaberin hat viel Kundschaft aus Österreich – jetzt eine mehr. Das Endergebnis: eine Pediküre mit blauem Glitzer-Shellac. Kostenpunkt: 17 €. Fazit: Kann man machen.

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